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1. Konzept

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Eine grundlegende Weichenstellung stellt es dar, dass der VerSanG-E – wie bereits der Kölner Entwurf – den Begriff „Verbandssanktionverwendet und von „Ahndung“ spricht, also einen Terminus nutzt, der bislang dem Ordnungswidrigkeitenrecht vorbehalten ist. Es soll bewusst nicht um die Einführung eines Unternehmensstrafrechts gehen (vgl. Rn. 137), sondern eine dritte Kategorie oder Spur begründet werden.[549] Damit sollen offenbar die dogmatischen Vorbehalte gegenüber der Strafbarkeit juristischer Personen vermieden, mithin die Akzeptanz wie beim Kölner Entwurf aus „rechtspolitischen Gründen“[550] gefördert und der Differenzierung zwischen Verbandsbuße und Verbandsstrafe lediglich „ästhetische Bedeutung“[551] beigemessen werden. Indes handelt es sich hierbei um einen „Etikettenschwindel“, da nicht ersichtlich ist, was das „Verbandssanktionenrecht“ von einem Verbandsstrafrecht wesentlich unterscheiden soll.[552] Erstens sind nicht etwa verschuldensunabhängige Sanktionen vorgesehen, sondern in Fortschreibung von § 30 OWiG verschuldensabhängige Sanktionen mit repressivem und präventivem Charakter. Der Vorwurf gegenüber dem Verband fußt auch hier auf der schuldhaften Begehung einer Straftat durch eine Leitungsperson bzw. durch eine Nicht-Leitungsperson und dem Unterlassen angemessener Vorkehrungen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VerSanG-E). Dem Verschulden natürlicher Personen wird damit eine kollektive Bedeutung in Form eines „Verbandsverschuldens“ zugeschrieben. Zweitens soll nicht nur spezialpräventiv die Compliance gefördert werden, sondern auch eine „Verbandsschuld“ ausgeglichen werden. Selbst im Fall der uneingeschränkten Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden wird die Verbandsgeldsanktion lediglich reduziert (§ 18 VerSanG-E). Ein Absehen von der Verfolgung kommt nur dann in Betracht, wenn die Bedeutung der Verbandstat bzw. in den Fällen der Begehung durch Nicht-Leitungspersonen auch die Schwere und das Ausmaß des Unterlassens angemessener Vorkehrungen nicht entgegenstehen (§ 36 Abs. 1 VerSanG-E). Drittens sind die Auswirkungen der Verbandssanktionen mit empfindlichen Geldstrafen vergleichbar, da die umsatzbezogenen Geldsanktionen, deren Zumessung sich an § 46 StGB orientiert, sehr hoch ausfallen können. Viertens sollen die Sanktionen in einem „Sanktionsverfahren“, für welches das Legalitätsprinzip gilt, durch Staatsanwaltschaften angeklagt, durch Strafgerichte festgesetzt und in ein Verbandssanktionenregister eingetragen werden. Kurzum: Die Verbandssanktionen orientieren sich am Strafrecht und es ist unklar, worin außer der abweichenden Bezeichnung der genaue Unterschied bestehen soll. Daher ist auch nicht ersichtlich, wie der „Übergang zu einem Unternehmensstrafrecht“[553] aussehen soll, den die Begründung des Referentenentwurfes in Aussicht stellt, wenn die Evaluierung des Gesetzes nach Ablauf von fünf Jahren zeigt, dass die Regelungen nicht ausreichen. Ehrlicher wäre es daher, der Öffentlichkeit „reinen Wein einzuschenken“ und von einem „Verbandsstrafrecht“ und „Verbandsstrafen“ zu sprechen.

