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III. Schutz vor Verunstaltung

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Alle Landesbauordnungen kennen sog. Verunstaltungsverbote[507]. Was bauliche Anlagen betrifft, so haben die Bauordnungen gleich einen doppelten Anknüpfungspunkt: Zunächst wird bei den baulichen Anlagen selbst angesetzt (bauwerksbezogene Verunstaltung). Anlagen „sind so zu gestalten, dass sie nach Form, Maßstab, Werkstoff, Farbe und Verhältnis der Baumassen und Bauteile zueinander nicht verunstaltet wirken“[508]. Darüber hinaus kommt es aber auch auf ein gewisses Einfügen der baulichen Anlagen in ihre Umgebung an (umgebungsbezogene Verunstaltung). Die Anlagen müssen daher so beschaffen sein, dass „sie das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild nicht verunstalten oder deren beabsichtigte Gestaltung nicht beeinträchtigen“[509]. Weiterhin ist auch auf Kultur- und Naturdenkmale sowie auf erhaltenswerte Eigenarten der Umgebung Rücksicht zu nehmen[510].

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So einleuchtend und wichtig die Existenz der Verunstaltungsverbote auf der einen Seite sein mag – vielen sind verschandelnde Bauten ein Dorn im Auge –, so groß sind zugleich die Gefahren, die mit derartigen Normen verbunden sind: Zum einen lässt sich über Geschmack bekanntlich streiten; gerade deshalb darf es nicht der Staat sein, der sich, gestützt auf die Verunstaltungsverbote und in paternalistischer Manier, zum Hüter des „guten“ Geschmacks aufschwingt. Zum anderen besteht die Bestimmtheitsproblematik. Beidem sucht die Rechtsprechung durch eine restriktive Definition von Verunstaltung zu begegnen, was die Verwaltungspraxis aber nicht von einem vermehrten Rückgriff auf die Verunstaltungsverbote abhält[511]. Eine Verunstaltung soll nach der Rechtsprechung nur vorliegen, wenn der Anblick bei einem nicht unbeträchtlichen, in durchschnittlichem Maße für ästhetische Eindrücke aufgeschlossenen Teil der Betrachter nachhaltigen Protest auslöst[512], weil das Bauwerk als hässlich, belastend und unlusterregend empfunden wird und der sog. gebildete Durchschnittsmensch sich durch seinen Anblick verletzt fühlt[513]. Laut dem Bundesverfassungsgericht soll der Verunstaltungsbegriff damit den rechtsstaatlichen Anforderungen der Rechtsklarheit und -sicherheit genügen[514].

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Als verfassungsrechtlich problematisch erweist sich das Verunstaltungsverbot indes im Hinblick auf die sog. Baukunst. Sie ist von der Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, erfasst[515], so dass eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Verunstaltungsverbots nur über sog. verfassungsimmanente Schranken möglich ist. Daran ändert auch die ebenfalls einschlägige Eigentumsfreiheit, Art. 14 GG, nichts, weil sich bei schrankendivergierender Grundrechtskonkurrenz grundsätzlich das weniger leicht einschränkbare Grundrecht durchsetzt. Ein Eingriff ist danach nur gerechtfertigt, wenn er auch von den engeren Schranken des ‚stärkeren‘ Grundrechts gedeckt ist[516]. Das aber ist vorliegend die vorbehaltlos gewährleistete Kunstfreiheit. Es ist daher wenig überzeugend, wenn bei der Baukunst argumentiert wird, Art. 14 GG überlagere den individualistischen Grundbezug der Kunstfreiheit, weil der „Baukunst im Gegensatz hierzu ein gesellschaftlich-sozialer Bezug immanent“ sei[517]. Ebenso ist diejenige Rechtsprechung abzulehnen, die eine Begrenzung der Kunstfreiheit dadurch erreichen will, dass sie für die Baukunst die Eigentumsfreiheit gar als vorrangig gegenüber der Kunstfreiheit erachtet[518]. Denn diese Ansätze versuchen letztlich nur, wegen dogmatischer Schwierigkeiten bei der Rechtfertigung der Beschränkung der Baukunst (siehe unten Rn. 102 f.) auf Ebene des Schutzbereiches zu einer Begrenzung der Gewährleistung der Kunstfreiheit zu gelangen. Allerdings kann auf Rechtfertigungsebene bei der Abwägung der Kunstfreiheit mit anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern berücksichtigt werden, dass die Baukunst im Vergleich zu anderen Kunstformen in weit stärkerem Maße gemeinschaftsbezogen ist[519].

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Für die Bejahung des Schutzbereichs der Kunstfreiheit ist allerdings zunächst zu klären, was unter sog. Baukunst zu verstehen und wie diese von bloßem Bauhandwerk abzugrenzen ist. Dabei wirkt sich die Schwierigkeit, den Kunstbegriff ganz allgemein rechtlich einzuhegen, freilich auch darauf aus, den Begriff der Baukunst genauer zu bestimmen. Während es wohl zu weit ginge, fast jedem Gebäude einen künstlerischen Charakter zuzusprechen[520], lässt sich doch nicht verkennen, dass zahlreiche bauliche Anlagen künstlerische Elemente aufweisen. Zur Konkretisierung der allgemeinen Kunstdefinition wird vorgeschlagen, verschiedene Kriterien heranzuziehen, um den Begriff der Baukunst zu umgrenzen[521]. Genannt seien Originalität und Interpretationsfähigkeit des Baus, aber auch das Selbstverständnis[522] des Architekten sowie das nicht unproblematische Kriterium der Drittanerkennung in Form von Sachverständigenurteilen[523] oder der Rezeption des Bauwerks im Kunstbetrieb (Kunstliteratur, Ausstellungen). Dagegen muss dem Ausschlusskriterium der Zweckgerichtetheit[524], also der Funktionalität des Baus, eine Absage erteilt werden: Spätestens mit der Bauhaus-Bewegung fand die Funktionalität gerade Eingang in das Kunstverständnis[525].

