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2.1.1 Evolution als Grundlage der Biologie

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Es ist wahr: Erst durch die Evolutionstheorie hat die Biologie ein einheitliches Fundament erhalten; erst durch die Evolutionstheorie ist die Biologie zu einer eigenständigen Wissenschaft geworden, in der alles mit allem zusammenhängt; erst die Evolutionstheorie bietet die Möglichkeit, das Gegenwärtige aus dem Vergangenen zu erklären; erst die Evolutionstheorie macht den Rückgriff auf einen Schöpfer, auf Teleologie und Finalität, auf eine Entelechie, eine vis vitalis und andere obskure Faktoren überflüssig.

Eine weitere Grundlegung mit ähnlicher Tragweite erfährt die Biologie um die Mitte des 20. Jahrhunderts durch die Molekularbiologie. Doch wird dadurch die Evolutionstheorie als Gerüst der Biologie keineswegs entbehrlich. Denn die Erklärungsleistung der Molekularbiologie liegt, zeitlich gesehen, in der Nahzone, die der Evolutionstheorie in der Fernzone. Fragt man etwa, warum der Schneehase weiß ist, so zeigt die Molekularbiologie im Verbund mit der Physiologie, welche Vorgänge in Zellen, Geweben und Körperteilen die Farbe des einzelnen und damit aller Schneehasen bewirken; der Evolutionsbiologe sucht dagegen nach der Funktion, die das Merkmal Farbe für den Schneehasen erfüllt und in aller Regel auch schon in der Evolution erfüllt hat. Es geht dabei also um den individuen- oder gen-erhaltenden Wert, um die fitness-steigernde Wirkung aller oder wenigstens der meisten organismischen Merkmale.

Um die beiden Erklärungsarten deutlich zu unterscheiden, hat der deutsch-amerikanische Biologe ERNST MAYR die Begriffe proximat und ultimat eingeführt. Physiologen und Molekularbiologen bieten dann proximate, Evolutionsbiologen dagegen ultimate Ursachen und Erklärungen. Diese Redeweise ist nicht sehr glücklich; denn unter einer ultimaten Erklärung versteht man eher eine letzte oder eine endgültige Erklärung, die einer weiteren Nachfrage weder fähig noch bedürftig wäre. Eine solche Letzterklärung gibt es aber so wenig wie eine letztgültige Definition oder eine Letztbegründung, und in diesem Sinne ist ultimat bei ERNST MAYR auch gar nicht gemeint. In seinen eigenen Büchern übersetzt MAYR diese Wörter denn auch mit unmittelbar und mittelbar, doch haben die meisten deutschen Autoren seine lateinisch-englischen Bezeichnungen übernommen.

Es wäre müßig, herausfinden zu wollen, ob nun proximate oder ultimate Erklärungen wichtiger sind, ob also Molekularbiologie, Physiologie oder Evolutionstheorie der Biologie die entscheidende Grundlage geben. Wir fragen ja auch nicht, ob für ein Auto Motor oder Getriebe bedeutsamer sind. Und doch lässt sich der Evolutionsgedanke durch ein besonderes Merkmal auszeichnen: Er kann auf andere Wissenschaften verallgemeinert werden. Während Begriffe wie Stoffwechsel, Vermehrung, Vererbung, natürliche Auslese auf die Biologie beschränkt bleiben, ist der Evolutionsbegriff für viele weitere Disziplinen fruchtbar geworden. Das führt uns zur nächsten Leitidee.

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