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Nach der Begründung soll es im Unterschied zu § 130 OWiG in den Fällen der Begehung der Verbandstat durch eine Nicht-Leitungsperson (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E) nicht erforderlich sein, dass eine Leitungsperson eine Aufsichtsmaßnahme „vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen“ hat, da die Verbandsverantwortlichkeit an die „volldeliktisch begangene Verbandstat“ anknüpft; das Unterlassen von Vorkehrungen soll (nur) „objektiv“ festzustellen sein.[554] Damit würde jedoch unter Verstoß gegen den Schuldgrundsatz eine rein objektive „Gefährdungshaftung“ begründet,[555] da dann praktisch jede Verbandstat einer Nicht-Leitungsperson im Sinne der vicarious liability des US-amerikanischen Rechts (Rn. 121) eine Verbandsverantwortlichkeit auslösen könnte. Das Verschulden einer Leitungsperson, das bislang dem Verband über § 30 OWiG zugerechnet wird, würde seine Begrenzungsfunktion einbüßen, da die Begehung einer Verbandstat regelmäßig ein starkes Indiz dafür sein dürfte, dass Leitungspersonen des Verbandes „objektiv“ betrachtet angemessene Vorkehrungen unterlassen haben. Der Nachweis des Verschuldens einer Leitungsperson und damit eines Repräsentanten des Verbandes, der ihn mitorganisiert, wäre entbehrlich, womit eine an zivilrechtliche Haftungsstrukturen angelehnte ausufernde Verantwortlichkeit droht. Eine derartige Verbandsverantwortlichkeit, die auf eine Zufallshaftung hinausläuft (Rn. 121), geht zu weit. Auch der Kölner Entwurf wollte die Strafbarkeit des Verbandes „nicht zu weit“ fassen, sondern dessen Verantwortlichkeit gemäß dem Repräsentationsmodell auf das Tun und Unterlassen seiner Leitungspersonen beschränken.[556] Um ein Ausufern der Verbandsverantwortlichkeit zu vermeiden, muss Anknüpfungspunkt weiterhin – wie bei §§ 30, 130 OWiG – das Verschulden einer Leitungsperson sein, d.h. das vorsätzliche oder fahrlässige Unterlassen angemessener Vorkehrungen. Es stellt bereits eine ausreichende Extension dar, dass die Risikoerhöhungslehre im Verbandssanktionenrecht verankert wird, da die Verbandsverantwortlichkeit nicht erst dann besteht, wenn angemessene Vorkehrungen die Begehung der Verbandstat hätten „verhindern“ können, sondern bereits, wenn sie die Begehung der Verbandstat hätten „wesentlich erschweren“ können.

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Kritisiert wird weiter, dass die schwerwiegenden „großen“ Ordnungswidrigkeiten – etwa des Kapitalmarktrechts – nicht einbezogen werden,[557] obwohl dort gegen juristische Personen und Personenvereinigungen ebenfalls sehr hohe, teilweise noch höhere Verbandsgeldbußen bis hin zu 15 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes (§ 120 Abs. 18 S. 2 Nr. 1 WpHG) festgesetzt werden können. Die Verfolgung und Ahndung wird sich in diesem Bereich weiterhin nach den Vorschriften des OWiG richten, obwohl diese „keine zeitgemäße Grundlage mehr“ für die Verfolgung und Ahndung der Unternehmenskriminalität darstellen (Rn. 136). Außerdem hätte sich die Modernisierung des Ordnungswidrigkeitenrechts angeboten, um dort für die Verbandsgeldbuße des § 30 OWiG ebenfalls zeitgemäße Verfahrensregeln zu schaffen[558] und Lücken, insb. bei der Rechtsnachfolge, zu schließen,[559] die im Verbandssanktionsrecht durch die Regelung der sog. Ausfallhaftung nicht bestehen werden.

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Die Extension auf Auslandstaten wird im Ausland begangene Taten im Inland begangenen Verbandstaten gleichstellen, sofern der Verband zur Tatzeit „einen“ Sitz im Inland hat (§ 2 Abs. 2 VerSanG-E). Für Verbände, die den Satzungs- oder einen Verwaltungssitz in Deutschland haben, läuft dies auf eine Verantwortlichkeit für sämtliche im Ausland begangenen Straftaten hinaus, soweit diese verbandsbezogene Pflichten verletzen oder zu einer Vermögensmehrung des Verbands führen bzw. führen sollen. Dies dürfte zu zahlreichen praktischen Problemen führen, da die Sachverhalte regelmäßig im Ausland ermittelt werden müssen und entsprechende Rechtshilfeersuchen zu stellen sind.[560] Zudem geht in Konzernstrukturen die Verbandsverantwortlichkeit für sämtliche ausländischen Tochtergesellschaften zu weit.[561] Die Verbandsverantwortlichkeit setzt voraus, dass der Täter der Verbandstat dem Direktions- und Weisungsrecht einer Leitungsperson des Verbandes unterliegt, da sonst eine uferlose Verantwortlichkeit droht.[562]

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