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5. Schutzmaßnahmen und Ausgleichsansprüche

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a) Auch ortsübliche Emissionen sind nach dem Gesetzeswortlaut zu dulden, wenn sie nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen verhindert werden können (Abhilfeanspruch). Was zumutbar ist, bestimmt sich nach einem „gemischt subjektiven Maßstab“. Maßgebend ist danach die Art des betreffenden Unternehmens, dh Art und Umfang der für einen Betrieb dieser Art unter Berücksichtigung seiner technisch-organisatorischen Möglichkeiten zumutbaren Maßnahmen, es kommt also nicht allein auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit an[125]. Unterbleibt die zumutbare Schutzmaßnahme, kann der beeinträchtigte Grundeigentümer Unterlassung der Beeinträchtigung verlangen. Auch im Bereich der Zumutbarkeit von Schutzvorkehrungen spielen wieder Richtlinien wie diejenigen des VDI und Verwaltungsvorschriften zum BImSchG eine große Rolle[126]. Die Notwendigkeit, durch Schutzmaßnahmen (Filteranlagen, Schallschutz, hohe Schornsteine) einem Unterlassungsanspruch zuvorzukommen, wird regelmäßig schon im Zuge der öffentlich-rechtlichen Genehmigungsverfahren untersucht und zwingt in diesem Zeitpunkt manchmal zu erheblichen Investitionen.

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b) Besteht eine Duldungspflicht für wesentliche[127], aber ortsübliche Emissionen, so ist die Beeinträchtigung rechtmäßig. Für diesen Fall gewährt § 906 Abs. 2 S. 2 einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch für eine unzumutbare Beeinträchtigung des Grundstücks oder seines Ertrages[128]. Es handelt sich um einen auch gegenüber § 14 BImSchG selbstständigen Ausgleichs-, nicht um einen Schadensersatzanspruch, der die nicht unwesentliche Nutzungsbeeinträchtigung und Minderung eines konkreten Werts ausgleichen soll[129], der Ansatz ist allerdings gegenüber anderen gesetzlichen Ansprüchen subsidiär[130]. Der beeinträchtigte Grundeigentümer muss im Rahmen des ihm Zumutbaren die Nutzung an die gegebenen Verhältnisse anpassen, um den Nutzungsentgang möglichst zu mindern. Die Rechtsprechung neigt dazu, den Ausgleich nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung zu bemessen; im Schrifttum wird dagegen auch voller Schadensersatz gefordert[131]. Der Unterschied ist nicht mehr allzu groß, wenn man mit der Rechtsprechung bei der Bemessung des Ausgleichs auf die Verhältnisse des durchschnittlichen Benutzers abstellt und die persönlichen Planungen und Wertvorstellungen des Eigentümers außer Acht lässt[132]. Konkrete Ertragsminderungen, insbesondere wenn sie vorübergehender Natur sind, sind aber stets voll auszugleichen[133].

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Manchmal hat der Gestörte eine nicht ortsübliche und dem Umfang nach unzumutbare Belastung aus besonderen Gründen rechtlicher oder tatsächlicher Art nicht verhindern können; so, wenn er die Gefahr nicht gesehen, die Abhilfemöglichkeiten nicht gekannt oder den richtigen Zeitpunkt (noch) fehlender Ortsüblichkeit der Beeinträchtigung verpasst hat. Das gilt auch dann, wenn der Abwehranspruch aus § 1004 an übergeordneten Interessen scheitert, etwa denen lebenswichtiger oder sonst gesellschaftlich sinnvoller Betriebe und Anlagen[134], auch wenn sie privatwirtschaftlich betrieben werden. Dies gilt dann ähnlich für die Folgen eines Bruchs einer Wasserversorgungsleitung der Stadtwerke, der auf dem benachbarten Grundstück eingetreten ist und den die betreffende Eigentümerin nicht rechtzeitig abwehren konnte[135]. Auch der Betreiber muss ein solches Unglück nicht zu vertreten haben, was aber an der Rechtswidrigkeit nichts ändert. Hier stellt sich die Frage, ob man den rechtswidrig Gestörten schutzlos lassen kann. Die Rechtsprechung[136] hilft mit einer Analogie zu § 906 Abs. 2 S. 2 und gibt einen quasi-negatorischen Ausgleichsanspruch (auch: bürgerlich-rechtlicher Aufopferungsanspruch). Ein Bedenken gegen diese Lösung geht dahin, dass zwar die Unmöglichkeit einer rechtzeitigen Störungsabwehr im Verhältnis zwischen dem Störer und seinem Nachbarn ein Bedürfnis nach einem Ausgleich entstehen lässt, wenn eine nachträgliche Beseitigung der Beeinträchtigung nicht mehr möglich ist (etwa im Fall der mit dem Regenwasser auf das Nachbargrundstück gelangten Herbizide, Fall 4, Rn 49). Das kann aber nicht bei jedem Unfall gelten, wie in dem in Rn 73 erwähnten Beispiel eines durch ein defektes Küchengerät entfachten und dann auf das Nachbargrundstück übergreifenden Brandes; hier sollte es bei einer Haftung nach Deliktsregeln bleiben, die auch – richtigerweise – nicht nach dem Kriterium der Ortsüblichkeit einer Störung differenziert[137].

