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Fernhandel im frühen Mittelalter

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Fernhandel kommt nicht vollständig zum Erliegen

Auch nach der Auflösung des weströmischen Reiches kam der Fernhandel nicht vollständig zum Erliegen. Die reichen Kunden wie Könige, hohe Adlige und Klöster beauftragten sog. Palast- oder Abteikaufleute mit der Heranschaffung der begehrten orientalischen Luxusgüter wie Seidenwaren und Spezereien (Gewürze, Gewürzwaren). Unter den Händlern und Kaufleuten spielten im 6. Jahrhundert zunächst die „Syrer“ (eine Bezeichnung, die möglicherweise auch andere christliche Völker des Nahen Ostens wie Armenier und Kopten umfasste) sowie Juden die beherrschende Rolle. Sie waren es, die die begehrten Erzeugnisse Indiens und Chinas über die Levante nach Europa brachten.

Der arabische Vorstoß ins Mittelmeer und der jahrhundertelange Streit zwischen Byzanz und dem Islam seit dem 7. Jahrhundert beeinträchtigten den Ost-West-Handel schwer. Da Byzanz die syrische und ägyptische Küste blockierte, konnten die begehrten Produkte des Orients wie Gewürze, Heilpflanzen, Farbstoffe, Edelsteine und Seide nur noch über die Hauptstadt des oströmischen Reiches ins Abendland gelangen. Für ihren Vertrieb nach Europa spielten die als Kommissionäre oder Staatsmonopolisten tätigen Juden eine zentrale Rolle, da sie über gute Marktkenntnisse und Verbindungen verfügten. Seit dem Ausgang des 7. Jahrhunderts lösten sie die Syrer als führende Fernhändler ab und konnten ihre Stellung in den Städten Galliens und des Rheinlandes bis ins 11. Jahrhundert behaupten.

Eine neue Lage im Fernosthandel ergab sich im 8. Jahrhundert, als die Chasaren, ein Volk umstrittener Herkunft, nördlich des Kaspischen Meeres zwischen unterer Wolga und Don ihr Reich gründeten, das den Landweg nach Indien und China öffnete. Von Cherson, dem bedeutendsten Hafen an der nördlichen Küste des Schwarzen Meeres, gelangten die orientalischen Luxusprodukte nach Byzanz und in die Provinzen des oströmischen Reiches.

Aufstieg der italienischen Städte kündigt sich an

Von diesem Warenstrom profitierten auch die politisch zu Byzanz gehörigen Städte an der Süd- und Ostküste Italiens, die sich so in dieser schwierigen Zeit ein gewisses Maß an kommerzieller Bedeutung bewahren konnten. Die Kaufleute von Ravenna bspw. versorgten den langobardischen Königshof in Pavia mit Salz und Orientwaren, und seit dem 9. Jahrhundert machte sich bereits die zukünftige Herrscherin der Weltwirtschaft, der damals neu gegründete Handelsplatz Venedig, bemerkbar. Venedig baute seine erste Flotte und begann mit der Erschließung der Märkte des Binnenlandes. Mit dem Bau eigener Flotten durchbrachen Venedig, Bari, Amalfi, Neapel und andere italienische Städte das Monopol der byzantinischen Handelsschifffahrt. Trotz des kaiserlichen Verbotes unterhielten sie Handelsbeziehungen zu den Arabern in Ägypten und Nordafrika.

Kaum Bedeutung besaß der Außenhandel dagegen im fränkischen Reich – der Westen hatte im Austausch mit dem Osten wenig zu bieten. Die wichtigste Rolle spielten Sklaven. Dabei handelte es sich z.B. um Leute, die bei den Auseinandersetzungen zwischen Angelsachsen und Kelten in England gefangen genommen worden waren, oder um Slawen, auf die zuweilen regelrecht Jagd gemacht wurde. Für die byzantinischen Städte in Italien (darunter Venedig) spielte der Handel mit Sklaven aus Dalmatien eine wichtige Rolle.

