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Der Wendepunkt

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Am 5. September begannen die Kämpfe an der Marne. Gleich zu Beginn gelang den Franzosen ein Propagandaerfolg. Über Nacht hatte Joseph Joffre, der französische Oberbefehlshaber, gut 600 Taxis von Paris aus zweimal an die Front fahren lassen – besetzt mit jeweils fünf Soldaten. Am nächsten Morgen standen den Deutschen 6000 »Poilus«, »Bärtige«, wie die Franzosen ihre Frontsoldaten nannten, mehr gegenüber. In Luxemburg hatte Generalstabschef Helmuth von Moltke Mühe, Überblick über den Frontverlauf zu erhalten. Er war ein Nervenbündel, sichtlich überfordert mit der Leitung der Operationen. In einem Brief an seine Frau beklagte der Oberbefehlshaber am 8. September 1914 seine Lage: »Die schreckliche Spannung dieser Tage, das Ausbleiben von Nachrichten von den weit entfernten Armeen und das Bewusstsein dessen, was auf dem Spiel steht, geht fast über die menschliche Kraft.« In seiner Not schickte der General Oberstleutnant Richard Hentsch, den Chef der Nachrichtenabteilung des Generalstabs, an die Front; er sollte sich vor Ort ein Bild von der Lage machen. Ohne einen schriftlichen Befehl von Moltke in der Tasche zu haben, besuchte Hentsch mehrere Armeen entlang der Front.

Die deutschen Truppen standen einer starken Allianz britischer und französischer Armeen gegenüber. Während Richard Hentsch in den deutschen Hauptquartieren auf Siegeszuversicht stieß, war bei den gemeinen Soldaten die Euphorie der ersten Kriegstage längst der Verzweiflung gewichen. »Die Leute, die in der Heimat im Siegestaumel leben, ahnen nicht das Schreckliche des Krieges«, schrieb etwa August Macke am 11. September 1914 an seine Frau, »seit drei Tagen liegen wir hier in einem Gefecht, das sich von Paris bis Verdun hinzieht. Von frühmorgens bis in die Nacht tobt der Kanonendonner [...] Der Krieg ist von einer namenlosen Traurigkeit. Man ist weg, noch ehe man’s merkt.« Der Maler August Macke fiel drei Wochen später in Nordfrankreich.

Die problematische Kommunikation mit der Obersten Heeresleitung, so Hentsch in seinem Bericht, habe zu »eigenmächtigen Entscheidungen« der einzelnen Befehlshaber geführt. Hinzu kam, dass von Moltke auf dem Höhepunkt der Kampfhandlungen überstürzt zwei Armeekorps nach Ostpreußen abgezogen hatte, um Hindenburgs Armeen bei Tannenberg zu unterstützen. Die Soldaten, die erst nach dem Ende der Kampfhandlungen an der Ostfront eintrafen, fehlten nun wiederum im Westen. Der Oberstleutnant sah die Situation kritisch. Infolge des schnellen Vormarsches war zwischen der 1. und der 2. Armee eine rund 40 Kilometer breite Bresche entstanden, der sich das Britische Expeditionskorps langsam näherte. Der Offizier des Generalstabs sah die Gefahr einer Einkesselung und empfahl den Rückzug gerade in dem Moment, in dem die Militärs zum Endkampf ausholen wollten. Ungläubig und nur äußerst widerstrebend folgten die Armeechefs Hentschs Weisung. Am 9. September 1914 wurde der deutsche Rückzug eingeleitet. Zwei Tage später war die Marne-Schlacht beendet.

250 000 Tote, Verwundete und Gefangene auf deutscher Seite hatte die Schlacht gekostet, etwa 300 000 Opfer auf alliierter Seite. Generalstabschef von Moltke erlitt einen Nervenzusammenbruch. »Majestät, wir haben den Krieg verloren!«, meldete er dem Kaiser, da war der Krieg gerade einmal sechs Wochen alt.

Mit dieser Meinung stand er nicht alleine da. Auch der im Alter von 74 Jahren reaktivierte Feldmarschall Gottlieb Graf von Haeseler äußerte gegenüber seinem obersten Kriegsherrn Unbehagen: »Es scheint mir, dass nun der Augenblick gekommen ist, in dem versucht werden muss, den Krieg zu beenden«, erklärte er dem Kaiser. Er befürchte, dass das Reich langsam ausbluten würde, sollte der Krieg weitergeführt werden. Doch der wollte von einem »Kompromissfrieden« nichts wissen. Wilhelm II. entließ Generalstabschef Moltke und 33 seiner Generäle. Nachfolger wurde Generalleutnant Erich von Falkenhayn, ein kühler Karrierist und skrupelloser Stratege, der später verantwortlich für das schreckliche Blutbad von Verdun sein würde.

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