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Die „Agrarrevolution“ des 11. Jahrhunderts

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Auch im 11. Jahrhundert lebten die Menschen im Abendland noch ständig am Rande der Hungersnot. Insbesondere die Jahre 1005/1006, 1043–45 und 1090–95 waren ausgesprochene Notjahre. Die ständige Unterernährung der Menschen begünstigte Krankheiten wie Tuberkulose, Haut- und Mangelkrankheiten und eine hohe Kindersterblichkeit. Der Hunger trieb die Menschen nicht selten zum Verzehr von Aas oder gar von Menschenfleisch.

technische Innovationen in der „Agrarrevolution“ des 11. Jh.

Gleichzeitig aber begannen wichtige technische Neuerungen in der Landwirtschaft die Gefahr allgemeiner Hungersnöte langfristig zu bannen. Man hat sogar von einer „Agrarrevolution“ des 11. Jahrhunderts gesprochen. Die wichtigsten Neuerungen waren die größere Verbreitung des eisernen Räderpfluges, die von Pferden gezogene Egge und die neue Anschirrmethode des Kummets. Dennoch darf man sich die damit verbundene Steigerung der Erträge nicht zu groß vorstellen. Immerhin dürfte sich der Durchschnittsertrag für Weizen bis 1300 im Vergleich zum 9. Jahrhundert auf etwa das Dreifache der Aussaat verdoppelt haben. Die steigende Verwendung des Pferdes förderte den Anbau des auch als Pferdefutter dienenden Hafers. Der Hafer und die Gerste, beides Frühjahrssaaten, traten neben die Herbstsaaten wie Weizen und Roggen. Der dadurch eingetretene Fruchtwechsel steigerte die Erträge zusätzlich. Die Qualität der Nahrungsmittel verbesserte sich ferner durch den Anbau von Hülsenfrüchten, die viele wertvolle Proteine enthalten.

Um den schweren Räderpflug optimal einzusetzen, war die Einführung eines neuen Anspannsystems für Pferde und Ochsen notwendig. In der Antike waren die Tiere durch ein auf dem Nacken liegendes Joch an den Wagen geschirrt worden. Seit dem 10. Jahrhundert verbreitete sich dann eine neue Methode: das wahrscheinlich aus Zentralasien stammende Kummet.

E

Kummet

Das Kummet war ein steifer Ring, der den Druck auf Schultern und Brustkorb des Tieres verteilte und seine Zugkraft voll zur Entfaltung brachte. Die Leistungsfähigkeit des Pferdes steigerte sich so auf das Vier- bis Fünffache. Mit dem neuen Anspannsystem eignete es sich jetzt auch zur Feldarbeit. Der Ochse wurde zwar nicht verdrängt, aber auf vielen Feldern durch das um 50% leistungsfähigere Pferd ersetzt.

Auch das seit dem 9./10. Jahrhundert im Abendland verbreitete, mit Nägeln beschlagene Hufeisen trug zur verbesserten Ausnutzung der tierischen Arbeitskraft bei. Die landwirtschaftliche Arbeit wurde alles in allem wesentlich beschleunigt.

Die Verbesserung der landwirtschaftlichen Technik verminderte den Bedarf an Unfreien, die auf den Herrenhöfen ganzjährig für die Arbeit notwendig waren. Für die Grundherren konnte es sich daher lohnen, ehemals Unfreien ein Stück Land und eine eigene Wirtschaft gegen Leistung von Abgaben und Frondiensten zu überlassen. Die agrartechnischen Fortschritte verbesserten also tendenziell die Situation der Bauern, zumal die Grundherren bald dazu übergingen, die Frondienste in Geldabgaben umzuwandeln.

Die „Agrarrevolution“ bestand aber nicht nur in einer Verbesserung der Landwirtschaftstechnik und der Anbaumethoden, sondern vor allem auch in einer ständigen Ausdehnung der bebauten Flächen durch Rodung und Kolonisation. Das 11. und 12. Jahrhundert waren eine Zeit der Rodungen und Urbarmachung von Sümpfen, Gehölzen und Heidegebieten. Mit Hilfe der neuen technischen Mittel konnte der Anbau auch auf die weniger fruchtbaren Gebiete ausgedehnt werden. In England, Frankreich und Deutschland ging der Prozess der Rodung und des Landesausbaus auch im 13. und 14. Jahrhundert noch weiter. Die Grund- und Gerichtsherren übernahmen dabei die Organisation und den Schutz und setzen die Zahl der Hofstellen und ihre Größe fest. Der Grundherr stellte das erste Saatgut, die Geräte und das Vieh zur Verfügung. Nach einer abgabefreien Phase hatten die Bauern später Abgaben und Dienste, z.B. eine bestimmte Zahl von Arbeitstagen auf den Ländereien des Grundherrn, zu tragen.

Das 13. Jahrhundert war die Zeit eines agrarischen Aufschwungs. In England, Frankreich, Dänemark und Deutschland kam es vor allem in Gebieten mit starker Rodung und Neusiedlung zu Getreideüberschüssen. Die Viehzucht wurde ausgeweitet. Vor allem in England, aber auch in Spanien, Italien und Nordafrika nahm die Schafhaltung zu und hatte eine größere Wollproduktion zur Folge.

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