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aa) Prüfungsumfang bei Konkurrenz der Gestattungen

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In einem ersten Schritt soll der Frage nachgegangen werden, wie sich die Baugenehmigung zu anderen Gestattungen verhält. Um des besseren Verständnisses willen wird das Problem im Folgenden in seiner geschichtlichen Entwicklung aufgerollt:

Vor allem die traditionellen Formulierungen der inzwischen zumeist novellierten Landesbauordnungen („Die Baugenehmigung ist zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen“[203]) legten eine Auslegung nahe, der zufolge die Bauaufsichtsbehörde im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens tatsächlich die Übereinstimmung des beantragten Vorhabens mit dem gesamten Öffentlichen Recht nicht nur zu prüfen, sondern auch letztverbindlich festzustellen habe. Von dieser Annahme ging auch das BVerwG in seiner frühen Rechtsprechung unter Bezugnahme auf das Preußische OVG aus, indem es mit dem Wesen der Baugenehmigung argumentierte; diese sei als Erklärung der Baubehörde zu verstehen, „dass das Vorhaben mit dem (gesamten) im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung geltenden Öffentlichen Recht übereinstimmt“[204]. Die Bauaufsichtsbehörde müsse dementsprechend die Unbedenklichkeit des Bauvorhabens unter jedem öffentlich-rechtlichen Gesichtspunkt prüfen und rechtsverbindlich feststellen. Damit bejahte das BVerwG im Ergebnis eine sog. Konzentrationswirkung der Baugenehmigung. Darunter, das macht das Zitat des BVerwG deutlich, wird nicht bloß eine Zuständigkeitsbündelung der Bauaufsichtsbehörde verstanden[205]; vielmehr ergeht mit der Baugenehmigung nach einem einzigen Verfahren nur ein Bescheid, in dem andere Gestattungen mit enthalten sind. Insofern sollte dieser Vorgang besser als Absorptionswirkung der Baugenehmigung bezeichnet werden[206].

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Indes erwies sich dieses Verständnis von einer andere Gestattungen absorbierenden Baugenehmigung aus zwei Gründen als nicht haltbar: Erstens ergibt ein Vergleich – bereits der damaligen – Formulierungen der Baugenehmigungstatbestände mit denjenigen Normen im Öffentlichen Recht, die unbestrittenermaßen zu einer beschränkten (§ 13 BImSchG) oder umfassenden (§ 75 Abs. 1 VwVfG) Konzentrationswirkung führen, dass eine solche bei der Baugenehmigung aufgrund der zumindest früher häufig unbestimmten Formulierung gerade nicht angenommen werden konnte und kann. Während etwa § 13 BImSchG ausdrücklich normiert, dass die immissionsschutzrechtliche Genehmigung andere, die Anlage betreffende behördliche Entscheidungen einschließe (dazu → Meßerschmidt, § 46 Rn. 84)[207], fand sich eine derartige Formulierung schon in den Bauordnungen alter Fassung nicht. Inzwischen haben viele Bauordnungen der Länder eine Konzentrationswirkung ohnehin ausdrücklich ausgeschlossen[208]. Den umgekehrten Weg sind allein die Bundesländer Hamburg und Brandenburg gegangen, indem sie explizit eine Konzentrationswirkung normiert haben[209], um dem Bürger eine „umfassende Unbedenklichkeitsbescheinigung“ aus einer Hand zu ermöglichen[210]. Allerdings wird – zweitens – eine derartige Konzentrationswirkung den Kapazitäten und der Spezialisierung der Bauaufsichtsbehörden nicht gerecht, denen der nötige Sachverstand anderer Fachbehörden fehlt. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Baugenehmigung gegenwärtig mit den beiden Ausnahmen der Bundesländer Brandenburg und Hamburg in keinem Bundesland Konzentrationswirkung zukommt.

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Für Brandenburg und Hamburg ist allerdings zu beachten, dass die angeordnete Konzentrationswirkung von vornherein nur begrenzt sein kann: Zum einen führt die Inkommensurabilität der verschiedenen Genehmigungen zu einer Begrenzung der Absorptionswirkung. Damit ist gemeint, dass bei Personalkonzessionen (vor allem Gewerbe- oder Gaststättenerlaubnisse) personenbezogene Voraussetzungen wie die Zuverlässigkeit zu prüfen sind, die mit der anlagenbezogenen Prüfung einer Baugenehmigung (Realkonzession) rechtlich nichts zu tun haben und daher von dieser auch nicht absorbiert werden können[211]. Zum anderen führen die bundesrechtlich angeordneten Konzentrationswirkungen bisweilen dazu, dass – nunmehr umgekehrt – die Baugenehmigung von anderen Gestattungen absorbiert wird[212]; bei dieser Kollision der Konzentrationswirkungen setzt sich wegen Art. 31 GG die bundesrechtliche durch[213]. Schließlich wurde in Hamburg der Umfang der bauaufsichtsrechtlichen Prüfung im Genehmigungsverfahren mit Konzentrationswirkung nunmehr beschränkt[214].

