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Mythos Tannenberg

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Nahezu unbemerkt von der Weltöffentlichkeit fand zur gleichen Zeit im Osten eine Schlacht statt, die den Ruhm eines Mannes begründete, der alsbald einen wahren Personenkult im Deutschen Reich auslöste. General Paul von Hindenburg war längst im Ruhestand, als er mit der Aufgabe betraut wurde, die Verteidigung Ostpreußens zu organisieren. Ihm zur Seite gestellt wurde Erich Ludendorff, der sich erst wenige Wochen zuvor als Eroberer von Lüttich Meriten erworben hatte. Die deutsche Oberste Heeresleitung war davon ausgegangen, dass sich die russische Mobilisierung über Wochen hinziehen würde. Unerwartet schnell jedoch waren russische Armeen in Ostpreußen einmarschiert. Die dortige Zivilbevölkerung war in Panik geflohen. Die deutsche Propaganda schürte die Angst vor den wütenden »Kosaken«. Doch die Truppen des Zaren waren schlecht ausgebildet und mangelhaft bewaffnet. Nicht jeder russische Soldat hatte ein eigenes Gewehr.

Hindenburg und Ludendorff gelang es Ende August 1914, obwohl die Deutschen zahlenmäßig unterlegen waren, in einer nur vier Tage andauernden Umfassungsschlacht die russische Armee vernichtend zu schlagen. 50 000 russische Soldaten fielen, 92 000 gerieten in Gefangenschaft. Zum ersten Mal in der Geschichte hörte man von solch hohen Opfer- und Gefangenenzahlen als Folge einer einzigen Schlacht. Für die Menschen im »Reich« aber wurde Tannenberg zum ersehnten Siegesmythos, wenngleich das Hauptgebiet der Kampfhandlungen bei Hohenstein lag, etwa 15 Kilometer von Tannenberg entfernt. Mit der Umbenennung in »Schlacht bei Tannenberg« wollte man die schmachvolle Niederlage der »Ritter des Deutschen Ordens« gegen die litauisch-polnische Union aus dem Jahr 1410 vergessen machen. Hindenburg wurde postwendend zum »Retter des Vaterlands« erklärt. Überlebensgroß stand sein Abbild nun als riesige Holzfigur in vielen deutschen Städten – als Werbeträger für Kriegsanleihen.

In Berlin herrsche nach der Schlacht von Tannenberg Anfang September 1914 »Jubelstimmung«, schrieb die Künstlerin Käthe Kollwitz in ihr Tagebuch, »als ob der Krieg schon beendet sei«. Die russische »Dampfwalze« war ausgebremst, und auch im Westen schien ein Sieg zum Greifen nahe.

Strategie ohne Alternative

Der Schlieffenplan

»Macht mir den rechten Flügel stark«, sollen die letzten Worte des Sterbenden gewesen sein. Generalfeldmarschall Alfred Graf von Schlieffen, von 1891 bis 1906 Chef der Obersten Heeresleitung, glaubte den Weg zum Sieg in einem künftigen Krieg gefunden zu haben. Der »Schlieffenplan« war sein Lebenswerk. Nach der Nichtverlängerung des Rückversicherungsvertrags mit Russland unter Bismarcks Nachfolger Caprivi hatte sich das Zarenreich mit der französischen Republik verbündet. Das deutsche Kaiserreich sah sich der Gefahr eines Zweifrontenkrieges ausgesetzt. Schlieffens Denkschrift, 1905 unter dem Titel »Krieg gegen Frankreich« zu Papier gebracht, postulierte einen schnellen Feldzug gegen den Westen. »Der erste Schlag muss mit voller Kraft geführt werden, und es muss eine wirkliche Entscheidungsschlacht stattfinden«, so Schlieffens Überlegung. Dann, so glaubte er, könne sich die kaiserliche Armee in Ruhe Russland zuwenden.

Unter Schlieffens Nachfolger Moltke »dem Jüngeren« wurde sein Plan zum Dogma, zum »einzigen Weg zum Sieg«. Bei Kriegsausbruch 1914 folgte dieser Schlieffens Strategie mit nur geringfügigen Änderungen. Den Praxistest bestand der Schlieffenplan indes nicht, Russland machte schneller mobil als erwartet. Bereits Ende August 1914 kam es zum Kampf um Ostpreußen. Großbritannien erklärte wider Erwarten dem Kaiserreich den Krieg, nachdem deutsche Soldaten im neutralen Belgien einmarschiert waren. Die Logik des Schlieffenplans erzeugte einen immensen Zeitdruck, der in der sogenannten Julikrise kaum Raum für Verhandlungen ließ. Deutschland vergab damit ohne Not die Möglichkeit auf eine politische Lösung des Konflikts. ▪

Sechs Wochen nach Kriegsausbruch, so hatte es der Schlieffenplan gefordert, sollte es vor Paris zur entscheidenden Schlacht gegen Frankreich kommen. Und tatsächlich, die deutsche Armee lag im Zeitplan. Am 2. September war die französische Regierung aus Paris nach Bordeaux geflohen. In der französischen Hauptstadt bereitete Stadtkommandant Gallieni bereits die Sprengung der Seine-Brücken vor. Die kaiserliche Armee stand nur noch 18 Kilometer vor der Stadt. In der Ferne konnten deutsche Patrouillen bereits den Eiffelturm sehen. Doch bei aller Siegeszuversicht, es gab ein Problem: Die deutschen Truppen waren so weit vorgedrungen, dass sie von ihrer eigenen Versorgung abgeschnitten waren. Dazu kam, dass die Kommunikationswege nahezu zerstört waren. Die Übermittlung drahtloser Meldungen dauerte oft 24 Stunden und konnte von den Franzosen abgefangen werden. Ohne Verbindung zum eigenen Hauptquartier im Hunderte von Kilometern entfernten Luxemburg und durch anstrengende Gewaltmärsche geschwächt, war die Ausgangssituation für die geplante letzte militärische Auseinandersetzung schwierig.

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