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Im Schlamm von Flandern

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Die Schlacht an der Marne beendete nicht den Krieg, aber sie war eine Niederlage »napoleonischen Ausmaßes«, wie der Historiker Hew Strachan formuliert, die Wende im Krieg. Ob durch Moltkes Rückzugsentscheidung eine drohende Einkesselung verhindert oder aber der Sieg verspielt worden war – diese Fragen gaben nach dem Krieg Anlass für Legendenbildungen. Fakt ist, dass mit dem Rückzug zur Aisnestellung der Schlieffenplan gescheitert war. Sechs Wochen nach Kriegsausbruch war klar, dass die Vorstellung von einem Blitzkrieg eine Illusion gewesen war.

Die Mittelmächte hatten die Offensive verloren. »Das Wunder an der Marne«, wie es die Franzosen nannten, bildete den Übergang vom Bewegungs- zum Stellungskampf. Jetzt begann jener fatale Abnutzungskrieg, der Millionen Opfer fordern und doch keine Entscheidung bringen sollte. Die Truppen gruben sich ein. Entlang der Front von der belgischen Küste bis zur schweizerischen Grenze entstand ein ausgeklügeltes System mit Kampfgräben, Rückzugslinien, Stollen und Bunkern. Dabei achtete die Generalität darauf, dass sich die Soldaten nicht zu häuslich einrichteten. Bunker müssten auf 1,20 Meter Höhe beschränkt sein, hieß es etwa in einem deutschen Regimentstagebuch, »größere Bauten würden die Offensivbereitschaft der Truppen negativ beeinflussen. Das Endziel heißt immer die Eroberung der britischen Stellungen.« Regen und Grundwassereinbrüche erforderten ständige Nachbesserungen, die Schaufel wurde neben dem Gewehr zum wichtigsten Werkzeug der Soldaten. In den Schützengräben wimmelte es von Ratten. Häufig kamen die Essensrationen nicht durch bis an die Front. Der Maler Otto Dix, im August 1914 als Freiwilliger eingerückt, fasste in seinem Tagebuch das Soldatenleben in wenigen bitteren Worten zusammen: »Läuse, Ratten, Drahtverhau, Flöhe, Granaten, Bomben, Höhlen, Leichen, Blut, Mäuse, Katzen, Gase, Kanonen, Dreck, Kugeln, Mörser, Feuer, Stahl, das ist der Krieg. Alles Teufelswerk!« Otto Dix sollte den Krieg überleben und in seinem künstlerischen Werk das erlebte Inferno verarbeiten.

Während die Soldaten an der Front längst alle Illusionen verloren hatten, fieberten in der Heimat noch Hunderttausende ihrem Einsatz entgegen. Einer von ihnen war der 25-jährige Postkartenmaler Adolf Hitler. »Eine einzige Sorge quälte mich in dieser Zeit, mich wie so viele andere auch«, diktierte er später seinem Sekretär Rudolf Hess, »ob wir nicht zu spät zur Front kommen würden.« Gleich nach Kriegsausbruch hatte er sich als Freiwilliger bei der bayerischen Armee gemeldet. Erst im Februar 1914 hatten ihn die österreichischen Behörden an seinem neuen Aufenthaltsort München aufgespürt und vorgeladen. Doch der Wehrdienst in der ihm verhassten Habsburger-Monarchie war Hitler erspart geblieben: Er wurde als körperlich »untauglich« ausgemustert. Nun wollte er in den Krieg ziehen, auf deutscher Seite! Im allgemeinen Durcheinander der ersten Kriegstage gelang es ihm, als Österreicher, in das königlich-bayerische Reserve-Infanterieregiment 16, nach dem ersten Kompaniechef auch »Regiment List« genannt, aufgenommen zu werden.

