Читать книгу Sammelband "Tatort Hunsrück" Teil 1 - Hannes Wildecker - Страница 27

Kapitel 21

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Der Streifenwagen schlängelte sich durch die Waldwege oberhalb der Stadt durch die Dämmerung, vorbei an der Sportanlage und in der Dämmerung konnte man erkennen, dass heute kein Training dort stattfand. Alles war ruhig und frei von Bewegungen.

Die Uhr neben dem Tachometer zeigte Viertel vor acht Uhr abends. Heribert Gehweiler schaltete die Beleuchtung ein und sah seinen Kollegen Eddy Müller von der Seite her an.

„Ruhig heute Abend“, sagte er, nur um etwas zu sagen. Die letzte Stunde hatten beide kaum gesprochen und hingen ihren Gedanken nach.

In Sichtweite tauchte vor ihnen das Haus auf, das sie seit einigen Tagen auf Trab hielt. Zwei Tote innerhalb kürzester Zeit, beide auf die gleiche grausame Art und Weise ermordet. Die Sorge, dass weitere Taten folgen, war berechtigt und die Anordnung Overbecks war deutlich: Das Objekt muss in Zukunft in die Streifenpläne integriert werden. Insbesondere am Abend und in der Nacht sollten die Observationen erfolgen, so wie heute. Und der Abend war erst angebrochen. Gleich nach dem Schichtwechsel waren sie aufgebrochen, Gehweiler und Müller. Sie würden zu dem Haus fahren, würden ihre Streife fortsetzen und nach einer Stunde wieder hier auftauchen. So würde es die ganze Nacht gehen, im Wechsel mit einer weiteren Streifenbesatzung.

Gehweiler hielt das Fahrzeug an und schaltete die Beleuchtung aus. Bis zu dem Haus waren es von hier aus nur etwa 50 Meter. Von dort aus konnte man den Streifenwagen nicht ausmachen, der Beginn des Niederwaldes verdeckte die Sicht darauf. Das Haus allerdings ließ sich aus dem Fahrzeug durch die dünnen Baumstämme hindurch einigermaßen gut beobachten.

„Verlorene Zeit.“ Müller streckte sich und gähnte. Dann sah er auf seine Armbanduhr und gähnte ein zweites Mal. „Was soll um diese Zeit schon passieren?“

„Wir warten, bis es dunkel ist“, sagte Gehweiler bestimmt. „Und später kommen wir noch einmal hierher. Du kennst die Anweisung.“

„Was ist das eigentlich für eine ... Kollegin? Die von der Kripo?“, fragte Müller scheinbar gelangweilt und gähnte erneut.

„Ach, du meinst Leni?“

„Aha, Leni heißt sie also.“ Müller warf einen vielsagenden Blick auf Gehweiler.

„Ja, Leni. Marlene Schiffmann, um es genau zu sagen. Eine sehr nette und kompetente Kollegin.“

„Hast du was mit ihr?“

„Wie kommst du denn darauf?“ Gehweiler sah an Müller vorbei in Richtung des zu observierenden Hauses. „Sie ist eine liebe Kollegin, mit der ich mich gut verstehe, weiter nichts.“

„Und der andere? Overmann oder wie der heißt. Ein komischer Kerl. Hab` ihn noch nie in unserem Zuständigkeitsbereich gesehen.“

„Overbeck. Er ist der Nachfolger von Heiner. Heiner Spürmann. Wenn du jetzt fragst, wer das ist, dann …“

„Nein, nein, Spürmann kenne ich. Habe gehört, er ist jetzt Dozent auf` m Hahn oder so?“

„Ja, leider. Aber das Leben geht weiter. Und mit Overbeck werden wir auch zurechtkommen.“

„Wie heißt der eigentlich mit Vornamen?“

„Overbeck?“

„Ja, dieser Overbeck. Wie heißt er?“

Gehweiler überlegte. „Ich weiß es nicht“, sagte er schließlich. „Alle sagen nur Overbeck. Ich habe den Eindruck, nicht einmal Leni weiß, wie sein Vorname ist.“

Gehweiler setzte sich ruckartig auf und starrte nach vorne.

„Ich glaube, da ist etwas“, sagte er leise, als habe er Sorge, dass ihn jemand von dort hinten aus hören könnte.

