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2. Formen des Besitzes

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a) In den praktisch (und auch in Examensarbeiten) sehr wichtigen Fragen des Eigentumserwerbs vom Berechtigten wie auch vom Nichtberechtigten (Rn 219) kommt es regelmäßig auf einen Besitzerwerb des möglichen Eigentumserwerbers und parallel dazu auf die Trennung des Veräußerers vom Besitz an, so bei der Übergabe im Rahmen des § 929. Da es sich hierbei aber durchweg um wirtschaftlich komplexe Vorgänge handelt, ist auch die Einräumung und Übertragung anderer Besitzformen als des unmittelbaren Besitzes von Bedeutung; man kann sagen, dass die Übereignung auch durch Einräumung von mittelbarem Besitz an den Erwerber möglich ist, wobei wiederum verschiedene Übertragungsformen zu unterscheiden sind.

Im Einzelnen: Besitz hat auch derjenige, der aufgrund einer Beziehung zu demjenigen, der die tatsächliche Sachherrschaft innehat, auf die Ausübung der hiermit verbundenen Möglichkeiten Einfluss hat. Dieser mittelbare Besitz steht in vielen Belangen dem unmittelbaren Besitz gleich, die Besonderheit liegt darin, dass zwischen dem unmittelbaren Besitzer in seiner Rolle als Besitzmittler und dem mittelbaren Besitzer ein Stufenverhältnis besteht, dessen rechtliche Grundlage ein Besitzmittlungsverhältnis iSd § 868 („Besitzkonstitut“) ist. Dabei muss es sich nicht um eines der im Gesetz angeführten Vertragsverhältnisse handeln; es genügt, wenn die Beteiligten Rechte und Pflichten bezüglich der Besitzausübung vereinbart haben oder aus einem gesetzlichen Verhältnis ableiten können.

Wenn etwa in einem Vertrag über eine Sicherungsübereignung nichts weiter geregelt ist als die Einigung über den Eigentumsübergang und den künftigen Besitz für den Erwerber, so wurde dies früher als bloß abstraktes Besitzmittlungsverhältnis nicht für ausreichend gehalten; heute lässt man es genügen, wenn dem Rechtsgeschäft durch Auslegung entnommen werden kann, dass der bisherige Besitzer die Sache weiterhin nutzen kann, dabei aber Rücksichten auf die Belange des Erwerbers nehmen muss[12].

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So ist im Fall 2 die Familie M als Mieterin des Strandkorbs zum Besitz berechtigt, die Gemeinde als Vermieterin hat sich Einwirkungsmöglichkeiten vorbehalten, etwa das Recht, bei Flut den Strandkorb zu versetzen. Sie muss ihn dann aber später auch wieder der Familie M zur Verfügung stellen. Auch im Fall 3 könnte man meinen, dass Ralf als Käufer des Fahrrades, der offenbar noch nicht das Eigentum erworben hat, jedenfalls die tatsächliche Gewalt zurecht ausüben durfte und dem Verkäufer noch den mittelbaren Besitz vermittelte; das kann aus dem Kaufvertrag folgen, wenn ein Eigentumsvorbehalt iSd § 449 vereinbart ist, der den Käufer bis zur Bezahlung des Kaufpreises zwar zum Besitz der Kaufsache berechtigt, aber auch zu einer sorgsamen Behandlung der Kaufsache verpflichtet[13].

