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1 Vorwort

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MEHR ALS 150 JAHRE sind vergangen, seit CHARLES DARWIN sein Hauptwerk „Über die Entstehung der Arten“ veröffentlichte. Die darin vorgestellte Evolutionstheorie hat unser Weltbild grundlegend verändert. Sie öffnete uns den Blick dafür, dass wir weder in einer statischen, noch in einer aus dem Nichts (ex nihilo) erschaffenen Welt leben, sondern in einem kreativen, sich selbst organisierenden Kosmos, der den Menschen in einer Jahrmilliarden andauernden Entwicklungsgeschichte hervorgebracht hat. Obwohl im heutigen Denken fest etabliert, hat die Evolutionstheorie nichts an Faszination eingebüßt, im Gegenteil: Das Konzept der Evolution durchdringt längst nicht nur alle Teilgebiete der Biowissenschaften. Auch in anderen Naturwissenschaften entfaltet es seine explanative Kraft und gibt Anlass zur Auflegung zahlreicher Forschungsprogramme. In technologischen Bereichen kommen evolutionäre Strategien zum Einsatz, die helfen, Probleme zu lösen. Selbst in die Philosophie hat der Evolutionsgedanke Einzug gehalten.

Freilich lassen sich nicht alle Aspekte der Bioevolution gleichermaßen auf andere Wissenschaften übertragen. So hat etwa die Evolution des Kosmos mit DARWIN und mit der Bioevolution wenig zu tun, weil es in der Kosmologie keine Vererbung, keine Konkurrenz und keine Auslese in der Weise gibt, wie sie in biologischen Systemen bestehen. Das interdisziplinäre Konzept der Evolution, um das es in diesem Band geht, konzentriert sich vielmehr auf die Emergenz neuer Systemeigenschaften, die Entstehung von qualitativ Neuem, zunehmend Komplexem, bedingt durch das fortwährende Wechselspiel von Zufall und Notwendigkeit. Die Mechanismen dieses Wechselspiels sind natürlich vielschichtig. So gibt und gab es in der Geschichte des Kosmos verschiedene Sternpopulationen, die in Jahrmilliarden der Entwicklung schwere Elemente hervorbrachten, anreicherten und ins interstellare Medium entließen. In nachfolgenden Sterngenerationen entstanden aus diesen schweren Elementen Planetensysteme mit unterschiedlicher Zusammensetzung und Konstellation sowie eine komplexe Chemie, die unter günstigen Voraussetzungen bis zur Entstehung von Leben führte.

In diesem Band erläutern die Autoren die Rolle evolutionären Denkens in der Philosophie, Kosmologie, Entwicklungsbiologie, Molekularbiologie und Biochemie, Biotechnologie, Verhaltensbiologie und Medizin. Zunächst verschafft uns Prof. VOLLMER einen Überblick über die meisten erfahrungswissenschaftlichen und philosophischen Disziplinen, in die der Evolutionsgedanke Einzug hielt. Im 3. Kapitel schildern Dr. GASNER und Prof. LESCH die Geschichte des Kosmos und zeigen an vielen Beispielen, dass unser Weltall ohne evolutionären Hintergrund schlichtweg nicht verstehbar ist. Im 4. Kapitel widmet sich der Herausgeber der Evolutionären Entwicklungsbiologie und erörtert die fruchtbare Verflechtung zwischen Evolutionstheorie und Embryologie. Im 5. Kapitel widmen sich der Herausgeber und Dr. KAISER der Frage, inwieweit chemische Evolution und evolutionäre Bioinformatik zum Verständnis der Struktur des Lebendigen beitragen. Das 6. Kapitel aus der Feder von Prof. SCHUSTER macht den Schritt von der Bioevolution zur Evolution von Molekülen im Reagenzglas nachvollziehbar und beschreibt Prinzipien und Anwendungsgebiete der noch jungen Disziplin der Evolutionären Biotechnologie. Anschließend gehen Dr. STÖRMER und Prof. VOLAND der Frage auf den Grund, warum verschiedene Tierarten unterschiedliche Lebensgeschichten entwickelt haben und inwieweit Evolution bestimmte Formen des Sozialverhaltens begünstigte. Im 8. Kapitel von Prof. BEYER geht es dann um medizinische Fragen, beispielsweise darum, inwieweit die Evolution das Altern und die Regenerationsfähigkeit von Organen bei verschiedenen Tierarten beeinflusst. Abschließend skizziert Prof. KANITSCHEIDER die Grundlagen einer naturalistischen Ethik und erklärt, weshalb eine zeitgemäße Ethik nicht umhin kommt, auch evolutionär erworbene Verhaltensprogramme (als Brückenprinzipien, die zwischen dem „Sein“ und dem „Sollen“ vermitteln) in moralischen Forderungen zu berücksichtigen.

In den verschiedenen Beiträgen wird vor allem zweierlei deutlich: Zum einen, dass die Einbeziehung evolutionärer Strategien hilft, auch anwendungsorientierte Probleme zu lösen. Für die Beiträge über die Evolutionäre Bioinformatik und die Evolutionäre Biotechnologie gilt dies in besonderem Maße. Beeindruckend ist in diesem Zusammenhang auch die fruchtbare Verzahnung zwischen Evolutionsbiologie und Medizin (Grundzüge einer „Evolutionären Medizin“).

Zum anderen wird klar, dass sich viele grundlegende Phänomene ohne Evolution überhaupt nicht verstehen und erklären lassen. Warum beispielsweise finden wir bestimmte Dinge ästhetisch, andere hässlich? Weshalb finden wir uns in unserer Welt zurecht? Weshalb lässt sich vieles, das uns ausmacht, nur als Ergebnis chemischer Evolution auffassen? Warum finden sich in der Embryonalentwicklung vielfach Strukturen, die an die Endorgane anderer Tierarten erinnern? Das breit gefächerte Spektrum an Fragen macht das Buch zu einer guten Einführung in die Thematik. Der Band bezieht den Menschen mit all seinen Eigenschaften in die naturwissenschaftliche Kosmovision eines gesetzesartigen, sich selbst organisierenden Stufenbaus der Welt ein, ohne das Staunen über die Komplexität und Einzigartigkeit der menschlichen Natur zu eliminieren. Um es in einem Satz zu sagen: Evolution ist nicht alles, aber ohne Evolution ist vieles nichts! Gehen Sie, liebe Leser, mit uns auf die Reise und sehen Sie sich an, wo überall evolutionäre Muster zutage treten und in welchen Lebensbereichen evolutionäre Problemlösungsstrategien zum Tragen kommen.

An dieser Stelle möchte ich ein Wort des Dankes an all jene aussprechen, die mich bei der Arbeit besonders unterstützt haben, insbesondere Prof. Dr. ANDREAS BEYER, Dr. JENS SEELING, meine Frau KATJA und THOMAS WASCHKE.

MARTIN NEUKAMM, im Februar 2014

Darwin heute

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