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2. Beseitigung von strukturellen Defiziten, insb. Verschärfung der Sanktionen

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Die Begrenzung des Regelungsbereichs des VerSanG auf wirtschaftliche Vereine ist im Ansatz zu begrüßen. Die Begründung, dass die gewinnorientierte Betätigung mit erhöhten Risiken der Begehung von Straftaten durch Leitungspersonen und Mitarbeiter einhergeht und somit ein stärkerer Bedarf für den Einsatz von Verbandssanktionen besteht als bei Verbänden, die nicht am Markt tätig sind,[563] greift jedoch zu kurz. Denn Idealvereine dürfen ebenfalls wirtschaftlich tätig werden, sofern es sich „lediglich um eine untergeordnete, den idealen Hauptzwecken des Vereins dienende wirtschaftliche Betätigung im Rahmen des sogenannten Nebenzweckprivilegs handelt.“[564] Es genügt, dass die wirtschaftliche Nebentätigkeit funktionell unter die ideelle Haupttätigkeit untergeordnet ist und der wirtschaftliche Nebenzweck ein Hilfsmittel zur Erreichung des nicht wirtschaftlichen Zwecks ist.[565] Infolgedessen gibt es Idealvereine, deren wirtschaftliche Betätigung – absolut betrachtet – einen erheblichen Umfang hat. Durch die Ausgliederung eines nach Art und Umfang über einen Nebenzweck hinausgehenden Geschäftsbetriebs in einen eigenständigen Zweckbetrieb kann der Status als Idealverein gewahrt werden, wie die Rechtsprechung in Bezug auf den ADAC und seine Rechtsschutzversicherung klargestellt hat, selbst wenn die Tochtergesellschaft beherrscht wird.[566] Darüber hinaus dürfen aber auch die als Idealvereine verfassten Bundesligavereine mit ihren (erlösstarken) „Lizenzspielerabteilungen“, selbst wenn diese nicht ausgelagert sind, das Nebenzweckprivileg in Anspruch nehmen. Der erste Referentenentwurf des VerSanG hatte zu Recht angeführt, dass nicht rechtsfähige Vereine „selbst bei ideeller Tätigkeit häufig bedeutende wirtschaftliche Tätigkeiten entfalten“,[567] und wollte demzufolge alle Vereine einbeziehen. Die Begrenzung, die der finale Referentenentwurf vorgenommen hat, führt dazu, dass Idealvereine weiterhin nur nach § 30 OWiG sanktioniert werden können. Sachgerechter erscheint es, auch solche Idealvereine einzubeziehen, bei denen die wirtschaftliche Betätigung einen bedeutenden Umfang hat. Hierfür könnte ein Schwellenwert gesetzt werden.

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Im Übrigen sollen alle kleinen Unternehmen dem VerSanG unterworfen werden. Vorschläge, diese aus dem Regelungsbereich herauszunehmen,[568] sollten ernst genommen werden, da bei kleinen (wie auch vielen mittelständischen) Unternehmen die Kosten für Compliance – je nach Art des Geschäftsbetriebes – vergleichsweise hoch ausfallen, wodurch signifikante Wettbewerbsverzerrungen entstehen werden. Bei kleinen Unternehmen, die von persönlicher Bekanntheit und gegenseitigem Vertrauen sowie langjähriger enger Verbundenheit geprägt sind, dürfte die Integration komplexer und personalintensiver Compliance-Strukturen (Einrichtung eines Hinweisgebersystems, Aufstellung von Verhaltensrichtlinien, Mitarbeiterschulungen, fortlaufende Risikoanalyse, Durchführung von Kontrollen usw.) und die Durchführung kostspieliger interner Untersuchungen durch Externe regelmäßig nicht sachgerecht sein.[569] Damit werden sie die vorgesehenen Sanktionsmilderungen kaum in Anspruch nehmen können.[570] Im Übrigen ist nicht ersichtlich, warum auch bei kleinen Unternehmen ein zwingendes Bedürfnis für die Verschärfung des geltenden Rechts besteht, da das VerSanG vor allem deshalb eingeführt werden soll, um Großunternehmen und multinationale Konzerne angemessen zu sanktionieren (Rn. 136).