autarke Höfewirtschaft und Tauschhandel im Westen

Da der Westen unfähig war, Güter herzustellen, die im Osten absetzbar waren, aber selbst orientalische Luxuswaren einführte, besaß er im 7. Jahrhundert kein Gold mehr und musste sein Münzwesen auf das Silber aus zentralfranzösischen und deutschen Minen umstellen. Lediglich Byzanz und die Araber konnten in den nächsten vier Jahrhunderten bei der Goldwährung bleiben – ein deutliches Zeichen ihrer wirtschaftlichen Überlegenheit über die agrarische Produktions- und Lebensweise des Abendlandes. Der Westen hingegen ging allmählich zu einer autarken Höfewirtschaft und zum Tauschhandel über.

Während der Handel mit dem Mittelmeerraum unter der Ausbreitung des Islams litt, fand seit dem 7. Jahrhundert eine für die Zukunft entscheidende Neuorientierung der europäischen Handelswege statt. Dabei zeichnete sich bereits die zukünftige Hauptachse der europäischen Wirtschaft ab. So ist seit dieser Zeit archäologisch ein lebhafterer Handelsverkehr von Italien über das Rheintal zur Nordsee und weiter nach England und Skandinavien nachgewiesen. Insbesondere der Nordosten des Frankenreiches, das Gebiet um Rhein, Maas und Schelde, wurde zu einem neuen wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum. Fränkische Gläser und Wollstoffe wurden in herrschaftlichen Gräbern Schwedens aus der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts gefunden und belegen die wirtschaftliche Ausstrahlungskraft dieser Region, die über den Rhein bzw. die Rhone zugleich auch mit dem Mittelmeer verbunden war. Zurückzuführen war diese Entwicklung auf die Absperrung der alten ostmitteleuropäischen Handelswege durch die Slawen und das Reich der Awaren in Ungarn sowie auf die Wiederöffnung der Alpenpässe durch das konsolidierte Langobardenreich in Italien.

friesische Wanderkaufleute

Vor allem in den Niederlanden verbreitete sich in karolingischer Zeit das germanische Wanderkaufmannstum. Diese Kaufleute, zunächst Angelsachsen, dann seit dem 7. Jahrhundert auch die Friesen, zogen umher und trafen sich zu bestimmten Terminen auf auswärtigen Märkten, um ihre Waren zu tauschen. In einer feudalen Welt stellten sie ein dynamisches freies Element dar. Ihre Niederlassungen wie Dorestad, Utrecht, Maastricht, Namur, Valenciennes, Tournai, Gent, Antwerpen, Brügge usw. werden seit dem 9. Jahrhundert urkundlich erwähnt. Viele Städte an Rhein, Maas und Schelde hatten Friesenviertel, die von der Bedeutung dieses Handels zeugten. Seit dem 7. Jahrhundert erschloss sich der friesische Handel Skandinavien. Der alte Handelsweg verlief von der Rheinmündung über den an der Schlei in Schleswig-Holstein gelegenen Knotenpunkt Haithabu zum schwedischen Mälarsee.

Die friesischen Kaufleute handelten mit Tuch, das von so guter Qualität war, dass Karl der Große und seine Höflinge es für ihre Bekleidung verwendeten und der Kaiser eine Partie dieses kostbaren Gewebes an den berühmten Kalifen Harun-al-Raschid verschenkte. Friesisches Tuch, wahrscheinlich in Flandern hergestellt, fand seinen Absatz bis ins Elsass und nach Skandinavien.

Die Wikingereinfälle des 9. und 10. Jahrhunderts brachten Erschütterungen mit sich, die Westeuropa zivilisatorisch auf den Stand der vorrömischen Zeit zurückwarfen. Die Normannen ersetzten das nordeuropäische Handels- und Verkehrssystem der Friesen durch ein skandinavisches. Die Hauptlinien dieses Handelssystems umgingen das fränkische Reich. Die wichtigsten Verbindungen liefen nunmehr an den russischen Strömen entlang zum Vorderen Orient.

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