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D. Deutsche Verwaltung in der Europäischen Integration

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Gemeinschaftsrecht, Wiedervereinigung, Einheitliche Europäische Akte

Es wurde bereits erwähnt, dass erst um 1990 der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft deutlich geworden ist, dass die Europäische Integration nicht nur Spezial- und Randmaterien des Wirtschaftsverwaltungs- und Ausländerrechts betrifft, sondern Auswirkungen auf die deutsche Verwaltung und Verwaltungsrechtsgesetzgebung insgesamt haben kann:[223] Zunächst hatte die Wiedervereinigung den Umfang des sich bis dahin entwickelten acquis communautaire für den deutschen Gesetzgeber und die deutsche Verwaltung sichtbar gemacht.[224] Zudem ermöglichte die Einheitliche Europäischen Akte von 1986 die Sekundärrechtssetzungstätigkeit der Gemeinschaften auf Bereiche zu erstrecken, die bisher allenfalls in Zusammenhang mit den Grundfreiheiten (und nur in den Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug) als vom Gemeinschaftsrecht umfasst angesehen worden waren. Schon aufgrund der RL 85/337/EWG[225] über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten war zudem für die sich in den 1970er und 1980er Jahren etablierte und einflussreiche deutsche „Umweltrechtszene“ erkennbar geworden, dass das neue „Umweltgemeinschaftsrecht“ durchaus quer zur deutschen Umweltgesetzgebung liegen konnte.[226]

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Sekundärrechtliche Umgestaltungen des Verwaltungsrechts seit 1990

Verstärkt wurde die Bewusstwerdung des Einflusses des Gemeinschaftsrechts auf das deutsche Verwaltungsrecht durch die Entwicklungen in der europäischen Wettbewerbspolitik, die Bereiche der klassischen Daseinsvorsorge auf der kommunalen Ebene erreichte. Viele Kommunalvertreter sahen hierin eine Überforderung, welche die kommunale Selbstverwaltung in Frage stellte.[227] Hinzu trat die RL 89/665/EWG[228] zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge mit dem Zwang, effektiven Bieterschutz im Vergaberecht einzuführen. Dies widersprach der deutschen Vergaberechtstradition und wurde vor allem als Überformalisierung des Vergaberechts verstanden[229] – die aufgrund des damals noch herrschenden Verständnisses der Art. 1 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG auch nicht als verfassungsrechtlich geboten angesehen wurde.[230] Mit Befremden ist auch der Regelungsgegenstand der Richtlinie 90/313/EWG[231] über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt zur Kenntnis genommen worden, die die (Bundes-)Politik (unabhängig von der Aufarbeitung des DDR-Unrechts)[232], zu einem Bruch mit der nationalen Tradition der geheimen Verwaltung zwang.[233] Mit der Vergemeinschaftung des Ausländer-, Asyl-, Flüchtlings- und Migrations(folge)rechts durch den Vertrag von Amsterdam (1997) als Bestandteil des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (heute Art. 67 ff. AEUV) wurde zudem und zunehmend etwas dem Regelungszugriff des deutschen Gesetzgebers und der deutschen Politik entzogen, was oft als Kernbereich nationaler Souveränität verstanden wird.[234] Schließlich sind die RL 2006/123/EG[235] über die Dienstleistungen im Binnenmarkt und die RL 2005/36/EG[236] über die Anerkennung von Berufsqualifikationen zu nennen, die erhebliche Auswirkungen auf den gesamten Bereich des Gewerberechts und des Gewerbenebenrechts haben.[237]

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Zunehmende Bedeutung des Unionsrechts in der Verwaltungspraxis

Seit den 1990er Jahren wurde damit immer deutlicher, dass das Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht nicht (nur) einige Fachverwaltungen wie die Kartellbehörden oder Spezialgebiete wie das Landwirtschaftsrecht oder das Ausländerrecht betrifft,[238] sondern letztlich alle wichtigen „Referenzgebiete“ des besonderen Verwaltungsrechts erfasst. Das Gemeinschafts- bzw. Unionssekundärrecht kommt aber mit zunehmender Funktionsfähigkeit der 1998 in Betrieb genommenen EUR-Lex-Datenbank[239] auch immer mehr tatsächlich in der Praxis an: EUR-Lex machte das Unionsrechtsekundärrecht für viele deutsche Rechtsanwender erstmals mit zumutbarem Aufwand in einer Weise recherchierbar, die seine tatsächliche gerichtliche und außergerichtliche Geltendmachung ermöglicht. Zugleich wird betont, dass deutsche Behörden schon aufgrund des Art. 20 Abs. 3 GG an Unionsrecht gebunden sind.[240] Dies alles hat zur Frage der Rolle der deutschen Verwaltung in der Europäischen Integration geführt.[241] Zugleich stellt sich zunehmend die Kernfrage, ob und in welchem Umfang der Anwendung und Auslegung von Unionsrecht durch den deutschen Rechtsanwender eigentlich dieselben Rechtsanwendungsroutinen zugrunde gelegt werden können wie der Anwendung von nationalem Recht.[242]

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