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Mit den vorgesehenen Verbandsgeldsanktionen können auch gegenüber Großunternehmen empfindliche Verbandssanktionen ausgesprochen werden. Allerdings lässt sich sowohl der Einsatz von umsatzbezogenen Sanktionen bereits bei einem Umsatz von 100 Mio. Euro, womit viele mittelständische Unternehmen betroffen sind, als auch das Höchstmaß von 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatz, das für viele Unternehmen eine Existenzbedrohung darstellen kann, kritisieren.[571] Damit werden die in Teilbereichen bereits vorhandenen (Rn. 44) umsatzbezogenen Sanktionen verallgemeinert.[572] Der Jahresumsatz gibt jedoch über die operative Gewinnmarge (EBIT-Marge) und damit die Ertragskraft keine Auskunft, womit die Gefahr besteht, dass die Verbandssanktionen die Unternehmen ungleich belasten. Denn während in klassischen Industriebereichen (Automobilindustrie, Konsumgüter) der Umsatz über die Masse erzielt wird und oft niedrige Gewinnmargen im unteren einstelligen Bereich erzielt werden, können die Gewinnmargen etwa in der IT-Industrie hoch sein und weit über 20 % betragen. Damit drohen Branchen mit geringen Gewinnmargen unverhältnismäßig stark belastet zu werden. Der VerSanG-E will dem entgegensteuern, indem – wie im Ordnungswidrigkeitenrecht – bei der Bemessung der Verbandsgeldsanktion die „wirtschaftlichen Verhältnisse“ berücksichtigt werden (§ 15 Abs. 2 S. 1 VerSanG-E). Entscheidende Bedeutung hat damit grds. die Ertragslage des Verbandes.[573] Eine Alternative wäre daher das auch in Österreich (§ 4 VbVG) geltende Tagessatzsystem,[574] das sich von vornherein an der Ertragslage des Verbandes orientiert. Zudem wird durch die vorgesehenen Regelungen das Ziel, „konkrete und nachvollziehbare Zumessungsregeln“ zu schaffen, nicht ohne Weiteres erreicht werden, da „Sentencing Guidelines“ wie im US-Recht bzw. „Bußgeldleitlinien“ wie im WpHG[575] fehlen.[576] Mangels Zumessungsrichtlinien müssen die Gerichte daher im Einzelfall in Anbetracht des großen Sanktionsrahmens die Höhe der Verbandsgeldsanktion mit Augenmaß festlegen und erst eine gleichmäßige und nachvollziehbare Verfolgungspraxis entwickeln. Angesichts dessen, dass auch im Individualstrafrecht regionale Unterschiede festzustellen sind, ist weiterhin eine uneinheitliche Handhabung zu erwarten, die das VerSanG eigentlich beseitigen soll.

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Kritisch ist es zu sehen, dass bei der Ermittlung des Sanktionsrahmens für den durchschnittlichen Jahresumsatz auf die wirtschaftliche Einheit abgestellt und der „weltweite Umsatz aller natürlichen Personen und Verbände der letzten drei Geschäftsjahre“ einbezogen werden soll (§ 9 Abs. 2 VerSanG-E).[577] Durch diese globale Betrachtung kann das Höchstmaß der Verbandssanktion sehr hoch ausfallen, selbst wenn nur in einer kleinen Einheit eine Leitungsperson oder – sofern angemessene Vorkehrungen unterlassen wurde – eine Nicht-Leitungsperson eine Verbandstat begangen hat. Damit „haftet“ der Konzern für alle Konzerngesellschaften, obwohl es sich rechtlich betrachtet um eigenständige Einheiten handelt und die Einflussmöglichkeiten rechtlich wie faktisch begrenzt sein können. Im Übrigen erscheint es fragwürdig, dass der Konzern zwar nicht der Verbandsverantwortlichkeit unterfallen soll, seine Umsätze aber für den Sanktionsrahmen maßgebend sein werden.[578]

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Weiter ist darauf hinzuweisen, dass neben der Verbandssanktion die Einziehung von Taterträgen nach den §§ 73 ff. StGB vorgesehen ist, da die Verbandssanktionierung – anders als die Verbandsgeldbuße – nicht zugleich der Entziehung des aus der Verbandstat erlangten wirtschaftlichen Vorteils dient. Da die Einziehung von Taterträgen dem (abgemilderten) Bruttoprinzip folgt, während die Vorteilsabschöpfung dem Nettoprinzip verhaftet war (und bei § 30 OWiG weiterhin ist), stellt dies eine weitere Verschärfung dar, womit in Kombination mit hohen Verbandsgeldsanktionen „drakonische“ Sanktionen drohen.[579]

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Bei der Verwarnung mit einem Verbandsgeldsanktionenvorbehalt ist als Weisung insb. der Nachweis bestimmter Vorkehrungen vorgesehen, also vor allem der Einsatz eines Compliance-Management-Systems durch eine sachkundige Stelle (z.B. eine Anwaltskanzlei). Dieses Instrument ist an den „Monitor“ des US-amerikanischen Rechts angelehnt, der als eine Art „Bewährungshelfer“ fungiert.[580] Gegen die Installation von Monitoren wird verbreitet eingewandt, dass diese kostenintensiv seien, was auf eine zusätzliche Sanktion hinauslaufe, und erheblichen Einfluss auf die Geschäfte nehmen könnten; nachhaltiger wären Investitionen in verbesserte Compliance-Management-Systeme.[581] Bei einigen deutschen Unternehmen, die mit US-Monitoren bereits Bekanntschaft gemacht haben (z.B. die Commerzbank AG[582]), stieß die Bestellung auf Vorbehalte.

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Schließlich dürfte die öffentliche Bekanntmachung (§ 14 VerSanG-E) in der Praxis faktisch auf ein „naming und shaming“ hinauslaufen,[583] das im anglo-amerikanischen Rechtskreis weit verbreitet ist und aus staatlicher Sicht als einfaches und sehr wirksames Instrument der Abschreckung gilt.[584] Durch diesen „Prangereffekt“ werden die betroffenen Unternehmen stark unter Druck gesetzt, die mit der Veröffentlichung drohenden Reputationsschäden, die vielfach schwerer als Verbandssanktionen wiegen, unter allen Umständen zu vermeiden.

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