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IV. Das vereinfachte Verfahren
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Nachdem mit dem vereinfachten Baugenehmigungsverfahren erstmals im Jahr 1990 in Hamburg experimentiert worden war[391], hat dieser Verfahrenstyp inzwischen in alle Landesbauordnungen Eingang gefunden[392] und stellt mittlerweile sogar das Regelverfahren dar. Es zeichnet sich gegenüber dem klassischen Baugenehmigungsverfahren, dem regelmäßig nur noch die Sonderbauten vorbehalten sind[393], zum einen durch einen beschränkten Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde aus; zu prüfen ist in der Regel zwar noch das Bauplanungsrecht, aber nur noch ein Minimalkatalog des Bauordnungsrechts – zumeist einzig Abweichungen von bauordnungsrechtlichen Anforderungen[394] – sowie aufgedrängtes Fachrecht[395]. Zum anderen sind für das vereinfachte Verfahren in den meisten Bundesländern[396] kürzere Bearbeitungsfristen charakteristisch, die in vielen Bundesländern zudem durch eine Genehmigungsfiktion untermauert werden[397]. Die fingierte Baugenehmigung ist verfahrensrechtlich und prozessual in jeder Hinsicht so zu behandeln wie die durch Bauschein positiv erteilte Baugenehmigung[398]. Über den Eintritt der Genehmigungsfiktion hat die Bauaufsichtsbehörde in den meisten Ländern, ggf. auf Antrag, eine Bestätigung zu erteilen[399]. In manchen Bauordnungen sind die Fiktionsregelungen auch auf die Erteilung eines Bauvorbescheids anwendbar[400]. Verstößt ein Vorhaben gegen materielles Öffentliches Recht, ist die durch Fiktion errungene Baugenehmigung freilich rechtswidrig und kann zurückgenommen werden[401]. Zudem hat es der Bauherr nicht in der Hand, die Genehmigungsfiktion durch einen Antrag im vereinfachten Genehmigungsverfahren herbeizuführen, wenn dieses objektiv nicht einschlägig ist[402]. Schließlich tritt die Genehmigungsfiktion nur im Fall des vollständigen Vorliegens der erforderlichen Unterlagen bei der Baugenehmigungsbehörde ein[403]. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die einschlägige Bauordnung nach Ablauf einer bestimmten Zeit auch die Vollständigkeit des Bauantrags fingiert[404]. Mit den Zielen Beschleunigung und Bürokratieabbau durch Verfahrensprivatisierung fügt sich dieser Verfahrenstyp noch in die Verwaltungsreformen der letzten Jahrzehnte, getragen von dem – inzwischen schon wieder überholten – Leitbild des „schlanken Staats“, ein[405]. Präventiv wacht nicht mehr vollumfänglich die Bauaufsichtsbehörde über die Übereinstimmung mit dem gesamten Öffentlichen Recht, sondern – soweit die behördliche Prüfpflicht beschränkt ist – die qualifizierten Entwurfsverfasser oder Prüfsachverständigen (Verfahrensprivatisierung)[406]. Denn die Deregulierung entbindet nicht von der Pflicht zur Einhaltung des gesamten Öffentlichen Rechts[407].
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Für den Bauherrn hat das vereinfachte Genehmigungsverfahren darüber hinaus auch zur Folge, dass sich die Legalisierungswirkung auf die von der Bauaufsichtsbehörde geprüften Normen beschränkt[408]. Um in den Genuss einer umfänglichen Legalisierungswirkung zu kommen, machen manche Bauherren von dem in einigen Landesbauordnungen vorgesehenen Wahlrecht Gebrauch, doch eine klassische Baugenehmigung beantragen zu können, obwohl an sich die Voraussetzungen für das vereinfachte Verfahren vorliegen[409]. Auch soll die Bauaufsichtsbehörde die Möglichkeit haben, die beschränkte Feststellungswirkung der Baugenehmigung um weitere Feststellungen zur Vereinbarkeit des Vorhabens mit nicht vom Prüfungsprogramm umfassten Vorschriften zu ergänzen[410].
