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Landwirtschaft im frühen Mittelalter

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Ausbreitung der Grundherrschaft

Mit der Auflösung des westlichen Teils des Imperium Romanum hatte sich der wirtschaftliche Schwerpunkt in die sich selbst versorgende Landwirtschaft verschoben. Die mittelalterliche Wirtschaft und Gesellschaft bauten auf der Landwirtschaft und dem Besitz an Grund und Boden auf. Die Landwirtschaft war die Grundlage des (relativen) Reichtums, der Macht und der sozialen Stellung der maßgebenden Aristokratie.

Im nordöstlichen Teil des Frankenreiches und seinen Nachbarländern entwickelte sich im 7. und 8. Jahrhundert die Grundherrschaft zur dominierenden Wirtschaftsform.

E

Grundherrschaft

Bei der Grundherrschaft ließ der Herr nur einen kleinen Teil seines Landes, das sog. Salland, durch seine Haushaltssklaven selbst bearbeiten. Der Hauptteil wurde von seinen in eigenen Hütten wohnenden Hörigen bearbeitet, die für die Landnutzung Abgaben an ihren Herrn zu leisten hatten. Das Betriebssystem der Grundherrschaft setzte eine planmäßige Kooperation der beteiligten Menschen voraus. Bedingung dafür war ein mäßig feuchtes Klima, das eine ganzjährige Viehhaltung im Freien ermöglichte, und ein Boden, der sich zum Getreideanbau eignete. Notwendig war ferner das Vorhandensein von Wald oder Ödland als Viehweide, da der Boden nur durch tierische Exkremente oder Düngung mit Plaggen (einem mit der Hacke aus der obersten Schicht der Heide- und Moorböden abgehauenen Stück) fruchtbar erhalten werden konnte.

Dieses System des Feudalismus ließ der dörflichen Selbstverwaltung beträchtlichen Raum. Die Gemeinde regelte die Organisation der Produktion (Flurzwang) oder die Nutzung der Allmende, d.h. des gemeinsam genutzten Teils der Flur.

Die militärtechnische Entwicklung kam der Ausbreitung der Grundherrschaft entgegen. Die Eroberungen der Araber in Europa beruhten u.a. auf der Verwendung des Steigbügels in ihrer schnellen Kavallerie. Seit der Karolingerzeit wurde der Steigbügel im Westen übernommen, allgemein aber erst im 12. Jahrhundert verbreitet. Der Steigbügel garantierte den festen Halt des Reiters und ermöglichte es diesem, eine lange Lanze mit großer Stoßkraft zu führen. Dagegen schützte man sich mit schweren eisernen Rüstungen. In den sich über 30 Jahre erstreckenden Eroberungskriegen Karls des Großen erfuhr das fränkische Heerwesen eine grundlegende Umgestaltung: An die Stelle des aus den freien und wehrfähigen Männern des Volkes bestehenden Heeres traten die Reitertruppen mit Land belehnter und schwer bewaffneter Grundbesitzer, deren Stellung in der Gesellschaft damit immer bedeutsamer wurde.

Um den drückenden Kriegs- und Gerichtspflichten zu entkommen, suchten sich viele ehemals Freie einen Beschützer. Gegen entsprechende Dienste und Abgaben sowie Einräumung eines Obereigentums am Grundbesitz des Bauern übernahm der Grundherr diese Pflichten seiner Hintersassen. Die Ausübung der Herrenrechte geschah in Form der Grundherrschaft. Der Herr schlichtete die Streitigkeiten seiner Hintersassen untereinander, vertrat ihre Forderungen nach außen und schützte sie gegen solche von außen. Daraus entwickelte sich die Gerichtsbarkeit des Grundherrn über seine Hörigen.

Im militärisch unruhigen 9. Jahrhundert machte die Ausbreitung der Grundherrschaft große Fortschritte. Mit Ausnahme einiger Gebiete an der Nordseeküste, in den Alpen und vereinzelt in Niedersachsen und Westfalen verloren die Bauern ihre alte Freiheit und wurden einem weltlichen oder kirchlichen Grundherrn hörig.

Die Grundherrschaft sicherte den nordöstlichen Gebieten des Frankenreichs einen größeren agrarischen Ertrag und war damit auch die Grundlage für das dort entstehende rasche Bevölkerungswachstum, das dasjenige der übrigen Länder der damaligen Welt übertraf. Im Bereich der Grundherrschaft lebten vom 8. Jahrhundert an wahrscheinlich mehr Menschen als im ganzen übrigen Europa. Unter den Karolingern bildeten diese Regionen das wirtschaftliche und politische Herz Europas.

Nicht überall in Europa verbreitete sich allerdings die Grundherrschaft. In Skandinavien hielten sich die Genossenschaften freien Bauerntums. In den slawischen Gebieten Osteuropas standen die geringe Dichte der Bevölkerung und die nomadische Herkunft der awarischen oder ungarischen Herrenschicht dieser Betriebsweise entgegen. In den Mittelmeerländern war wegen der ungünstigen Verteilung von sommerlicher Dürre und Regenzeit, die die Errichtung von Terrassen oder Wasserhaltungsanlagen bedingte, der bäuerliche Betrieb mit Hakenpflug und Esel sowie freiem römischen Eigentumsrecht die am besten geeignete Betriebsform. In der Viehzucht lagen Sommer- und Winterweide oft weit auseinander und hatten großräumige Viehtrecks (Transhumanz) zur Folge.

geringe Produktivität der frühmittelalterlichen Landwirtschaft

Die Produktivität der frühmittelalterlichen Landwirtschaft litt nicht nur unter dem Fehlen geeigneter Bearbeitungsgeräte, sondern ebenso unter dem Mangel an Dünger. So behalf man sich damit, dass man von den Bauern Abgaben in Form von Mist erhob oder sie verpflichtete, ihr Vieh eine bestimmte Anzahl von Tagen auf die Ländereien des Grundherrn zu treiben. Als Dünger dienten neben tierischen Exkrementen verbranntes Gras, Stroh oder Asche von verbranntem Strauchwerk, Kalk, Mergel und Torf. Unter diesen Voraussetzungen erreichten die Erträge der Getreidearten in der Karolingerzeit nicht einmal das Doppelte der Aussaat.

