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Die demographische Expansion und die Ausbreitung der Städte

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„Agrarrevolution“ ermöglicht demographische Expansion und zunehmende gesellschaftliche Arbeitsteilung

Die Fortschritte der Landwirtschaft führten zu einem starken Anwachsen der europäischen Bevölkerung. Im 11. Jahrhundert überstieg die landwirtschaftliche Produktion erstmals den Verbrauch. Damit konnte eine größere Zahl von Menschen ernährt und ein größerer Teil von ihnen aus der unmittelbaren Nahrungserzeugung herausgenommen werden. Um 1050 gab es in Europa ca. 46 Mill. Menschen, 1150 ca. 50 Mill. und 1200 bereits 61 Mill. Die gestiegene Produktivität der Landwirtschaft ermöglichte eine weitere gesellschaftliche Arbeitsteilung und Spezialisierung. In den sich nun immer stärker ausbreitenden Städten entstanden Verbrauchszentren, die zugleich Mittelpunkte des handwerklichen Aufschwungs wurden. Die Fixierung der bäuerlichen Abgaben eröffnete die Chance und schuf die materiellen Anreize, den Ertragsanteil der Bauern an der Agrarproduktion zu steigern. Die Möglichkeit, die Städte zu beliefern, bewirkte eine Umstellung der Agrarwirtschaft auf die Marktproduktion.

Bedeutung der europäischen Stadt

Die Entstehung oder Neubelebung unzähliger Städte in Europa ist für die wirtschaftliche Entwicklung Europas von entscheidender Bedeutung geworden. Die große Zahl gleichmäßig über den Raum verteilter kleiner Städte ist eine europäische Besonderheit. Die Städte stellten „Regierungen von Kaufleuten für Kaufleute“ (D. Landes) dar, während die Stadt im Islam keine autonome rechtliche Körperschaft war. In der europäischen Stadt förderten eindeutig definierte Eigentumsrechte die kommerzielle Tätigkeit. Hier entwickelte sich die neue Gesellschaftsschicht der Bürger mit ihren eigenen Normen und Wertvorstellungen.

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In einer Urkunde aus dem Jahre 1120 verkündete Herzog Konrad von Zähringen die Gründung der Stadt Freiburg

Zitiert nach: Arno Borst: Lebensformen im Mittelalter. Frankfurt/Berlin 1973, S. 396ff.

Aller Nachwelt und Mitwelt sei kundgemacht, daß ich, Konrad, an dem Platz, der mir als Eigengut gehört, nämlich Friburg, einen Marktort gegründet habe. (…) Nachdem angesehene Geschäftsleute von überall her zusammengerufen worden waren, habe ich angeordnet, diesen Marktort durch eine Art Schwurverband anzufangen und auszubauen. Daher habe ich jedem Geschäftsmann für den Hausbau zu Eigengut in dem angelegten Marktort eine Hofstätte zugeteilt (…).

Ich verspreche also allen, die meinen Marktort aufsuchen, im Bereich meiner Macht und Herrschaft Frieden und sichere Reise. (…) Wenn einer von meinen Bürgern stirbt, darf seine Frau mit ihren Kindern alles besitzen, (…) was ihr Mann hinterließ (…).

Allen Geschäftsleuten erlasse ich den Marktzoll. – Ich werde meinen Bürgern niemals ohne Wahl einen anderen Vogt und einen anderen Priester vorsetzen, sondern wen immer sie dazu wählen, werden sie von mir bestätigt bekommen. Wenn zwischen meinen Bürgern Rechtshandel und Streit entsteht, wird der nicht nach meinem Ermessen oder dem ihres Leiters behandelt, sondern der Fall wird nach dem anerkannten Gewohnheitsrecht aller Geschäftsleute, vor allem der Kölner, entschieden. – Wenn der Mangel am Notwendigsten dazu zwingt, darf er seinen Besitz verkaufen, an wen er will.

Allein in Deutschland entstanden im Hochmittelalter über 3.000 Städte. Das meist königliche Marktprivileg verlieh ihnen die Befugnis, eigenes Recht zu setzen und entsprechende Gerichte zu etablieren. Die Geschworenen oder Konsuln der Städte waren die reichsten Kaufleute, die sich im 12. Jahrhundert standesrechtlich als Patriziat abschlossen. Die Städte zogen die Handwerkstätigkeit an sich und sicherten sich ein Monopol auf die Herstellung und den Verkauf gewerblicher Erzeugnisse. Auf dem Lande gab es lediglich die sog. Grundhandwerke zur Deckung des landwirtschaftlichen Bedarfs. Vor allem in den großen Städtelandschaften Flandern, Brabant, Nord- und Mittelitalien schlug sich die Spezialisierung des Handwerks in den städtischen Zünften nieder. Die Werkstätten, die Märkte und das in Produktion und Handel akkumulierte Geld waren die Basis der städtischen Macht.

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Zünfte

Die sich in den europäischen Städten seit dem Hochmittelalter bildenden Zünfte waren ständische Körperschaften von Handwerkern eines bestimmten Handwerksberufs zur Wahrung gemeinsamer Interessen. Von der Obrigkeit wurden sie mit einem Monopolrecht ausgestattet, d.h. alle Handwerker in der Stadt mussten Mitglied einer Zunft sein („Zunftzwang“). Ihre wirtschaftliche Funktion bestand in der Regulierung der Produktions- und Absatzbedingungen (Ausbildungsregeln, Höchstzahl von Gesellen und Lehrlingen eines Betriebes, Arbeitszeiten, Produktqualitäten und Preise, Maßnahmen gegen unlauteren Wettbewerb usw.). Darüber hinaus nahmen die Zünfte auch religiöse, soziale, kulturelle und militärische Aufgaben wahr.

Im Spätmittelalter erreichten die Zünfte im Wege von „Zunftrevolutionen“ vielfach die Teilhabe am Stadtregiment, d.h. die Aufnahme ihrer Meister in den Rat. Seit dem 15. Jahrhundert schlossen sich die Zünfte durch Verschärfung der Aufnahmebedingungen zunehmend ab. Insbesondere die Benachteiligung von Gesellen bei der Neubesetzung von Meisterstellen rief große Unzufriedenheit hervor.

In Osteuropa fehlten wegen der geringen Bevölkerungsdichte die kleinen Städte und Märkte und folglich ein kommerzielles Bürgertum. Das Pro-Kopf-Einkommen blieb daher schon gegen Ende des Mittelalters deutlich hinter dem Westeuropas zurück.

Europäische Wirtschaftsgeschichte

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