Читать книгу Sammelband "Tatort Hunsrück" Teil 1 - Hannes Wildecker - Страница 33

Kapitel 27

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Noch immer klangen Maggies Worte in Satorius Ohren: Wer den Tod sät, wird den Tod ernten. Und das aus dem Munde der Frau, die Journalistin sein wollte. Überparteiisch und neutral. Das hier war alles andere als Neutralität. Satorius Gedanken fuhren Zickzack. War es etwas Persönliches, das sie in die Waagschale warf? Nein, winkte er im Geiste ab. Das sind unsinnige Gedanken. Es sind ganz einfach die Aussagen einer Frau, die sich solidarisch mit ihren Geschlechtsgenossinnen erklärt.

Satorius verwarf alle weiteren Überlegungen. Er sah auf die Tankanzeige.

„Wir müssen tanken, Meg. An der nächsten Raststätte fahren wir ab. Vielleicht wollen Sie etwas essen?“, fragte er Maggie, die neben ihm dahindöste.

„Eine gute Idee. Ein Kaffee wäre gut. Nach meinem Mittagsschlaf hatte ich noch keine Gelegenheit dazu.“

Es dauerte weitere drei Kilometer, bevor sich auf einem Hinweisschild Messer und Gabel kreuzten. Als Satorius den Wagen auf das Raststättengelände fuhr, sah er den dunklen Golf, der vorhin beinahe auf sein Fahrzeug aufgefahren wäre, in einer der Parkmarkierungen stehen.

Wir haben beide Glück gehabt, dachte Satorius bei sich. Und das alles, weil ich mich über eine Bemerkung Meg`s erschrocken habe.

„Gehen Sie schon mal ins Restaurant vor“, bat er Maggie. „Ich tanke das Fahrzeug in der Zwischenzeit auf und komme dann nach.“

Als er schließlich den Tankdeckel wieder aufschraubte, glitt sein Blick über das Fahrzeugdach hin zu jener Stelle, wo der schwarze Golf abgestellt war.

Der Platz war leer.

Als Satorius und Maggie in Koblenz eintrafen, brach die Dämmerung über die Stadt herein. Rush Hour war lange vorbei und es bereitete keine Schwierigkeit, innerhalb kürzester Zeit die Stadt zu durchqueren. Der Moselring, in der Verlängerung der Friedrich Ebert Ring, die Neustadt. Satorius suchte nach einem Parkplatz und fand ihn schließlich am Moselufer.

„Strafzettel hin oder her“, sagte er mit einem lächelnden Blick auf Maggie. „Das ist mir die Sache wert.“ Er sah auf die Uhr. „Um diese Zeit wird keine Polizei mehr nach falsch geparkten Autos sehen.“

Sie liefen am Moselufer entlang und Satorius nahm seine Gedanken zusammen. Zu Hause hatte er sich genau angesehen, wo die Breitsteinstraße lag. Es musste hier in der Nähe sein. Die Hilfe kam in Form einer älteren kleinen Frau, die gestützt auf einen Rollator offensichtlich die frische Abendluft genießen wollte.

„Breitsteinstraße?“, fragte sie mit einer Stimme, die nach Reibeisen und Zigaretten klang. Sie sah mit einem Blick von unten her die beiden an und schüttelte den Kopf. „Da gibt es aber kein Hotel. Das suchen Sie doch sicher?“

„Nein, nein“, versuchte Satorius das Thema in eine andere Richtung zu lenken. „Wir suchen einen Bekannten. Wir wollen ihn besuchen“, fügte er schnell hinzu.

„Jetzt am Abend?“ Die Stimme klang immer noch wie ein Reibeisen und nach Zigaretten, mündete jedoch in einem um eine Oktave höheren Kreischton.

„Ja, wir wollen bei ihm übernachten. Ist das in Ihren Augen verwerflich?“ Satorius wollte das Thema schnell beenden und er hatte auch gar keine Lust, mit der alten Dame, die er nicht kannte und nicht kennenlernen wollte, über Gott und die Welt und vor allem über sein Vorhaben zu diskutieren.