Bei den Slawen und Germanen waren im frühen Mittelalter vor allem die Feldgraswirtschaft und die uralte Einfeldwirtschaft verbreitet, die nur minimale Erträge brachten. Bei der Einfeldwirtschaft wurde durch Rodung Ackerland gewonnen, das man dann ein Jahr oder länger bebaute, solange es Erträge gab und dann brachliegen ließ, um andere Ländereien unter den Pflug zu nehmen, bis sich der Zyklus nach einigen Jahren wiederholte. Der beste Boden in der Nähe der Siedlungen wurde durchgehend bearbeitet. In den östlichen Niederlanden und in Nordwestdeutschland baute man darauf jahrein jahraus Roggen an.

Allmählich begann sich die Dreifelderwirtschaft durchzusetzen (der älteste urkundliche Nachweis fällt bereits in das Jahr 763). Dabei wurde abwechselnd 1/3 des Bodens mit Wintersaat und 1/3 mit Sommersaat bebaut, während 1/3 brachlag, um sich zu erholen.

Die adligen und klösterlichen Grundherrschaften organisierten im 8. und 9. Jahrhundert ausgedehnte Rodungsarbeiten in Waldgebieten, die sie aus Reichsgut oder der Allmende erhalten hatten. Es kam zu zahlreichen neuen Siedlungen, einer Ausweitung der Anbaufläche und in letzter Konsequenz zu einer starken Zunahme der Bevölkerung.

Die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion, die Schaffung eines auf dem Markte handelbaren Mehrproduktes, war die unabdingbare Voraussetzung für die Ausweitung des handwerklich-gewerblichen Produktionsbereiches und für zunehmende wirtschaftliche Arbeitsteilung mit den damit verbundenen gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsgewinnen.

Im frühen Mittelalter aber war der Ertrag des Bodens noch so gering, dass die Menschen in der Karolingerzeit bei jeder Missernte von einer Hungersnot, nicht selten sogar vom Tod bedroht waren. Immer wieder ist in den karolingischen Annalen von Hungersnöten und Epidemien die Rede, denen die schlecht ernährten Menschen in Massen zum Opfer fielen.

Auf Landgütern der Karolinger in Nordfrankreich betrugen die durchschnittlichen Erträge im Jahre 810 bei Weizen das 2,7-Fache der Aussaat, bei Roggen das 2,6-Fache und bei Gerste das 2,8-Fache. Dabei ist zu bedenken, dass der Bauer zur neuerlichen Aussaat jedes Jahr die gleiche Menge Saatgut zurückhalten musste, die er im vorangegangenen Jahr eingesetzt hatte. Die Ertragszahlen müssen also noch um eine Einheit vermindert werden (d.h. sie betrugen beim Roggen lediglich das 1,6-Fache der Aussaat!). Von dieser geringen Erntemenge musste nicht nur die Familie des Bauern ernährt, sondern noch Zins, Pacht und der Zehnte an den Grundherrn entrichtet werden. Bei der Dreifelderwirtschaft standen jedes Jahr lediglich 2/3 der Fläche zum Anbau zur Verfügung, und von den darauf erwirtschafteten Überschüssen musste auch noch die nichtlandwirtschaftliche Bevölkerung ernährt werden. Die Steigerung der Agrarproduktion war unter diesen Bedingungen der Schlüssel für gesellschaftliche Spezialisierung und das Ingangsetzen von wirtschaftlichem Wachstum.

Die geringen Erträge des Bodens waren vor allem auf die mangelnde Düngung und das unzureichende Bearbeitungswerkzeug zurückzuführen. Vielfach wurde noch der antike Hakenpflug (aratrum), im Wesentlichen ein von zwei Ochsen gezogener Stock, verwendet. Dieser konnte zwar von jedem Bauern leicht selbst hergestellt werden, war aber eigentlich nur für die lockeren Böden des Mittelmeergebietes geeignet. Der Boden musste deshalb alle paar Jahre noch zusätzlich mit der Schaufel bearbeitet werden. Der eigentliche Pflug dagegen, der schwere sächsische Räderpflug, war auch für die schweren Böden des nordwestlichen Europa geeignet. Er hatte ein Messer (das sog. Sech), das die Grasnarbe aufriss, und ein Streichbrett, das die Erde wendete und gleichzeitig zerkrümelte. Der Räderpflug scheint von den eindringenden Germanen in die römische Welt gelangt zu sein. Spätestens im 8. oder 9. Jahrhundert drang er auch in Mittel- und Osteuropa vor.

Ob in der Karolingerzeit auch in West- und Mitteleuropa schon echte Pflüge in Gebrauch waren, ist in der Wissenschaft umstritten. Eiserne Pflüge waren aber zunächst schon deshalb nicht die Regel, weil die Kultur der Karolinger vor allem auf der Verwendung und Bearbeitung des Holzes beruhte.

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