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VII. Verwaltungsdigitalisierung und Informationsverwaltungsrecht
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E-Government-Gesetzgebung
Spätestens um die Jahrtausendwende hat sich die Frage der Auswirkungen der digitalen Revolution auch für die (deutsche) öffentliche Verwaltung gestellt.[198] Die Entwicklung der deutschen E-Government-Gesetzgebung vom Dritten Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 21.8.2002[199] über die E-Government Gesetze des Bundes und der Länder,[200] die Ermöglichung vollautomatisierter Verwaltungsverfahren in den Verwaltungsverfahrensgesetzen durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.7.2016[201] bis hin zum Onlinezugangsgesetz vom 14.8.2017[202] ist dabei schon oft nachgezeichnet worden, sodass hierauf verwiesen werden kann.[203] Trotz der erheblichen gesetzgeberischen Aktivitäten – auch in der mit der E-Government-Gesetzgebung nicht wirklich abgestimmten E-Justice-Gesetzgebung[204] – ist der deutsche Umsetzungsstand im europäischen Vergleich enttäuschend.[205] Selbst wenn der Gesetzgeber elektronisches Verwalten nicht nur ermöglicht, sondern die Verwaltung – etwa durch Setzen von Umsetzungsfristen – zur Einführung elektronischer Verwaltung verpflichtet,[206] geschieht i. d. R. (fristgerecht) nicht viel.
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Kann E-Government gesetzlich erzwungen werden?
Die E-Government-Gesetzgebung hat damit neue Formen von Vollzugsdefiziten bewirkt und wirft die Frage nach der Rolle des Gesetzgebers bei der Implementation von Verwaltungsmodernisierungspolitiken auf. Natürlich muss auch E-Government rechtlich eingehegt und an gesetzliche Vorgaben gebunden werden, ebenso wie seine Produkte an rechtlichen Maßstäben zu messen sind und im Grundsatz „normalen“ Rechtsschutz- und Staatshaftungsanforderungen unterliegen.[207] Schon die Umschreibung technischer Anforderungen in der Gesetzessprache führt aber i. d. R. zu kaum verständlichen Texten, weil sie sich in extremer Abstraktionshöhe auf Gegenstände beziehen, die nur virtuell vorhanden sind und die daher dem Anwender „gezeigt“ werden müssen, damit er versteht, was von ihm verlangt wird. Eine Kommentierung von Vorschriften nach Art des § 37 Abs. 3 S. 2 VwVfG, die auch von denen verstanden wird, die nicht ohnehin wissen, was gemeint ist, ist etwa kaum möglich. Im Übrigen können Gesetze die Verwaltung kaum wirksam verpflichten, eine bestimmte Reformagenda zum Erfolg zu führen. Dies gilt insbesondere, wenn sie sich – wie z. B. das Onlinezugangsgesetz – darauf beschränken, zeitliche und inhaltliche Zielvorgaben aufzustellen, ohne gewährleisten zu können, dass entsprechende funktionstüchtige Software auf dem Markt erhältlich ist bzw. in Zusammenarbeit zwischen Markt und Staat entwickelt und vom Behördenpersonal mit der vorhandenen Ausstattung auch tatsächlich genutzt werden kann.
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Informationsverwaltungsrecht
Eng mit der digitalen Revolution und mit der E-Government Diskussion verbunden ist auch das, was teilweise als „Informationsverwaltungsrecht“ bezeichnet wird.[208] Es geht hier nicht nur um den in den Informationsfreiheits- und Transparenzgesetzen geregelten Zugang des Einzelnen zu staatlichen Informationen, sondern auch um das Informationsweiterverwendungsrecht,[209] Fragen der Publikumsinformation und Öffentlichkeitsarbeit, die Errichtung von Datenbanken und Plattformen (z. B. über Geodaten[210]), das Recht des Informationsaustauschs zwischen Behörden und letztlich alle mit der Open Data und Open Government Diskussion zusammenhängenden Fragen.[211] Damit regelt das Informationsverwaltungsrecht vornehmlich (als Querschnittsaufgabe)[212], die Organisation und die Verwendung des Wissens, das die Verwaltung in verschiedenen Zusammenhängen gesammelt und aufbereitet hat. Wie kann unter Beachtung des Datenschutzes dem Anliegen Rechnung getragen werden, dasselbe Wissen nicht immer wieder neu generieren zu müssen und es auch unabhängig von konkreten Verfahren zur Politikvorbereitung oder auch in der Privatwirtschaft (gegen Entgelt) zu nutzen?