„Da hinten“, krächzte die Frau, immer noch im oberen Bereich ihrer Stimmlage verweilend. „Zwei Straßen weiter. Links ab.“

Sie drehte sich um und hinkte davon. Satorius schüttelte den Kopf und sah Maggie an. „Sie hat das Gespräch von sich aus abgebrochen“, stotterte er irritiert. „Damit konnte doch wirklich keiner rechnen.“

Maggie und Satorius gingen die Straße entlang in die von der alten Dame beschriebene Richtung. Rechts von ihnen, auf der Anhöhe auf der anderen Moselseite begannen gelbe Lichter die Festung Ehrenbreitstein zu erleuchten. Noch eine Stunde und der Anblick würde ein Augenschmaus sein, dachte Satorius. Es war die Zeit der Bundesgartenschau, die in diesem Jahr in Koblenz ihre Pforten geöffnet hatte. Langsam klang der Publikumsverkehr aus und nur an speziellen Orten gab es noch vereinzelt künstlerische Aufführungen. Auch die Straßenleuchten der Stadt schalteten sich nun ein.

Breitsteinstraße. Das Straßenschild war nicht zu übersehen. Wenige hundert Meter voraus glänzte die Mosel in der untergehenden Sonne und spiegelte ein letztes Mal ihre Strahlen im silbrigen Wasser.

„Wir sind da“, stellte Satorius nüchtern fest. „Lassen Sie uns nachsehen, wo sich die Wohnung von Balthoff befindet.“

„Die Hausnummer?“

„47. Muss gleich da hinten sein.“

„Falls wir ihn überhaupt antreffen.“ Maggie rückte die Riemen ihrer Handtasche auf der Schulter zurecht. „Gehen wir es an. Bin gespannt, was er uns zu sagen hat.“

„Wenn er von den beiden Morden Wind bekommen hat, stehen die Chancen schlecht, dass er überhaupt mit uns redet. Wir müssen ihm einreden, dass es zu seinem Schutz ist, falls er sich auf uns einlässt.“

Während sie die Straße entlanggingen und auf die Hausnummern achteten, öffnete Maggie ihre Handtasche und fühlte den Inhalt mit der Hand ab. Das glatte Metall ließ sie auf den Moment vergessen, dass sie neben einem Reporter herging, der nur eine Story über vergangene Verbrechen im Sinn hatte.

Sie wollte mehr. Sie wollte Balthoff. Sie wollte seine Seele, seinen Tod, seinen Körper, sie wollte alles von ihm. Alles, um es zu vernichten. So, wie er ihr Leben vernichtet hatte.

„Ich glaube, hier ist es.“ Satorius blieb stehen und schaute sich die Klingelbezeichnungen an der Haustür des Mehrfamilienhauses an. Er fuhr mit dem Finger über die einzelnen Namensschildchen und Maggie stellte sich neben ihn.

„Kein Balthoff, oder?“ Maggie beugte sich vor, um die Namen zu entziffern und Satorius atmete das süßlich-herbe Parfum, das sie umschwebte. Er schluckte, denn irgendwie fühlte sich sein Mund mit einem Mal trocken an.

„Nein, sein Name ist hier nicht zu sehen“, versuchte er in klarer Ausdrucksweise von sich zu geben. „Das sind insgesamt … acht Parteien, zwei davon haben keine Namensschilder.“

„Vielleicht sind die Wohnungen zurzeit leer.“

„Ja, oder aber man hat einen Grund, seine Existenz vor anderen zu verheimlichen.“

„Wie will denn jemand seine Existenz verheimlichen, wenn er mit anderen Parteien in einem Haus wohnt. Wie soll das geschehen?“

„Nicht vor denen in diesem Haus. Vor andern. Vor Besuchern. Vor der Polizei, vor der Steuer …“

„Vor uns.“

„Wie, vor uns? Balthoff kann unmöglich wissen, dass wir ihn aufsuchen wollen. Aber es gibt da noch eine andere Begründung.“

„Und die wäre?“, fragte Maggie und tat gespannt. Sie wusste die Antwort. Sie hatte sie schon gewusst, als sie das Fehlen der Namensschilder festgestellt hatte. Balthoff wusste, was mit zwei seiner ehemaligen Kumpane geschehen war. Wenn er auch nur ein wenig klar denken konnte, dann musste er damit rechnen, dass er spätestens das übernächste Opfer sein würde.

