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I. Genehmigungsverfahrensbeschleunigung, Planungsvereinfachung, Rechtsschutzreduktion

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Beschleunigungsdiskussion und -gesetzgebung der 1990er Jahre

Die Verwaltungsrechtsentwicklung der 1990er lässt sich zunächst mit „Verfahrensbeschleunigung zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschlands“ verschlagworten.[73] Dabei ging und geht es natürlich nicht um Verfahrensbeschleunigung als solche (dieses Ziel hätte sich auch durch beschleunigte Antragsablehnungen erreichen lassen), sondern um eine schnellere Zulassung von Vorhaben.[74] Dieses Ziel sollte (1.) durch Reduzierung des behördlichen Prüfungsumfangs sowie der Beteiligungsrechte von Drittbetroffenen und Umweltverbänden in Genehmigungs- und Planungsverfahren und (2.) durch Rechtsschutzeinschränkungen, insbesondere durch Reduzierung des verwaltungsgerichtlichen Instanzenzuges, Präklusionsvorschriften, Kontrolldichtereduzierungen und behördliche Nachbesserungsmöglichkeiten (Stichwort: Planerhaltung) erreicht werden. Die Nichteinhaltung des materiellen Rechts sollte nicht zwingend zu einer Versagung der Vorhabenzulassung oder jedenfalls nicht zu ihrer Aufhebung im Gerichtsverfahren führen.[75] Diese Beschleunigungsdebatte führte u. a. zum Planungsvereinfachungsgesetz vom 12.12.1993,[76] dem Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 12.9.1996,[77] dem Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren vom 9.10.1996,[78] dem „Abbau“ und der „Vereinfachung“ von Baugenehmigungsverfahren in den Landesbauordnungen[79] und schließlich zur 6. VwGO-Novelle vom 1.11.1996.[80] Erklärtes Ziel der Beschleunigungsgesetzgebung war, unabhängig von einem tatsächlichen Beschleunigungsbedarf durch „deutliche Beschleunigungsmaßnahmen“ einem möglicherweise bei Investoren bestehenden Eindruck entgegenzuwirken, Genehmigungs- und Gerichtsverfahren könnten in Deutschland zu lange dauern.[81]

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Krise der Verwaltungsgerichtsbarkeit?

Diese 6. VwGO-Novelle war zusätzlich durch die erheblich ansteigenden Asylbewerberzahlen bedingt, die schon 1993 zu dem „Asylkompromiss“ und damit zur Neufassung des Asylgrundrechts in Art. 16a GG durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.6.1993[82] geführt hatten. Damit war (vgl. insbesondere Art. 16a Abs. 4 GG) ein deutlicher Abbau der deutschen Asylverfahrensstandards ermöglicht worden.[83] Insgesamt war die Verwaltungsgerichtsbarkeit in den 1990er Jahren von politischer Seite vor allem als „Bremse“ für den „Aufbau Ost“, den „Wirtschaftsstandort Deutschland“ und für alle notwendig erachteten Verwaltungsreformen wahrgenommen worden.[84] Insoweit artikulierten sich jetzt deutlich die Vorbehalte, die bereits in den 1980er Jahren gewachsen waren.[85] Dabei gingen auch den VwGO-Reformen der 1990er Jahre weder eine wirkliche Analyse der Ursachen der Verfahrensdauer vor den Verwaltungsgerichten noch Überlegungen dazu voraus, welche Funktionen die Verwaltungsgerichte in der Bundesrepublik Deutschland (in Zukunft) wahrnehmen sollten.[86]

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Neuauflagen der Beschleunigungsdiskussion

Die Beschleunigungsgesetzgebung war jedoch auch deshalb problematisch, weil ihr Konzept der Zulassungsbeschleunigung durch Verfahrens- und Rechtsschutzeinschränkungen teilweise schon in den 1990er Jahren im Gegensatz zum europäischen Umweltrecht stand, das eher auf eine Stärkung des Umweltschutzes auch und gerade durch Ausweitung des Prüfgegenstands von Genehmigungs- und Planungsverfahren, durch breite Öffentlichkeitsbeteiligung und großzügigen Gerichtszugang setzte.[87] Dennoch wurden durch das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben vom 9.12.2006[88] die „bewährten“ Instrumente der Verfahrensbeschleunigung weiter ausgebaut.[89] Diese Regelungen wurden durch das Gesetz zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung des Planfeststellungsverfahrens vom 31.5.2013[90] in das VwVfG integriert. Dabei bekam das Gesetzgebungsverfahren aufgrund der Proteste um „Stuttgart 21“ jedoch einen teils gegenläufigen „Dreh“ mit der Einführung der „frühen Öffentlichkeitsbeteiligung“ in § 25 Abs. 3 VwVfG.[91] Bereits zuvor hatte sich das Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG) vom 28.7.2011[92] an einer Kombination von Ausweitung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Planungsbeschleunigung versucht – wohl eher mit mäßigem Erfolg.[93] Dass mehr an Öffentlichkeitsbeteiligung zu einem Mehr an Akzeptanz für ungeliebte Vorhaben führt, hat sich bisher jedenfalls nicht feststellen lassen.[94] Vielleicht gewinnt die Beschleunigungsdebatte deshalb seit 2018 wieder erneut an Fahrt. Konkret geht es um eine (weitere) Diskussion über das Beschleunigungspotenzial der Legalplanung, die (u. a.)[95] in das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz (MgVG) vom 22.3.2020[96] mündete, das nunmehr ein Planungsverfahren für Legalplanungsgesetze vorsieht.[97]