Entgegen dem Bild, das später in der Öffentlichkeit gezeichnet wurde, bestand Hitlers Kompanie nur zu einem geringen Teil aus Studenten und Schülern, die sich freiwillig gemeldet hatten und wenig mehr als ihre Begeisterung und Opferbereitschaft mitbrachten. Die Mehrzahl seiner Kameraden waren mobilisierte Reservisten, doch auch sie hatten nur wenig militärische Vorbildung. In gerade einmal zwei Monaten sollten diese Männer nun zu Soldaten ausgebildet werden, um Ende Oktober an der Front zur Verfügung zu stehen. Sie waren Teil von sechs neuen Korps, die Mitte August 1914 auf Wunsch des damaligen preußischen Kriegsministers Erich von Falkenhayn ausgehoben wurden und alsbald die bereits eingezogenen Soldaten entlasten sollten. Die knappe Zeit ließ indes nur eine rudimentäre militärische Schulung zu. Die Waffen, die dabei zum Einsatz kamen, hatten wenig mit jenen gemein, die man ihnen später an der Front in die Hand drückte. Überall fehlte es an Uniformen und Übungsgerät. Anfang Oktober erhielten die Reservisten im Rahmen eines Großmanövers eine zehntägige Gefechtsausbildung. Für den eher schwächlichen Hitler »die anstrengendsten Tage meines Lebens«. Dann ging es mit dem Zug an die Westfront.

Der neue Generalstabschef brauchte nach dem Debakel an der Marne dringend einen militärischen Sieg. Falkenhayns Plan war, die neuen Truppen in Flandern einzusetzen, dort die alliierte Front zu durchbrechen und in einem »Wettlauf zum Meer« die französischen Kanalhäfen zu besetzen, um dann die Flanke der Alliierten anzugreifen. Der Durchbruch sollte in der Nähe der belgischen Kleinstadt Ypern erfolgen. Am 20. Oktober des Jahres 1914 entbrannte die Schlacht in Flandern. Die schlecht ausgebildeten deutschen Truppen stießen auf erfahrene britische Berufssoldaten und reguläre französische Einheiten. Die Verluste auf beiden Seiten waren von Anfang an hoch.

Auch das Reserveinfanterieregiment 16 mit dem Infanteristen Hitler kam am 29. Oktober hier zum Einsatz. Vier Tage standen die Männer im Kampf. Dichter Nebel erschwerte den Überblick. Hitlers Einheit hatte den Auftrag, die Engländer vor Ypern zurückzudrängen. Kaiser Wilhelm II. wartete hinter der Front bereits auf die erhoffte Einnahme der Stadt. Doch die Kämpfe wurden zum Fiasko. Ohne Rücksicht auf Verluste stürmten die Deutschen über das Kampffeld. Aus der Deckung heraus konnten die britischen. Soldaten die Angreifer leicht abwehren und vernichten. »Die Ströme von Blut, welche die flandrische Erde tränkten, vermochten die Entscheidung nicht zu erzwingen«, urteilten nach dem Krieg die Autoren der offiziellen Weltkriegsgeschichte des Reichsarchivs. Im bayerischen »Regiment List« starben Hunderte allein durch Maschinengewehrfeuer aus den eigenen Linien – sie wurden Opfer einer tödlichen Verwechslung. Aus Mangel an Uniformen waren an die Männer des Reserveinfanterieregiments Landsturmmützen mit graugrünem Überzug ausgegeben worden, die den englischen Uniformmützen glichen.

Nach viertägigem Kampfeinsatz wurde das Regiment zurückgezogen. Von den ursprünglich 3000 Soldaten waren etwa 70 Prozent gefallen, verwundet oder vermisst. Adolf Hitler verklärte seine einzige Nahkampferfahrung später als »Feuertaufe«. Voller Pathos beschwor er seinen Einsatz auf dem Schlachtfeld: »Nach vier Tagen kehrten wir zurück. Selbst der Tritt war jetzt anders geworden. Siebzehnjährige Soldaten sahen nun Männern ähnlich. Die Freiwilligen des ›Regiments List‹ hatten vielleicht nicht recht kämpfen gelernt, allein zu sterben wussten sie wie alte Soldaten. Das war der Beginn.« Das erklärte Ziel des Einsatzes, die Einnahme Yperns, war nicht erreicht worden. Die Deutschen sollten das mittelalterliche Provinzstädtchen auch in den folgenden Jahren nicht besetzen. Doch infolge der Kämpfe wurde die einst reiche flandrische Tuchstadt bis auf die Grundmauern verwüstet.

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