Читать книгу BGB-Sachenrecht - Harm Peter Westermann - Страница 37

3. Enteignung und enteignungsgleicher Eingriff

Оглавление

55

Nach dem Vorigen begründet Art. 14 GG einen Schutz gegen Wegnahme des Eigentums im Einzelfall (Enteignung) und eine Schranke für die gesetzgeberische Gestaltung dessen, was unter „Eigentum“ zu verstehen ist. Wenn ein den Eigentumsinhalt verminderndes Gesetz oder eine Enteignung im Einzelfall wegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses gerechtfertigt ist, so ist zu prüfen, ob das Gesetz, aufgrund dessen die hoheitliche Maßnahme geschieht, eine angemessene Entschädigung des bisherigen Berechtigten vorsieht. Somit ist zwischen der Rechtfertigung des Eingriffs und der Frage nach der Entschädigung zu unterscheiden. Da die Gesetze diese Prüfung unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten übertragen haben, hat sich bei der Bestimmung des Begriffs der Enteignung eine Verschiedenheit in der Judikatur des BGH und des BVerfG ergeben[16]; angesichts der Dominanz des BVerfG in dieser Frage ist von dem formellen Enteignungsbegriff auszugehen, der von einem zweckgerichteten staatlichen Zugriff auf das Eigentum zur vollständigen oder teilweisen Entziehung konkreter, dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG unterliegender Rechtspositionen eines Einzelnen ausgeht[17]. Eine solche Enteignung kann administrativ, also durch einen staatlichen Vollzugsakt, erfolgen, gegen den dann der Verwaltungsrechtsweg offen steht, aber auch durch eine gesetzgeberische Maßnahme, die dann allerdings in dem hierfür vorgesehenen Verfahren auf ihre Vereinbarkeit mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung zu prüfen ist. Dabei kommt es darauf an, ob es sich um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums im Zuge einer Konkretisierung seiner Sozialpflichtigkeit oder um eine die Substanzgarantie des Rechts und seinen Wesensgehalt verletzende Regelung handelt[18]. Bei dieser Abgrenzung spielt dann das Erfordernis einer gegenüber den verfolgten öffentlichen Zwecken verhältnismäßigen, namentlich nicht den Gleichheitssatz verletzenden Vorgehensweise des Gesetzgebers eine Rolle[19].

56

Das Ganze hat praktische Auswirkungen besonders beim Grundeigentum gehabt, wobei hier weniger die Enteignung als die Frage nach Inhalt und Schranken des Eigentums im Mittelpunkt stand, dazu die Entschädigungspflicht, die besteht, wenn bei vorkonstitutionellem (also vor Inkrafttreten des GG entstandenen) Recht eine Enteignung ohne Entschädigung vorgesehen war, während bei nachkonstitutionellem Recht das Fehlen einer Entschädigungsregelung Verfassungswidrigkeit begründet[20]. Für die Bemessung einer Enteignungsentschädigung ist die Zivilgerichtsbarkeit berufen[21].

Ein Bild von den Gestaltungs- und Verteidigungsmöglichkeiten in der Praxis geben einige Leitentscheidungen. Einmal[22] bejahte der BGH eine Konkretisierung der Sozialpflichtigkeit, als dem Eigentümer eines mit jahrzehntealten Bäumen bestandenen Grundstücks aufgrund der Aufnahme dieses „Buchendoms“ in die Liste der Naturdenkmäler entschädigungslos die Befugnis zum Schlagen der Bäume zwecks Bebauung verweigert worden war; ähnlich liegt es beim Denkmalschutz[23]. Anders liegen Beeinträchtigungen von Rechtspositionen durch die Notwendigkeiten neuzeitlicher Verkehrsplanung, so bei den Verkehrs- und Zugangsbeschränkungen durch die Frankfurter U-Bahn[24], die aufgrund der Situationsgebundenheit jedes Grundstücks entschädigungslos hingenommen werden musste.

57

Das geltende Schutzsystem beruht auf der Abgrenzung von rechtswidrigen und rechtmäßigen administrativen und legalen Maßnahmen. Es ist insofern nicht abschließend, als es sein kann, dass ein rechtswidriger Eingriff von hoher Hand, der an sich gemeinschaftsbezogen ist, dann aber vom Betroffenen ein sog. Sonderopfer im Hinblick auf seine verfassungsrechtlich geschützten Positionen gefordert hat, von ihm aber nicht durch ein gerichtliches Vorgehen verhindert oder rückgängig gemacht werden konnte, ihm nicht ausgleichslos zugemutet werden kann. Hierbei ist an die unberechtigt verweigerte oder verzögerte Erteilung einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung zu denken[25], ähnlich an eine faktische Bausperre über das Grundstück des Geschädigten[26], durch die jeweils ein Vermögensschaden verursacht wurde. Man spricht von einem enteignungsgleichen Eingriff, der zum Ersatz des dem Betroffenen zugemuteten Sonderopfers führt; dieser von der Zivilrechtsprechung entwickelte Anspruch soll dann neben die Amtshaftung nach § 839 iVm Art. 34 GG treten, setzt aber auf Seiten des handelnden Hoheitsträgers kein Verschulden voraus[27]. Eine zusätzliche Erweiterung des Schutzes bringt das Institut des enteignenden Eingriffs mit sich, das eingreift, wenn eine Maßnahme nicht zur Konkretisierung gesetzlicher Inhalts- und Schrankenbestimmungen dient und auch keine Enteignung darstellt, aber unbeabsichtigte Nebenfolgen in Gestalt schwerer Eigentumsbeeinträchtigungen nach sich zieht, ohne dass das diesen Zwecken dienende Verwaltungshandeln dadurch rechtswidrig würde. Beispiele sind etwa das Überlaufen eines offenen Regenrückhaltebeckens oder die Verschmutzung eines Gebäudes durch Vögel, die von einer gemeindlichen Mülldeponie angelockt wurden[28]. Auch für diese Realisierung des Aufopferungsgedankens, der auch im Nachbarrecht eine Rolle spielt (Rn 58), sind die Zivilgerichte berufen, in allen Fällen handelt es sich um Entwicklungen des auf Privat- wie auf öffentlichem Recht beruhenden Staatshaftungsrechts, das dem Ausgleich erlittener Vermögensschäden dient, während im Nachbarrecht, soweit es Duldungspflichten gegenüber Einwirkungen von privater und hoheitlicher Seite begründet, wiederum der Gedanke des Ausgleichs für Aufopferung wirkt. Das betrifft heute auch Aspekte des Umweltschutzes.

Teil I Eigentum und Besitz§ 3 Privatnützigkeit und Sozialpflichtigkeit des Eigentums, Eigentumsschutz und Nachbarrecht › II. Eigentumsschutz und Nachbarrecht

BGB-Sachenrecht

Подняться наверх