„Er hat Angst vor seinem Mörder.“ Satorius drückte auf einen der beiden Klingelknöpfe, die ohne Namensschilder waren. Es dauerte nur eine kurze Zeit, da öffnete sich im Geschoss über ihnen ein Fenster und ein glatzköpfiger Mann in den Vierzigern ließ sich bis zum Oberkörper aus dem Fenster hängen. Mit seinem ehemals weißen Unterhemd schien er offensichtlich nicht zu ersten Mal die Fensterbank vom Staub zu befreien.

„Was ist los da unten? Was wollt ihr?“, rief er in einer Lautstärke, die ausgereicht hätte, jemanden in hundert Metern Entfernung auf sich aufmerksam zu machen.

„Wohnt hier ein Herr Balthoff“, rief Maggie, ehe Satorius etwas sagen konnte. Schnell flüsterte sie ihm zu: „Die Stimme einer Frau wird ihn nicht beunruhigen, falls er da drin ist.“

„Ein Herr Balthoff wohnt hier ganz bestimmt nicht“, tönte es von oben herunter. „Herr Balthoff, dass ich nicht lache“, lachte der Mann verächtlich und schlug das Fenster zu.

„Zumindest wissen wir nun, dass diese Klingel nicht zu der Wohnung von Balthoff gehört.“ Maggie sah Satorius an und auf einmal hatte er Mühe, ihrem Blick standzuhalten. „Was meinen Sie? Was sollen wir tun? Die andere Klingel drücken und warten, was geschieht?“

Satorius dachte nach. Wenn wir jetzt klingeln, öffnet er die Tür, oder er haut ab, weil er vielleicht glaubt, es ginge ihm an den Kragen, dachte er. Er überlegte kurz und entschied sich dann für eine andere Vorgehensweise.

„Wir wissen nicht, in welcher Etage er wohnt. Also, alles auf eine Karte.“ Satorius legte seine Hand auf die Klingelknöpfe, wobei er genau darauf achtete, die nicht zu drücken, die soeben den sarkastisch lachenden Mann ans Fenster befördert hatte. „Einer wird uns doch sicher öffnen, ohne nachzufragen“, sagte er leise.

Dann geschah einiges auf einmal. In den oberen Geschossen öffneten sich Fenster und Stimmen wurden laut, die fragten, was denn da unten los sei. Zugleich aber wurde der Summer betätigt. Satorius drückte die Tür auf und gab Maggie ein Zeichen, ihm zu folgen.

„Wir tasten uns vor bis zu seiner Korridortür und sehen, was dann geschieht.“

Balthoff hatte seine Wohnung im Erdgeschoss auf der rechten Seite. Sogar ein Namensschild hatte er angebracht. Aus der gegenüber liegenden Wohnung hörte man leise Geräusche, der Fernseher lief. Von hier aus führte auch eine Treppe ins Kellergeschoss und nach oben zu den restlichen Wohnungen.

„Sind Sie bereit?“ Satorius sah Maggie erwartungsvoll mit einem leichten Lächeln im Gesicht an. „Ich werde nun läuten.“

„Ich bin bereit“, flüsterte Maggie.

Satorius bemerkte nicht, wie ihre Hand in ihrer Handtasche verschwand und das kalte Metall ihrer kleinen Pistole umklammerte. Sie würde ihre Rache bekommen, daran würde Satorius auch nichts ändern. Wie auch immer er sich verhalten würde, es interessierte sie nicht. Sie sah, wie sein Zeigefinger langsam über den Klingelknopf fuhr, so als könne er sich nicht entscheiden, ihn zu betätigen. Mit einem letzten Blick auf Maggie drückte er auf den Knopf.

Die Glocke läutete laut und schrill. Es blieb ruhig. Satorius zuckte mit den Schultern.

„Vielleicht …“

Dann verstummte er plötzlich. Hinter der Korridortür hatte sich etwas bewegt. Ein Schatten. Doch niemand machte Anstalten, die Tür zu öffnen.

Maggies Hände wurden feucht, so krampfhaft

umklammerte sie die Waffe in ihrer Handtasche. Satorius starrte angestrengt durch die diffuse Drahtglasscheibe, den Finger immer noch auf dem Klingelknopf in der Absicht, erneut zu läuten.

Dann geschah etwas, mit dem weder er noch Maggie gerechnet hatten.

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