Читать книгу BGB-Sachenrecht - Harm Peter Westermann - Страница 40

2. Die Ansprüche aus § 1004 im zivilrechtlichen Anspruchssystem

Оглавление

63

Die Ansprüche aus § 1004 müssen in Abgrenzung zum Schutz gegen die Entziehung und Vorenthaltung des Besitzes (§§ 985, 861) und zum Schadensersatzanspruch wegen einer rechtswidrigen und schuldhaften Verletzung des Eigentums gesehen werden. Wie dies geschieht, hängt weitgehend vom Verständnis dessen ab, was unter einer „Beeinträchtigung“ zu verstehen ist, was dann gleichzeitig das Verständnis der Begriffe „Einwirkung“ und „Beeinträchtigung“ in § 906 bestimmt. Nach bisher hM gehört hierher jede von außen kommende und im Zeitpunkt der Benachteiligung des Eigentümers fortdauernde Einwirkung auf die Sache; das kann allerdings auch mittelbar durch menschliche Einwirkung auf die Sache geschehen, von der die beeinträchtigende Wirkung ausgeht[37]. Das ist klar, wenn durch den Betrieb eines Unternehmens eine für die Nachbarn nicht zu duldende Beeinträchtigung ihrer Grundstücke, zB durch LKW-Verkehr[38], stattfindet. Die Beeinträchtigung kann aus dem Handeln eines anderen (des Tätigkeitsstörers) oder aus der Aufrechterhaltung eines andere störenden Zustandes herrühren (Zustands- oder Untätigkeitsstörer). Die große Breite des Anwendungsfelds dieses Begriffs macht es notwendig, hinsichtlich der Art der Abwehr durch den Eigentümer etwas zu differenzieren. Das betrifft besonders auch die Abwehr fortdauernder und bevorstehender Beschädigungen, Nutzungsbehinderungen oder gar Zerstörung der Sache; möglich ist danach aber auch, dass Beeinträchtigungen, die aus früherer Zeit stammen, aber lange nicht spürbar waren, doch eine gegenwärtige Störung verursachen können, die sich aus einem veränderten Umweltbewusstsein ergeben kann, so zB bei chemischen Bodenverunreinigungen, die von einem (auch früher) industriell (besonders auch für militärische Zwecke) genutzten Nachbargrundstück aus in die Erde gelangt waren[39]. Während hier schon die öffentlich-rechtlichen Anforderungen (landesrechtlicher Vorschriften) an den Eigentümer, notfalls auf eigene Kosten die „Kontamination“ zu beseitigen, die Beeinträchtigung deutlich machen, werden hierher auch ziemlich triviale Störungen gerechnet, etwa das Einwerfen unerwünschten Werbematerials in den Briefkasten[40]. Andererseits spielt § 1004 eine große Rolle als Grundlage für das Recht zur Abwehr bzw – auf der anderen Seite – zur Ermöglichung der Durchleitung von elektrischen Einheiten durch ein fremdes Kabelnetz[41].

64

Im Vordergrund scheinen danach private (auch schädigende) Eingriffe in Sachen und andere absolut geschützte Rechte des Menschen zu stehen, so dass für die Frage der Unzulässigkeit oder des Bestehens von Duldungspflichten die Anschauungen normal empfindender Durchschnittspersonen maßgeblich sind[42]. Umstritten ist aber, ob der Anspruch aus § 1004 wie die Ansprüche wegen Besitzentziehung (§§ 985, 861) auch die Beseitigung der Folgen eines einmaligen rechtswidrigen Übergriffs erfasst oder nur die Herstellung eines rechtswidrigen Zustandes durch Handlungen oder durch die Verantwortlichkeit für Zustände, die sich als andauernde Usurpation von Eigentümerbefugnissen darstellt[43]. Aus der letzteren Sichtweise folgt dann, dass ein Anspruch aus § 1004 nur so lange erhoben werden kann, als die den rechtswidrigen Zustand begründende Einwirkung noch andauert. Die Unterscheidung hat durchaus praktische Konsequenzen, indem nach der zuletzt genannten – neueren – Lehre nicht nach einem in der Vergangenheit liegenden haftungsbegründenden Akt, sondern danach gefragt wird, ob gegenwärtig ein dem Inhalt des Rechts zuwiderlaufender, das Recht beeinträchtigender Zustand gegeben ist. Deutlich wird dies, wenn die hM mit dem negatorischen Anspruch auch Vorgängen begegnen will, bei denen die Beeinträchtigung von Gegenständen ausgeht, die mittlerweile wesentlicher Bestandteil des durch sie zunächst beeinträchtigenden Grundstücks geworden sind, so ein auf fremdem Gelände errichtetes Gebäude[44]. Dagegen wird eingewendet, dass in solchen Fällen durch den Beseitigungsanspruch aus § 1004 ohne das für einen Schadensersatzanspruch nach § 823 erforderliche Verschulden praktisch eine reine Kausalhaftung begründet werde[45]; die Frage bleibt aber namentlich mit Blick auf die erwähnten Kontaminationen, ob diese Konsequenz bei Nutzungskonflikten unter den Verhältnissen räumlicher Enge und intensiver Nutzung nicht doch zweckmäßig ist.