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Dieselben Zusammenhänge zeigte die sog. „Kupolofen-Entscheidung“ des BGH[138], die allerdings zum Deliktsrecht erging. Die Geschädigten waren auf einem Nachbargrundstück beschäftigte Arbeitnehmer, deren an der Arbeitsstelle abgestellte Fahrzeuge durch die Emissionen des Kupolofens Lackschäden erlitten hatten. Der BGH ließ offen, ob die Arbeit auf dem von Emissionen befallenen Grundstück für die Kläger einen genügenden Grundstücksbezug begründete, um mit nachbarrechtlichen Anspruchsgrundlagen vorgehen zu können[139]; unter grundsätzlichen umweltrechtlichen Gesichtspunkten wäre freilich eine solche Privilegierung gerade von Arbeitnehmern mit ihrem Sacheigentum gegenüber anderen Grundstücksnutzern (Spaziergängern, Joggern) nicht leicht zu rechtfertigen. Auch ist der Grundstücksbezug der Ansprüche kaum entbehrlich, wenn man verhindern will, dass praktisch jedermann gegen Immissionen von irgendwoher vorgehen kann. Da aber eine Eigentumsverletzung vorlag, für die möglicherweise der Betreiber des Kupolofens verantwortlich war, bildete § 823 Abs. 1 die Anspruchsgrundlage, und in diesem Rahmen wendete der BGH die zu § 906 entwickelten Regeln bezüglich Wesentlichkeit, Ortsüblichkeit und Zumutbarkeit der Verhinderung von Emissionen auf die deliktsrechtlichen Elemente, also auf Kausalität, auf Verschulden und sogar auf etwaige Verkehrspflichten des Anlagenbetreibers an, wodurch eine dogmatisch abgesicherte deliktsrechtliche Anspruchsgrundlage entwickelt wurde[140].

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Im engeren nachbarlichen Raum bewirken die Ansprüche aus § 1004 zusammen mit dem nach § 906 Abs. 2 uU gegebenen Ausgleichsanspruch auch in ihrer durch § 906 begründeten Beschränktheit eine weitgehend ausgeglichene rechtliche Ordnung. Sie stößt an ihre Grenzen bei großflächigen ökologischen Beeinträchtigungen sowie beim Zusammentreffen mehrerer, voneinander unabhängiger Emissionen, die von einer Mehrzahl von Grundstücken ausgehen. Dies letztere Problem stellt sich zwar in erster Linie bei großflächigen Umweltbeeinträchtigungen, kann aber auch in an sich überschaubaren Räumen auftreten, die industrielle Ballungszentren sind oder an solche angrenzen.

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Dieses Problem der summierten Emission ist noch lösbar, soweit die Beeinträchtigung durch festgestellte Emittenten wesentlich ist. Dann haftet jeder der Emittenten für seinen Anteil[141], eine gesamtschuldnerische Haftung ist nicht erforderlich. Für den sog. progressiven Schaden (dh die Beeinträchtigungen insgesamt führen einen größeren Schaden herbei, als die Summe aller einzelnen Beeinträchtigungen ausmacht) wird dagegen gesamtschuldnerische Haftung angenommen, was freilich problematisch ist, soweit einzelne Emittenten (etwa ein Haushalt) nur kleinste Beiträge zur gesamten Emission verursacht haben[142]. Selbst wenn man annimmt, dass die Wesentlichkeit einer Emission durch Zusammenrechnung der Verursachungsbeiträge aller Störer ermittelt wird, so ist doch die Ortsüblichkeit und damit die Rechtmäßigkeit für jede emittierende Anlage zu überprüfen. Jeder Betreiber kann sich also darauf berufen, dass er seine Störungsproduktion auf das für ihn zulässige Maß reduziert hat. Ergibt also die Summe unwesentlicher Emissionen eine wesentliche und unzumutbare Beeinträchtigung, so kann der Beeinträchtigte gegen solche Emittenten nicht vorgehen, deren Handeln rechtmäßig ist[143]. Auch wenn sich die von den einzelnen Grundstücken ausgehenden Beeinträchtigungen voneinander abgrenzen lassen sollten, haftet jeder Emittent aufgrund des § 1004 für nicht ortsübliche Emissionen nur anteilig nach Maßgabe der von ihm verursachten Beeinträchtigung. Denn einen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch kann man nur im Hinblick auf solche Störungsquellen durchsetzen, auf die der in Anspruch Genommene Einfluss hat.

Teil I Eigentum und Besitz§ 3 Privatnützigkeit und Sozialpflichtigkeit des Eigentums, Eigentumsschutz und Nachbarrecht › III. Das Verhältnis zu hoheitlichen Planungen

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