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Für den Großteil der Bundesländer stellt sich mit der Ablehnung der Konzentrationswirkung weiterhin die Frage, wie das Prüfprogramm des Baugenehmigungstatbestands zu verstehen ist. Nachdem die Idee von der Konzentrationswirkung der Baugenehmigung verworfen worden war, vertrat die Rechtsprechung für die Frage der parallelen Gestattungsverfahren[215] zunächst die sog. strenge Schlusspunkttheorie. Ihr zufolge kann die Baugenehmigung erst dann ergehen, wenn alle anderen öffentlich-rechtlichen Gestattungen für die bauliche Anlage vorliegen[216]. Für den Bürger hat dieses Modell den Vorteil, von einem Ansprechpartner, der Bauaufsichtsbehörde, durch das Verfahren ,hindurchgelotst‘ zu werden, wobei die Bauaufsichtsbehörde zwar ggf. erforderliche andere Genehmigungen nicht selbst erteilt, aber über deren Einholung und Erteilung wacht. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass der Bauherr nach Erteilung der Baugenehmigung auch wirklich mit dem Bauen beginnen darf. Trotz aller Argumente, die für die Schlusspunkttheorie sprechen, hat das BVerwG inzwischen zu Recht klargestellt, es sei allein Sache des Landesrechts, über das Prüfprogramm der Bauaufsichtsbehörden zu bestimmen[217]. Das ist wegen Art. 83, 84 GG dogmatisch völlig überzeugend; anders ließe sich etwa auch die nunmehr getroffene Entscheidung der Bundesländer Hamburg und Brandenburg für eine Konzentrationswirkung dogmatisch nicht verarbeiten.

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Somit lag es in der Hand der Länder, sich in den Landesbauordnungen für oder gegen die Schlusspunkttheorie zu entscheiden. Für diese Theorie haben sich in der Tat die Länder Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen[218], Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein entschieden. In ihren Landesbauordnungen findet sich zumeist die Formulierung, dass die Baugenehmigung zu erteilen ist, wenn das Vorhaben öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht oder, negativ ausgedrückt, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen[219]; alternativ ist explizit formuliert, dass die Bauaufsichtsbehörde die Baugenehmigung erst bei Vorliegen der weiteren erforderlichen Zulassungsentscheidungen erteilen darf[220]. Folglich darf die Baugenehmigung nicht erteilt werden, wenn z.B. die erforderliche forst-[221] oder sanierungsrechtliche[222] Genehmigung noch aussteht. Die Regelung in der Bremischen Landesbauordnung verlangt sogar explizit, dass alle nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften erforderlichen Zulassungsentscheidungen bei Erteilung der Baugenehmigung bereits erteilt sein müssen[223]. Eine Einschränkung der Prüfungskompetenz der Bauaufsichtsbehörde ist dagegen nicht vorgesehen. Allerdings darf die Baugenehmigung – auch in Bremen[224] – unter der aufschiebenden Bedingung der noch vorzulegenden, ausstehenden weiteren Genehmigung(en) (sog. modifizierte Schlusspunkttheorie) erteilt werden[225].

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Die meisten Bundesländer, der MBO 2002/2016 folgend, haben sich indes für ein drittes Modell entschieden, nämlich für das im Ergebnis weniger bürgerfreundliche Separationsmodell[226]. Ihm zufolge sind – wie bei der Schlusspunkttheorie – sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften von der Bauaufsichtsbehörde grundsätzlich nicht mehr zu prüfen. Im Unterschied zum koordinierenden Schlusspunktmodell darf und muss die Baugenehmigung aber ungeachtet der anderen Gestattungen erteilt werden.

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Allerdings wurde das Separationsmodell in keinem Bundesland in Reinform normiert. Vielmehr wird auch hier eine gewisse Verklammerung zwischen den parallelen Gestattungsverfahren vorgenommen (abgeschwächtes Separationsmodell[227]). So ist die Bauaufsichtsbehörde etwa nach der Konzeption der MBO und verschiedenen, ihr folgenden Landesbauordnungen nur grundsätzlich auf die Prüfung von Baurecht beschränkt. Nach der Formulierung der MBO sind sowohl im klassischen Baugenehmigungs- als auch im vereinfachten Verfahren sonstige „öffentlich-rechtliche Anforderungen“ eben doch zu prüfen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt oder ersetzt wird (Absorptionswirkung der Baugenehmigung)[228]. Die Begründung der MBO erläutert, dass damit all diejenigen Fälle gemeint seien, in denen ein „fachrechtliches Anlagenzulassungsverfahren für den Fall eines Baugenehmigungsverfahrens diesem (unter Zurücktreten der fachrechtlichen Gestattung) die Prüfung des materiellen Fachrechts zuweist.“[229] Insoweit wird von aufgedrängtem Fachrecht gesprochen. Wichtigstes Beispiel sind die Landesdenkmalschutzgesetze, die fast alle die Ersetzung der denkmalschutzrechtlichen Genehmigung durch die bauordnungsrechtliche vorsehen[230]. Schließlich tritt nach dem doppelt abgeschwächten Separationsmodell einiger Bauordnungen noch das hier bislang ausgeblendete sonstige Fachrecht hinzu, das selbst keine Gestattung kennt[231], wie z.B. die Anforderungen nach dem BImSchG für immisionsschutzrechtlich nicht genehmigungspflichtige Anlagen (s. Rn. 49 ff.). Abgesehen vom aufgedrängten Fachrecht nimmt die Rechtsprechung aber zu Recht noch weitere Verklammerungen vor:

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Zum einen kann der Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung mangels Sachbescheidungsinteresses abgelehnt werden, wenn eine andere Gestattung bestandskräftig versagt wurde[232]. In einem Schluss a maiore ad minus gilt dies für die Bundesländer, die der Schlusspunkttheorie folgen, ohnehin[233]. Denn in diesen Fällen ist die Baugenehmigung für den Antragsteller ersichtlich nutzlos[234]. Rechtsdogmatisch handelt es sich bei dem Sachbescheidungsinteresse um eine Sachentscheidungsvoraussetzung im Verwaltungsverfahren; prozessual führt ein Fehlen zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses[235]. Klassischerweise ist das der Fall bei dem bereits erörterten offensichtlichen Entgegenstehen privater Rechte Dritter[236]. Fraglich ist allerdings, ob das Sachbescheidungsinteresse auch schon dann fehlt, wenn die weitere Gestattung zwar noch nicht versagt wurde, aber offensichtlich nicht erteilt werden kann. Während in der Literatur darauf hingewiesen wurde, dass dies zu einer Kompetenzanmaßung der Bauaufsichtsbehörde führen kann[237], bejaht die Rechtsprechung diese Möglichkeit[238]. Auch die MBO hebt zumindest in ihrer Begründung die Möglichkeit der Versagung der Baugenehmigung in den beiden hier diskutierten Fällen hervor[239]. Gleichfalls unter dem Begriff des Sachbescheidungsinteresses wird die Konstellation diskutiert, in der ein Bauvorhaben gegen materielle öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die im Falle eines reduzierten Prüfungsprogramms des Bauantrags nicht mehr zu prüfen sind. Diese Problematik stellt sich indes vor allem bei dem zurückgefahrenen Prüfungsumfang der vereinfachten Baugenehmigung[240]. Insgesamt beweisen die dargestellten Problemfälle die Vorzugswürdigkeit der Schlusspunkttheorie.

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Zum anderen wird von der Rechtsprechung teilweise eine Verzahnung der verschiedenen Gestattungen vorgenommen, wenn es um den Vollzug der – nach dem Separationsmodell – erteilten Baugenehmigung durch den Bauherrn geht. Beginnt der Bauherr mit dem Bauen, obwohl noch eine weitere Genehmigung aussteht, wird der Bau als formell rechtswidrig bezeichnet[241], so dass repressive Maßnahmen der Bauaufsichtsbehörde zulässig sind[242]. So richtig die letztgenannte Rechtsprechung im Ergebnis sein mag, so fällt doch ins Auge, wie auf diese Weise das ganze Separationsmodell in Frage gestellt wird. Mit anderen Worten: Gerade wenn es um den Gebrauch der Baugenehmigung geht, zeigt sich einmal mehr, dass das Separationsmodell an erheblichen Schwächen leidet, die sich zu Lasten des Bürgers auswirken.

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Von den drei verschiedenen Modellen, die in den 16 Landesbauordnungen existieren – Konzentrations-, Schlusspunkt- und Separationsmodell –, kann allein das vermittelnde Modell der Schlusspunkttheorie überzeugen. Denn das Konzentrationsmodell, für das sich der Gesetzgeber in Brandenburg und Hamburg entschieden hat, führt zur fachlichen Überlastung der Bauaufsichtsbehörden. Im Übrigen stellen zahlreiche Rückausnahmen das Modell ohnehin wieder in Frage. Aber auch das Separationsmodell erweist sich als fragwürdig. Gerade beim Vollzug einer separat erteilten Baugenehmigung zeigt sich, dass dieses Modell im Grunde wenig praktikabel ist und dem Bürger nicht entgegenkommt. Zum anderen widerspricht die Separation den Vorstellungen der europäischen Dienstleistungsrichtlinie vom „one-stop-shop“, also der Idee, dass aus Gründen der Bürgerfreundlichkeit und Verfahrensvereinfachung dem Einzelnen ein einheitlicher Ansprechpartner zur Verfügung stehen soll[243]. Zu Recht wurde darauf hingewiesen, dass die Entwicklung in anderen Gebieten des Besonderen Verwaltungsrechts gerade in die umgekehrte Richtung zielt[244].

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