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Das Besitzmittlungsverhältnis muss durch die Pflichten der Parteien genügend bestimmt sein. Vor allem muss es, wenn der mittelbare Besitzer auch Eigentümer ist, was nicht zwingend der Fall sein muss, dem unmittelbaren Besitzer gegenüber dem Herausgabeanspruch aus § 985 ein Recht zum Besitz über § 986 geben. Damit kann die Besitzberechtigung nach Maßgabe des Besitzmittlungsverhältnisses verlängert oder verkürzt werden, wobei sich aus dem Besitzkonstitut auch der Herausgabeanspruch ergibt; so kann im Fall 2 die Gemeinde nicht jederzeit, aber doch nach Ablauf der Mietzeit, den Strandkorb wieder an sich nehmen, während ein Verleiher, wenn die Voraussetzung des § 604 Abs. 3 vorliegen, die Sache jederzeit herausverlangen kann. Eine bloße Erklärung, künftig für einen anderen besitzen zu wollen, reicht zur Begründung mittelbaren Besitzes nicht aus[14]. Auf der anderen Seite genügt ein Verhalten der Beteiligten nach Maßgabe ihrer Vorstellungen von ihren auf die Sache bezogenen Rechten und Pflichten; auf die rechtliche Gültigkeit eines etwa bestehenden Vertrages kommt es nicht an, allerdings muss ein Herausgabeanspruch bestehen, und sei es derjenige aus § 812[15]. Das tatsächliche Verhalten des Besitzmittlers entscheidet auch für die Beendigung des mittelbaren Besitzes. Wenn er aufhört, die Sache als Besitzmittler zu halten, endet der mittelbare Besitz, auch wenn das Rechtsverhältnis, das ihn zu einem bestimmten Verhalten im Interesse des bisherigen mittelbaren Besitzers verpflichtet, fortbesteht[16].

Ein solches „Ausbrechen“ aus dem Besitzmittlungsverhältnis spielt insbesondere eine Rolle, wenn der bisherige Besitzmittler die Sache im eigenen Namen verwerten, etwa die unter Eigentumsvorbehalt gekaufte Sache an einen Dritten veräußern oder sie belasten will, und wenn dies auch in seinem Verhalten zum Ausdruck kommt, s. etwa § 6 Rn 183.

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b) Der Besitzmittler ist sog. „Fremdbesitzer“, wer dagegen eine Sache als ihm gehörig besitzt, ist Eigenbesitzer, § 872. Dieser Unterschied ist in verschiedenen Verhältnissen bedeutsam, s. etwa §§ 990, 937, 985. Der mittelbare Besitzer kann seinerseits Fremdbesitzer sein, so etwa der Autovermieter, der das Fahrzeug von einem Händler unter Eigentumsvorbehalt gekauft hat. Schließlich kann ein Besitzmittlungsverhältnis kraft Gesetzes entstehen, etwa dann, wenn ein Insolvenzverwalter die Masse in Besitz nimmt[17]. Im Bereich der Sicherungsübereignung, die durch Einigung und Schaffung eines Besitzkonstituts geschieht und den Sicherungsnehmer folglich (nach § 930) zum Eigentümer macht, während der Sicherungsgeber Besitzer bleibt, hat der BGH die eheliche Lebensgemeinschaft oder auch die elterliche Vermögenssorge als Besitzmittlungsverhältnis gelten lassen mit der Folge, dass eine einem Ehegatten oder den Eltern ursprünglich gehörige Sache nun nicht mehr in ihrem Eigentum, wenn auch noch im unmittelbaren Besitz stehen kann[18].