65

Die Tragweite des Problems zeigt sich deutlich auch bei der Behandlung sog. negativer Einwirkungen wie dem Bau eines mehrstöckigen Hochhauses an der Grundstücksgrenze, durch das den Bewohnern der benachbarten Häuser Zugang, Licht, Frischluftzufuhr entzogen und der Fernsehempfang behindert wird[46]. Die hM verneint hier eine den Anspruch aus § 1004 begründende Einwirkung auf das Grundstück[47], hilft allerdings bei grob rücksichtlosem Verhalten eines Nachbarn mit § 242, so in dem tatbestandsmäßig besonderen sog. Kaltluftsee-Fall[48].

Hier hatte die Errichtung einer Zwischendeponie für Erdaushub dazu geführt, dass auf dem benachbarten Weinberg ein „Kaltluftsee“ entstand, der die Weinstöcke beschädigte; der BGH hat hier einen Anspruch aus § 1004 verneint, aber mit einem Ausgleichsanspruch, der an den privatrechtlichen Aufopferungsanspruch erinnert, geholfen. Im Sinne der neueren Ansicht könnte man mit gleichem Ergebnis argumentieren, dass sich die beanstandete Benutzung in den räumlichen Grenzen des Eigentums halte und deshalb nicht gleichzeitig als unzulässige „Usurpation“ des fremden Eigentums gewertet werden könne[49].

Abseits der dogmatischen Betrachtungsweise dürfte es in der Zukunft am ehesten darauf ankommen, welche Anspruchsvoraussetzungen – Verschulden oder sogar eine verschuldensunabhängige Verantwortung – und Folgen (Beseitigung und Unterlassung einer Störung oder auch Ausgleich von Schäden) man für bestimmte rechtswidrige Handlungen oder Zustände als angemessen und erforderlich ansieht. Zu „ideellen“ Einwirkungen, für die ähnliche Fragen auftreten, s. Rn 70.

66

Die Handhabung solcher Kriterien wird aber immer schwierig bleiben[50], wie Fall 6 zeigt: Hier fragt sich zunächst, ob die Beseitigung des störenden Wurzelwerks nach § 1004 bereits ohne ein Verschulden des Eigentümers des mit den Pappeln bewachsenen Grundstücks im Zuge des Beseitigungsanspruchs gefordert werden kann, während es für die Wiederherstellung der Tennisanlage als Schadensausgleich auf die Voraussetzungen des § 823 ankomme[51]. Es überzeugt aber auch nicht recht, wegen dieses Abgrenzungsproblems eine iSd § 1004 relevante Beeinträchtigung nur anzunehmen, soweit das Wurzelwerk noch die Eigentumsposition des T stört. Andererseits wirkt die Gleichstellung gerade einer tatsächlichen Immission (etwa einer Schadstoffablagerung von einem emittierenden Grundstück aus) mit einer „Rechtsusurpation“, wenn davon die Anordnung des § 1004 abhängig sein sollte, etwas künstlich, da etwa ein Dieb, der einen gestohlenen Wagen auf fremdem Grundstück abstellt und sich darum nicht weiter kümmert, dadurch den Eigentümer des Grundstücks wohl beeinträchtigt, ohne sich dabei gleich als Eigentümer aufzuführen. Insbesondere in den für die heutige Praxis im Vordergrund stehenden Fällen der Bodenverseuchung möchte man, die Verantwortlichkeit dafür, dass das beeinträchtigte Eigentum in einen für die Wieder- und Weiterbenutzung geeigneten Zustand gebracht wird, demjenigen, der als „Störer“ betrachtet wird (dazu Rn 71 ff), nicht zu früh abzunehmen. Dagegen spräche es aber, wenn man in einer schwer vermeidbaren Konsequenz der neueren Lehre die Dereliktion (Aufgabe des Eigentums) der Störungsquelle oder die Einstellung des störenden Betriebs (s. die Abwandlung des Falles 5) als taugliches Argument gegen ein Fortbestehen der „Usurpation“ gelten lassen würde[52].

67

Auch im Übrigen ist damit zu rechnen, dass die Praxis zu § 1004 wie auch diejenige zur Eigentumsverletzung iSd § 823 Abs. 1 die Behinderung der Kontakte zur Außenwelt zunehmend als ausgleichspflichtig ansehen wird[53], die bisherige Rechtsprechung schwankt allerdings etwas. Beseitigungsansprüche bestehen schon jetzt bei Ölverseuchungen des Bodens, abgerutschtem Schutt und Gesteinsmassen, auch im Hinblick auf die Trümmer einer gesprengten Brücke[54]. Der BGH hat es auch nicht als Entlastung genügen lassen, dass der Eigentümer des Grundstücks, von dem die Beeinträchtigung ausging, den Betrieb auf dem Grundstück eingestellt hatte[55]. Die Kritik folgt dem BGH demgegenüber nicht darin, dass der Eigentümer eines Tanklastzugs, der von der Straße abgekommen und umgekippt war, so dass auslaufendes Öl sich auf ein Grundstück ergoss, für die Verseuchung des Bodens als eine Beeinträchtigung aufzukommen und diese zu beseitigen habe[56], ebenso wenig darin, dass derjenige, der eine störende Mauer errichtet hat, über ihre Beseitigung hinaus verpflichtet ist, die von ihm abgerissene „alte Mauer“ neu zu errichten[57] – das wäre Schadensersatz.

BGB-Sachenrecht

Подняться наверх