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Für die meisten Fälle ist nach wie vor dogmatisch ungeklärt, wie eine Beschränkung der Kunstfreiheit durch ein Verunstaltungsverbot zu rechtfertigen sein soll. Während zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung für das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot im Außenbereich, § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauGB, die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG als verfassungsimmanente Schranke herangezogen werden kann[526], ist die Situation für die bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote ungleich schwieriger. Die Rechtsprechung argumentiert hier typischerweise mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, also der körperlichen Unversehrtheit. Es gehöre „ausweislich des Art. 2 Abs. 2 GG zu den staatlichen Aufgaben […], einen Beitrag zum allseitigen psychischen Wohlbefinden der Bürger sowie zum sozialen Frieden der Gemeinschaft zu leisten“, weshalb es sich der Staat „von Verfassungs wegen angelegen sein lassen darf, den Wirkbereich vorhandener baulicher Anlagen zu schützen und Unlustgefühle hervorrufende krasse Gegensätzlichkeiten und Widersprüche im Erscheinungsbild bebauter Gebiete abzuwehren“[527].

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Die Berufung auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG überzeugt ebenso wenig wie Versuche der Literatur, über Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein „Grundrecht auf Stadtgestaltung“ zu konstruieren[528], das als verfassungsimmanente Schranke der Kunstfreiheit dienen soll. In beiden Fällen wird der grundrechtliche Schutzanspruch überdehnt. Dies soll für die Ansicht der Rechtsprechung näher ausgeführt werden: Wenngleich zuzugeben ist, dass die Gewährleistung von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auch vor psychischen Beeinträchtigungen schützt, so ist doch zu fordern, dass diese aus Sicht eines objektiven Dritten körperlichen Schmerzen in ihrem Gewicht ungefähr entsprechen[529]. Denn das bloße Wohlbefinden ist gerade nicht geschützt[530]. Bei Anlegen dieses Maßstabs wird schnell deutlich, dass die Schwelle der körperlichen Unversehrtheit auch beim Anblick von hässlichen Bauwerken nicht überschritten ist. Auch das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) taugt nicht als verfassungsimmanente Schranke der Kunstfreiheit und zur entsprechenden Rechtfertigung des Verunstaltungsverbots; denn man wird wohl kaum behaupten können, dass der Schutz vor Verunstaltungen an Bauwerken eine „Mindestvoraussetzung für ein menschenwürdiges Dasein der Bürger“[531] darstellt.

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Eine unter rechtsstaatlichen und grundrechtlichen Gesichtspunkten problematische Besonderheit existiert in der BauO Berl, die in § 9 Abs. 3 eine spezielle Graffiti-Klausel vorsieht[532]. Ihr zufolge sind Farbschmierereien, unzulässige Beschriftungen, Beklebungen, Plakatierungen und Ähnliches an Außenflächen von Anlagen, die von Verkehrswegen oder allgemein zugänglichen Stätten aus wahrnehmbar sind, verunstaltend und müssen entfernt werden. In der Literatur stößt diese Berliner Regelung einhellig auf Ablehnung angesichts ihrer Unbestimmtheit, die im letzten Glied der Aufzählung („und Ähnliches“) besonders deutlich zum Ausdruck kommt[533], selbst wenn man an den Stewart-Test zu Pornographie denken mag – I know it when I see it[534]. Auch vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 3 GG erscheint die Graffiti-Klausel nicht unbedenklich. Zwar kann sich nach der Rechtsprechung des BVerfG derjenige nicht auf den Schutzbereich der Kunstfreiheit berufen, der fremdes Eigentum ohne Billigung des Eigentümers ,gestaltet‘[535]. Anders als im 2005 eingeführten Straftatbestand des § 303 Abs. 2 StGB, bei dem es ebenfalls um den Umgang mit Graffiti geht, kann der Tatbestand der Berliner Graffiti-Klausel allerdings auch durch den Eigentümer oder mit dessen Billigung verwirklicht werden[536], so dass die Kunstfreiheit sehr wohl einschlägig sein kann. Die Entfernungspflicht trifft den Eigentümer als Zustandsstörer, gegen den eine Entfernungsverfügung aufgrund der ordnungsbehördlichen Generalklausel ergehen kann[537].

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Neben den Verunstaltungsverboten kennen die meisten Landesbauordnungen das Instrument der örtlichen Bauvorschriften, die von den Gemeinden zur Durchführung baugestalterischer Absichten oder zum Schutz bestimmter Bauten erlassen werden können[538]. In einer eigenständigen Gestaltungssatzung oder – sofern das Landesrecht von der Möglichkeit des § 9 Abs. 4 BauGB Gebrauch gemacht hat[539] – im Bebauungsplan können bestimmte Gestaltungen ausgeschlossen oder vorgeschrieben werden[540].

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Gesonderte Erwähnung in den Anforderungen der Bauordnungen finden Werbeanlagen[541]. Dies erklärt sich daraus, dass sie schon aufgrund ihres Zwecks besonders auffällig gestaltet und damit in besonderem Maße geeignet sind, verunstaltend zu wirken[542]. Die diesbezüglichen Regelungen gelten auch für Werbeanlagen, die keine baulichen Anlagen sind[543]. Einige Bauordnungen verbieten – neben der Verunstaltung durch einzelne Werbeanlagen bzw. durch deren „störende Häufung“[544] – außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile sowie in Kleinsiedlungs-, Dorf- oder Wohngebieten sogar jede Werbung, die sich nicht an der Stätte der Leistung selbst befindet[545].

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