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c) Vom Besitzmittler zu unterscheiden ist der Besitzdiener, § 855. Man versteht darunter eine Person, die die tatsächliche Gewalt in Abhängigkeit von einem anderen und mit der Verpflichtung ausübt, dessen auf die Sache bezüglichen Anweisungen zu gehorchen. Die Herrschaftsmacht des „Besitzherrn“ über die Sache ergibt sich hier daraus, dass er die Organisation bestimmt und leitet, in die der die tatsächliche Sachherrschaft Ausübende eingefügt ist. Auch dies ist als äußerliches Faktum[19] für jedermann erkennbar; daher ist die auf den ersten Blick weitgehende Rechtsfolge, dass nur der Besitzherr Besitzer ist, derjenige, der die tatsächliche Gewalt ausübt, also nicht, am Ende doch verständlich. Besitzdiener sind etwa Arbeiter in einer Fabrik in Bezug auf ihr Arbeitsgerät, Verkaufsangestellte in Bezug auf die zu verkaufenden Waren, ein angestellter Kraftfahrer, selbst wenn bei einer weiten Fahrt die effektiven Anordnungsmöglichkeiten des Chefs bezüglich des Wagens gelockert sind. Auch hier kommt es auf die rechtliche Gültigkeit des Besitzdienerverhältnisses, also etwa des Arbeitsverhältnisses, kraft dessen der Arbeitnehmer mit den im Betrieb des Arbeitgebers befindlichen Gegenständen umgeht, nicht an, solange die Einbindung des die tatsächliche Sachherrschaft Ausübenden in die vom Besitzherrn geschaffene Organisation objektiv besteht. Anders als ein Besitzmittler kann der Besitzdiener dieses Verhältnis und damit den unmittelbaren Besitz des Besitzenden nicht durch eine bloße Willensänderung beenden, sondern er muss erkennbar und bewusst aus der Bindung ausscheiden (zB der Mitarbeiter einer Edelsteinschleiferei steckt, als er nach getaner Arbeit den Betrieb verlässt, einen von ihm bearbeiteten Stein in die Tasche).

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Die Besitzdienerschaft hat weittragende Konsequenzen. Der Besitzdiener darf zwar nach § 860 auch die Selbsthilferechte des Besitzers gem. § 859 ausüben, aber seiner Sachherrschaft kommt nicht die Vermutungswirkung gem. § 1006 zu, so dass er nicht an einen Gutgläubigen die Sache gem. § 932 wirksam veräußern kann. Vielmehr kommt hierdurch die Sache dem Besitzherrn iSd § 935 abhanden, s. näher Rn 232. Auf der anderen Seite ist über einen Besitzdiener der Erwerb des unmittelbaren Besitzes durch den Besitzherrn möglich, ohne dass dieser von dem Vorgang überhaupt konkrete Kenntnis haben muss, näher unten Rn 132. Der Besitzdiener kann, muss aber nicht Vertretungsbefugnis für den Besitzherrn haben, so ein Lagerverwalter, der für den Betriebsinhaber bestimmte Lieferungen entgegennimmt und somit, da er die dingliche Einigung im Namen des Betriebsinhabers erklären kann, diesen auch zum Besitzer macht und damit eine Übereignung nach § 929 vollzieht.

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d) In einem Sonderfall verzichtet das BGB für die Begründung von Besitz ganz auf die Sachherrschaft, nämlich beim Erbenbesitz iSd § 857. Dass hier der Erbe, auch wenn er von dieser Stellung nichts weiß, automatisch mit dem Erbfall in die besitzrechtliche Stellung des Erblassers einrückt, ist darin begründet, dass die unmittelbare oder mittelbare Einwirkungsmöglichkeit des Erblassers beendet ist, und Besitzlosigkeit der Nachlassgegenstände jeglichen Schutz vor Übergriffen „gegenüber Dritten“ entfallen lassen würde, der sich aber aufgrund der „Besitzvererbung“ ganz nach der besitzrechtlichen Stellung des Erblassers richtet[20]. Das hat wiederum – wie auch die Besitzdienerschaft – Konsequenzen für einen Erwerb vom Nichtberechtigten: Wenn ein vermeintlicher Erbe einen Nachlassgegenstand veräußert, kommt die Sache dem wahren Erben iSd § 935 abhanden und kann auch von einem Interessenten, der den Veräußerer gutgläubig für den Eigentümer erhält, nicht nach nach § 932 erworben werden. Wenn der Erbe die tatsächliche Sachherrschaft ergreift, richtet sich seine Besitzerstellung nach den hierdurch geschaffenen tatsächlichen Verhältnissen.

Teil I Eigentum und Besitz§ 2 Funktionen des Eigentums und des Besitzes › II. Schutz von Eigentum und Besitz

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