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Weiterer Abbau von Verfahrensrechten nicht zielführend

Die eigentlichen Ursachen zu langsamer Realisierung von Großvorhaben in Deutschland werden bei alledem nur selten analysiert.[98] Auch insoweit kann die aktuelle Diskussion als Neuauflage der Debatte der 1990er Jahre gesehen werden. Zielführende Vorschläge zur Kodifizierung des Rechts der Eröffnungskontrollen (Genehmigungs- und Anzeigeverfahren) im VwVfG[99] sind deshalb bisher nicht aufgenommen worden. Mit dem Beirat Verwaltungsverfahrensrecht beim BMI[100] ist jedenfalls anzunehmen, dass jenseits einer gesetzgeberischen Vereinheitlichung des Fach-Verwaltungsrechts, die eine Verfahrensstandardisierung ermöglichen würde, die gesetzgeberischen Möglichkeiten einer Beschleunigung von Planungs- und Zulassungsverfahren durch Abbau von Verfahrensrechten erschöpft sind.[101] Der Schwerpunkt ist auf eine hinreichende Ausstattung der Genehmigungsbehörden und auf eine Vereinfachung und Konkretisierung der materiellen Vorgaben zu legen.

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Abbau des Widerspruchsverfahrens

Ebenfalls im Kontext der Beschleunigungsdiskussion ist die durch die 6. VwGO-Novelle[102] erfolgte Streichung der Worte „für besondere Fälle“ in § 68 Abs. 2 S. 2 VwGO zu sehen. Dies ermöglicht den Ländern seit 1997, das Widerspruchsverfahren nach den §§ 68 ff. VwGO in allen Fällen abzuschaffen, in denen das Land zuständig ist. Umfasst sind auch Fälle des Vollzugs von Bundesrecht. Seit Mitte der 2000er Jahre haben zahlreiche Länder in unterschiedlichem Umfang von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.[103] In den jeweiligen Gesetzesbegründungen wurde insoweit auf eine fehlende bzw. nicht nachgewiesene Effizienz des Vorverfahrens, das Interesse der Verfahrensbeschleunigung und Kostenersparnis verwiesen.[104] Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben das Vorverfahren nahezu vollständig abgeschafft (und diese Abschaffung mit leichten Modifikationen als grundsätzlich „bewährt“ beibehalten).[105] Dagegen wird in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern das Vorverfahren in bestimmten Bereichen dem Bürger als „Option“ angeboten, was als interessantes Modell angesehen wird.[106] Die (rechts-)politische Diskussion über das Für und Wider der Abschaffung des Vorverfahrens greift vielfach auf nur unvollständiges bzw. wenig aussagekräftiges Zahlenmaterial zurück, das zudem i. d. R. unterschiedlich bewertet wird.[107] Da in der politischen Diskussion weitgehend übereinstimmende Argumente für die Abschaffung des Vorverfahrens vorgebracht wurden, ist es zudem erstaunlich, dass in den Ländern ganz unterschiedliche Bewertungen getroffen werden, in welchen Fällen dennoch das Vorverfahren für unverzichtbar erachtet wird: Teilweise wird etwa ein Vorverfahren in Baugenehmigungsverfahren für entbehrlich erachtet, während es in Kommunalabgabenangelegenheiten für unerlässlich gehalten wird; in anderen Ländern ist es genau umgekehrt.[108] In der (kommunalen) Praxis ist zudem mit verschiedenen Konstruktionen versucht worden, trotz Abschaffung des Vorverfahrens zu verhindern, dass betroffene Bürger zur Vermeidung der Bestandskraft verwaltungsgerichtliche Klagen erheben, ohne der Behörde Möglichkeiten der Selbstkorrektur zu geben.[109] Dies hat nunmehr den niedersächsischen Gesetzgeber dazu bewegt, in § 80 Abs. 3 des Niedersächsischen Justizgesetzes (NJG)[110], der Behörde zu ermöglichen, gegenüber Verwaltungsakten, die auf Grundlage abschließend aufgezählter Rechtsvorschriften erlassen werden, die Notwendigkeit eines Vorverfahrens anzuordnen (sog. „Behördenoptionsmodell“). Dabei wird angenommen, dass diese Anordnung bezogen auf vergleichbare Bescheide nur einheitlich ergehen kann.[111] Damit werden letztlich Art und Umfang des dem Bürger gewährten Rechtsschutzes von einer behördlichen Entscheidung abhängig gemacht. Zu begrüßen sind dagegen die Bemühungen einiger Bundesländer, die Befriedungsfunktion des Widerspruchsverfahrens u. a. durch mündliche Erörterungen zu stärken.[112]

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