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Verwaltungsorganisation von Verwaltungsverfahren
Informationsverwaltungsrecht und E-Government-Gesetzgebung führen zu einer verwaltungsorganisationsrechtlichen (holistischen) Perspektive auf das Verwaltungs(verfahrens)recht: Das VwVfG hat eine „vereinzelnde“ Sicht auf die Entscheidungsabläufe in der Verwaltung: Es teilt die „flutende Masse der Verwaltungstätigkeit“ letztlich in unabhängig voneinander bestehende Kommunikationsbeziehungen zwischen der Behörde und den jeweiligen Verfahrensbeteiligten auf und vereinzelt diese in nebeneinander herlaufende Verwaltungsrechtsverhältnisse. Die E-Government-Gesetzgebung wie das Informationsverwaltungsrecht nehmen dagegen die Organisation von Arbeitsabläufen der Verwaltung insgesamt in den Blick, sodass Verwaltungsorganisationsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht zu einem Recht der Wissensorganisation und der Workfloworganisation verschwimmen.[213] Bei dieser Sichtweise steht nicht so sehr die Frage nach den Fehlerfolgen rechtswidrigen Verwaltungshandelns im Vordergrund als die Frage der Möglichkeiten präventiver „Programmierung“ der Verwaltung dergestalt, dass rechtmäßige und darüber hinaus hoffentlich auch sonst gute Entscheidungen getroffen werden.
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(Voll-)Automatisierte Verwaltung
Das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.7.2016[214] hat schließlich das VwVfG auch für vollautomatische Verwaltungsentscheidungen – im Vergleich zum Abgabenrecht behutsam – geöffnet.[215] Wie insbesondere § 88 Abs. 5 und § 155 Abs. 4 AO verdeutlichen, besteht die Besonderheit vollständig automationsgestützter Verwaltungsverfahren vor allem darin, dass sich die Automatisierung auch auf die Sammlung, Auswertung und Verifizierung der bei der Entscheidung zu berücksichtigenden Sachverhaltselemente erstreckt und nicht nur auf die Rechtsanwendungs- bzw. Subsumtionsstufe und die Bescheidformulierung begrenzt ist.[216] Dies hat etwa zur Folge, dass der Wahrheitsgehalt der Angaben der Beteiligten i. d. R. nicht geprüft wird, die Einzelkontrolle der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Angaben also letztlich durch eine standardisierte Plausibilitätskontrolle ersetzt wird.[217] Im Anwendungsbereich des VwVfG wirft dies vor allem die Frage auf, welche Verwaltungsverfahren technisch und rechtlich für eine Vollautomation geeignet sind.[218] Insoweit können sich etwa rechtliche Grenzen aus dem Profiling-Verbot des Art. 22 der DSGVO oder praktische Grenzen aus Gründen fehlender Standardisierbarkeit bei zu komplexen Verfahren ergeben.[219] Anders als dies die systematische Stellung und der Wortlaut des § 35a VwVfG nahelegen, ist auch die Frage der (möglichen) Vollautomatisation von Verwaltungsverfahren eine allgemeine Frage der Organisation des Arbeitsablaufs in einer Behörde[220] und ist nicht für jedes einzelne Verwaltungsverfahren i. S. d. § 9 VwVfG neu zu entscheiden.[221] All diese Fragen sollten nicht mit der Frage vermengt werden, ob die Verwaltung auch selbstlernende Algorithmen (Künstliche Intelligenz) bei der Erfüllung ihrer Aufgaben einsetzen darf.[222] Hierfür dürfte schon nach dem institutionellen Gesetzesvorbehalt mindestens eine auf den konkreten Einsatz eines konkreten Algorithmus bezogene Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers erforderlich sein, sodass selbstlernende Algorithmen jedenfalls nicht experimentell und unter der Hand eingeführt werden dürfen.