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Die dogmatischen Konsequenzen der Baugenehmigung mit bloß reduziertem Prüfungsumfang lauten, dass eine ,vereinfachte‘ Baugenehmigung nicht dadurch rechtswidrig wird, dass das Vorhaben gegen Vorschriften verstößt, die von der Bauaufsichtsbehörde nicht zu prüfen sind und dementsprechend auch nicht geprüft wurden. Auch Nachbarrechte können durch die Baugenehmigung daher nicht verletzt sein, wenn über sie in der Genehmigung nicht entschieden worden ist[411]. Allerdings hat die Bauaufsichtsbehörde nach h.M. die Möglichkeit, bei einem Verstoß des Bauvorhabens gegen materielle öffentlich-rechtliche Vorschriften, die außerhalb des Prüfungsumfangs liegen, den Bauantrag wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses abzulehnen[412]. Bisweilen wird von der Rechtsprechung betont, dass eine solche Ablehnung nur bei offensichtlichen Verstößen in Betracht kommt[413], vor allem gegen im vereinfachten Verfahren nicht mehr zu prüfende bauordnungsrechtliche Vorschriften. Für die Ablehnung eines Antrags, gestützt auf das fehlende Sachbescheidungsinteresse, werden insbesondere verfahrensökonomische Gründe ins Feld geführt[414]. Denn die Alternative wäre, die beantragte Baugenehmigung trotz des bekannten Gesetzesverstoßes zu erteilen, um sodann mit repressiven bauordnungsrechtlichen Mitteln gegen das Vorhaben vorzugehen. Neuerdings haben einige Bauordnungen – dem bayerischen Beispiel folgend – die Möglichkeit der Versagung der Baugenehmigung bei Verstößen gegen materielle öffentlich-rechtliche Vorschriften außerhalb des Prüfungsumfangs ausdrücklich gesetzlich festgeschrieben[415]. Der bayerische Gesetzgeber sah sich zur Klarstellung veranlasst[416], nachdem zuvor der 2. Senat des Bayerischen VGH sich gegen die Möglichkeit der Ablehnung eines Bauantrags wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses ausgesprochen hatte, wenn dem Bauvorhaben nicht zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen[417]. In Abgrenzung zu den bereits dargestellten Konstellationen des fehlenden Sachbescheidungsinteresses[418] wird in diesem, nun gesetzlich fixierten Fall auch von einem „besonderen“ Sachbescheidungsinteresse gesprochen[419].
Fraglich ist schließlich, ob die Bauaufsichtsbehörde die Nichtvereinbarkeit eines Vorhabens mit Vorschriften außerhalb des vorgegebenen Prüfprogramms feststellen darf. Dies wird unter Verweis auf die allgemeine Befugnis der Bauaufsichtsbehörden zur Sicherstellung der Einhaltung der baurechtlichen Vorschriften teilweise bejaht[420]. Im Ergebnis widerspräche eine derartige Befugnis jedoch der Grundentscheidung des Gesetzgebers, das (präventive) baubehördliche Prüfprogramm bewusst zu beschränken. Eine derartige, über die Verneinung des Sachbescheidungsinteresses an einer Baugenehmigung hinausgehende Befugnis zur Feststellung der Nichtvereinbarkeit begegnet daher im Ergebnis Bedenken[421] und erscheint angesichts der zweifelsfrei gegebenen Befugnis der Bauaufsichtsbehörde zum repressiven Einschreiten auch nicht erforderlich.
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Die Aufnahme des Sachbescheidungsinteresses zuerst in die Bayerische Bauordnung und nun auch in die Bauordnungen Thüringens, Berlins, Hessens und Schleswig-Holsteins hat umfangreiche Diskussionen ausgelöst. Nach gesetzgeberischer Intention soll der neue Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BayBO einzig das Instrument des Sachbescheidungsinteresses als Handlungsoption für die Bauaufsicht bei „Zufallsfunden“ sichern, letztlich also nur die Dogmatik der h.M. zum Sachbescheidungsinteresse festschreiben; dagegen soll er den Bauaufsichtsbehörden kein Ermessen in Bezug auf die zu prüfenden Vorschriften zusprechen, also kein zusätzliches fakultatives Prüfungsprogramm formulieren[422]. Dennoch wird die Norm von einzelnen Stimmen in der Literatur als Regelung eines Versagungsermessens gedeutet, so dass die Baugenehmigungsbehörde nunmehr Verstöße gegen jegliche öffentlich-rechtliche Vorschriften zu prüfen habe, um sich nicht dem Vorwurf der fehlerhaften Ermessensausübung in Form des Ermessensausfalls auszusetzen[423]. Auch die Rechtsprechung in Bayern hat stellenweise den neuen Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BayBO entgegen der gesetzgeberischen Intention ausgelegt und beispielsweise entschieden, dass die Bauaufsichtsbehörde ihr Prüfungsprogramm nach Belieben erweitern könne[424]. Nunmehr betont sie jedoch, dass Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BayBO allein der bauaufsichtlichen Verfahrensökonomie diene und ausschließlich eine behördliche Ablehnungsbefugnis begründe, ohne dass dadurch das Prüfprogramm als solches erweitert werde[425]. Dieser Streit zeigt vor allem eines: Um eine Verfahrensvereinfachung zu erreichen, hat man sich mit der Beschränkung der Prüfungsprogramme im Zuge der Deregulierung vor allem viele neue Probleme eingehandelt, die die Vorteile der Verfahrensvereinfachung letztlich überwiegen.
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Für den Rechtsschutz des Nachbarn hat die Einführung des vereinfachten Genehmigungsverfahrens zahlreiche unangenehme Folgen (im Einzelnen siehe Rn. 190 ff.).