„Was ist dort? Was hast du gesehen?“ Müller beugte sich gemächlich vor und sah zwischen den Bäumen hindurch in Richtung des Anwesens. „Ich kann nichts erkennen.“

Gehweiler starrte weiter gespannt in die Richtung, in der er glaubte, eine Bewegung gesehen zu haben. Dann war sie wieder da. Erst war es ihm, es als husche ein Schatten hinter den Bäumen über das Gelände des Anwesens. Dann war er wieder verschwunden.

„Komm!“ Gehweiler war sich sicher: Da war jemand. „Deine Waffe! Halte sie griffbereit. Du beobachtest die Vorderfront, ich sehe hinter dem Haus nach.“

Gebeugt, bedacht, kein Geräusch zu verursachen, schlichen Gehweiler und Müller an dem kleinen Wald vorbei, die Pistolen griffbereit in den Händen.

Gehweiler gab seinem Kollegen ein Zeichen, worauf der sich umsah und in gebeugter Haltung nach links zur Vorderfront des Hauses lief.

Gehweiler verharrte noch eine Weile und beobachtete das Haus. Er lauschte angestrengt in die anbrechende Dunkelheit.

Dann splitterte Glas. Es kam von der Rückseite des Hauses her. Gehweiler sprintete los und erreichte die Giebelseite des Hauses. Mit der Pistole sicherte er nach vorne und sah vorsichtig um die Ecke.

Er sah niemanden.

Unter einem der Fenster glitzerte etwas. Gehweiler schlich näher. Unter seinen Schuhsohlen knisterte es. Es war das Glas der Fensterscheibe, bis zu der er sich vorgewagt hatte. Seine Wahrnehmung war also realistisch gewesen. Nun wusste er: In dem Haus befand sich jemand, der durch dieses Fenster eingestiegen war. Er dachte daran, dass Müller auf der anderen Seite des Hauses eine Flucht des Täters -hoffentlich- vereiteln konnte.

Gehweiler schlich näher und sah durch das Fenster in das Innere des Hauses. Er konnte nichts erkennen, hörte aber Geräusche, die aus einem anderen Raum kamen, als dem, dessen Fenster eingeschlagen war.

Er sah sich um und bemerkte in einiger Entfernung, angelehnt an einen Holzstoß, eine Kiste stehen, die er für sein Vorhaben als geeignet ansah. Kurze Zeit später stand er auf ihr, die unter seinem Gewicht nachgab und zu zerbrechen drohte. Fast geräuschlos stieg er in das Haus ein, die Pistole in der rechten, die ausgeschaltete Taschenlampe in der linken Hand.

Gehweiler sah sich um und sah, dass er sich in einem Schlafraum befand. Es roch modrig. Die Wände waren feucht, wie der durch den Strahl seiner Taschenlampe feststellen konnte. Verschimmelte Tapetenreste hingen von den Wänden. Ein altes nahezu verfallenes Bett stand an der Wand, leere Umzugskisten stapelten sich mitten im Raum. Alles offensichtlich Dinge, die der letzte Eigentümer zurückgelassen hatte.

Gehweiler schlich auf die Tür zu, hinter der er den Eindringling vermutete. Er wollte alles auf eine Karte setzen und mit Gewalt das Zimmer stürmen. Müller würde die Geräusche hier drinnen hören und zu Hilfe kommen.

Er atmete tief durch, nahm kurz Anlauf und trat mit voller Kraft mit dem gestreckten Bein gegen die Tür. Holz barst und die Tür flog bis zum Anschlag auf. Bevor sie zurückfederte, war Gehweiler mit dem Ruf Keine Bewegung, Polizei! in den Raum gesprungen, mit der Pistole und der darunter befindlichen Taschenlampe in alle Richtungen sichernd.

Das Zimmer war leer. Gehweiler hielt inne und lauschte in die Stille hinein.

Dann klirrte erneut Glas, es folgten ein klatschendes Geräusch und ein Schrei. Gehweiler rannte durch das Zimmer, das in einen Flur mündete. Er sah sofort das zerschlagene Fenster und schaute vorsichtig nach draußen.

„Alles in Ordnung“, rief ihm Müller entgegen und Gehweiler wunderte sich, dass sein Kollege auf dem Boden saß. Als er näher hinsah, erkannte er die Ursache. Müller hockte auf einer auf dem Bauch liegenden Person und hatte ihm mit Handschellen die Hände auf dem Rücken gefesselt.

