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2.2 Ist wirklich alles in Evolution?
ОглавлениеIst man erst einmal darauf aufmerksam geworden, so entdeckt man, in wie vielen Gebieten von Evolution die Rede ist. Für die Biologie ist das kein Wunder. Es gibt aber auch zahlreiche nichtbiologische Bereiche, für die der Evolutionsbegriff eingesetzt wird. Wir stellen einige solche Bereiche zusammen, der Einfachheit halber alphabetisch – was dann die Liebe mit den Mineralen zusammenbringt.
Evolution der Atmosphäre
Evolution des Bösen
Chemische Evolution
Evolution von Galaxien
Evolution des Gewissens
Evolution Gottes
Evolution von Institutionen
Evolution der Komplexität
Evolution der Kooperation
Evolution des Kosmos
Evolution der Kultur
Evolution des Lebens (im Sinne der Biogenese)
Evolution der Liebe
Evolution der Minerale
Evolution der Biomoleküle
Evolution der Moral
Evolution der Phantasie (gemeint ist die Kunst)
Evolution der Quasare
Evolution des Rechts
Evolution der Sprache
Evolution der Technik
Evolution der Wissenschaft
Diese Liste ist natürlich in keiner Weise vollständig. Aber schon unvollständig macht sie deutlich, dass der Evolutionsgedanke auf sehr vieles anwendbar ist – nicht nur in der Biologie. Eine kritische Frage lautet deshalb: Ist etwa alles in Evolution? Auch der Kosmos als Ganzes, auch die so genannten Naturkonstanten, vielleicht sogar die Naturgesetze, auch die Evolutionsgesetze, und am Ende auch noch die Wahrheit?
Die Antwort hängt wesentlich davon ab, wie man den Evolutionsbegriff versteht. Fasst man ihn weit, so ist die Antwort vergleichsweise einfach: Alle realen Systeme sind in Evolution, auch der Kosmos als Ganzes. Naturkonstanten wie die Lichtgeschwindigkeit oder die Gravitationskonstante sind dagegen keine realen Systeme, sondern Eigenschaften von natürlichen Systemen und als solche keine realen Objekte, sondern Abstraktionen. Die realen Systeme allerdings, welche diese Eigenschaften haben, könnten sich durchaus ändern, und in diesem Sinne könnten sich auch Naturkonstanten ändern. Bisher haben sie sich jedoch trotz immer genauerer Messungen nicht als veränderlich erwiesen. – Auch Naturgesetze sind Abstraktionen: Sie stellen Zusammenhänge zwischen den Eigenschaften realer Systeme dar; insofern sind sie sogar Abstraktionen höherer Stufe und damit der Evolution erst recht nicht unterworfen. – Und das gilt schließlich auch für die Wahrheit. Wahrheit kann man verstehen als eine bestimmte Eigenschaft von Aussagen oder als die Menge aller wahren Aussagen. Aber Eigenschaften sind Mengen, und Mengen sind eben keine realen Systeme, sondern Abstraktionen; auf sie ist der Evolutionsbegriff nicht anwendbar, auch wenn sich unsere Meinungen über das, was wahr ist, immer wieder ändern können und auch oft genug ändern.