„Wenn du Zeit hast, kannst du mir helfen.“

Die Bemerkung Müllers schmerzte in seinen Ohren. Zwar war er froh darüber, dass der Eindringling gefasst war, andererseits hatte er sich die Festnahme doch etwas anders vorgestellt. Dass der junge Kollege es ohne sein Zutun geschafft hatte, wurmte ihn etwas.

„Das war Teamarbeit“, sagte Müller, als Gehweiler neben ihm stand und sie die Person auf die Beine stellten. „Wie bei einer Treibjagd. Wir sollten öfters zusammenarbeiten.“

Es klingt ehrlich, stellte Gehweiler erstaunt fest. Irgendwie zerfiel sein anfänglicher Ärger und er wandte sich der festgenommenen Person zu, die das Gesicht zu Boden geneigt hatte.

„Sehen Sie mich an!“, fuhr er die Person an, die langsam ihr Gesicht hob und ihm verächtlich in die Augen sah. Es war ein junger Mann, Gehweiler schätzte ihn auf höchstens zwanzig Jahre. Er trug wollene Handschuhe. Die Kapuze seines dunklen Sportpullovers hatte er immer noch über seinen Kopf gezogen. Gehweiler fasste die Spitze der Kopfbedeckung und zog sie nach hinten. Dichtes volles dunkles Haar quoll hervor.

„Sieh nach, ob er Papiere dabei hat“, gab er Anweisung an Müller. Der durchsuchte ihn und förderte eine Packung Zigaretten, ein Einwegfeuerzeug und ein Schlüsselbund zutage.

„Keine Papiere“, stellte Müller nüchtern fest.

„Ihr Name?“ Gehweiler senkte den Kopf und wartete, die Augen auf den jungen Mann gerichtet.

Es kam keine Reaktion außer der, dass der Festgenommene wieder zu Boden sah.

„Aha, so läuft das also“, sagte Gehweiler und nickte mehrmals, als habe er irgendetwas verstanden, das man ihm gerade erklärt hatte. Dann wandte er sich zu Müller.

„Ruf bitte die Spurensicherung und verständige Kollegin Schiffmann …“

„Nicht Overbeck?“

„Ja, oder den. Wen von beiden du gerade erreichen kannst. Sag ihnen, es könne sein, dass wir den Baseball-Mörder gefasst haben.“

Müllers Kinn sank nach unten und er sah Gehweiler mit weit aufgerissenen Augen erstaunt und irritiert an. Bevor er etwas sagen konnte, das nicht für die Ohren des Festgenommenen bestimmt war, hakte Gehweiler nach.

„Nun mach schon! Erkläre ihnen, was heute Abend hier geschehen ist. Sag ihnen, die Spurensuche werde benötigt. Anschließend sollen sie zur Dienststelle kommen. Wir werden unseren Freund hier solange einbunkern.“

Den jungen Mann hatte der Wortwechsel offensichtlich wachgerüttelt, denn hektisch sah er von einem zum anderen und rote Flecken zeigte sich in seinem Gesicht.

„Was sagen Sie da?“, stotterte er und Gehweiler bemerkte, wie er zu zittern begann. „Was soll ich sein? Ein Mörder? Sie irren sich. Ich habe niemanden umgebracht. Warum sollte ich jemanden umbringen?“

Gehweiler winkte ab. „Sparen Sie sich Ihren Atem für später“, sagte er, während er zu Müller hinübersah, der offensichtlich Probleme hatte, Overbeck oder Leni zu erreichen. Es war am Abend, es gab nur den Weg über die private Handy-Leitung.

„Wenn du niemanden erreichen kannst, ruf beim Präsidium an. Die sollen dann jemanden schicken“, rief er Müller zu. Der winkte ab und begann sogleich zu sprechen. Gehweiler hörte nicht, was er sagte und mit wem er sprach. Er wandte sich wieder dem jungen Mann zu.

„Sie können alles der Kripo erklären. Sie wird bald hier sein, auf unserer Dienststelle, meine ich.“

„Ich habe nichts getan. Ich wollte doch nur …“

Gehweiler winkte ab. „Später.“

Müller kam auf sie zu. Das Handy hielt er noch in seiner Hand. „Ich habe Leni erreicht. Sie wird kommen. Overbeck auch. Und die Spurensicherung. Wir sollen auf der Dienststelle auf sie warten.“

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