Читать книгу BGB-Sachenrecht - Harm Peter Westermann - Страница 30
2. Schutz des Besitzes
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Nicht immer wird der Eigentümer einer Sache, die er nicht im unmittelbaren Besitz hat, bereit oder imstande sein, dem Besitzer, wenn ihm der Besitz genommen oder er darin gestört wird, durch Geltendmachung seiner Rechte aus Eigentum beizustehen. Dies und die erwähnte Friedensfunktion[21] des Besitzes haben dazu geführt, dass der Besitz zunächst unabhängig vom Besitzrecht als selbstständig schutzwürdige Rechtsposition anerkannt ist[22]. Das bedeutet, dass der Besitzer, dem die Sachherrschaft durch verbotene Eigenmacht iSd § 858 entzogen worden ist, von demjenigen Wiedereinräumung des Besitzes verlangen kann, der ihm gegenüber „fehlerhaft besitzt“, § 861. Wenn der Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft in ihrer Ausübung gestört wird, hat er nach § 862 gegen den für die Störung[23] Verantwortlichen einen Anspruch auf Beseitigung der vorhandenen und Unterlassung künftiger Störungen. Man spricht hier von possessorischen Ansprüchen[24], die in einigen Aspekten große Ähnlichkeiten mit dem Schutz des Sacheigentums aufweisen. Auch ist anerkannt, dass der Besitz, allerdings nur der berechtigte, ein sonstiges Recht iSd § 823 Abs. 1 darstellt, so dass ein Deliktsschutz gegen einen schuldhaft handelnden Störer möglich ist, ähnlich, wenn und soweit die §§ 858 ff als Schutzgesetz iSd § 823 Abs. 2 anerkannt sind[25]. Ein praktisches Hindernis für die Durchsetzung dieser possessorischen Ansprüche liegt darin, dass der ehemalige oder in seiner Rechtsausübung gestörte Besitzer gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen müsste; deshalb geben die §§ 859, 860 – in einer Friedensordnung ausnahmsweise – das Recht, sich gegen verbotene Eigenmacht mit Gewalt zu wehren – Besitzwehr und Besitzkehr. Wie bei der Notwehr, mit der diese Maßnahme Ähnlichkeit hat, darf der Besitzer hierbei aber nur so weit gehen, als zur Abwehr nötig ist; die angewendete Gewalt muss auch im Verhältnis zu dem geschützten Rechtsgut stehen[26].
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Als Holger im Fall 3 das Rad wegzunehmen versuchte, das sich noch im Besitz des Ralf befand, beging er verbotene Eigenmacht iSd § 858, woran es nichts ändert, dass er möglicherweise annahm, von K zur Benutzung des Rades wirksam ermächtigt worden zu sein, denn K hat den Eigentumsvorbehalt und damit das Besitzrecht des Ralf noch nicht durch Rücktritt beendet (§ 449 Abs. 2). Ohnehin kommt es für die Rechtswirksamkeit nur auf das Fehlen der Zustimmung des unmittelbaren Besitzers an, diejenige eines mittelbaren Besitzers steht dem nicht gleich[27]. Wenn Holger schon Besitz ergriffen hat, ist Ralf berechtigt, den „auf frischer Tat betroffenen“ Täter zu verfolgen und ihm das Rad mit Gewalt wieder wegzunehmen. Dasselbe gilt für Dr. M, wenn er sich traut, Ralf und Reni mit Gewalt aus dem Strandkorb zu entfernen, ähnlich, wenn die beiden am Tag danach, nachdem die Familie M den Strandkorb wieder übernommen hat und bei schlechtem Wetter nutzt, die Ruhe durch mehrstündige Musik aus einer tragbaren CD-Anlage stören. Dass im Fall 3 Ralf, um das Rad wieder zu bekommen, den Holger mit einem Klappmesser angreifen dürfte, wird man dagegen nicht annehmen können.
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Verbotene Eigenmacht ist namentlich in räumlich beengten Verhältnissen, in denen eine ganz ungestörte Nutzung der Sache, besonders auch von Grundstücken, schwierig ist, nicht leicht festzustellen. Der Herausgabeanspruch aus § 861 verlangt zusätzlich, dass der gegenwärtige Besitzer seinem Vorgänger gegenüber „fehlerhaft“ besitzt. Wenn der Besitzer eine Störung nicht hinnehmen muss, kann er sie, wie gezeigt, nach § 859 Abs. 1 oder Abs. 3 selbst beseitigen und hat uU auch einen Schadensersatzanspruch, wenn er für die Beseitigung der Störung Aufwendungen machen musste. Das ist die Lage in dem viel diskutierten Fall des Abschleppens widerrechtlich auf einem privaten Gelände geparkter Fahrzeuge durch ein vom Besitzer des Platzes beauftragten Unternehmer[28]. Was als „Störung“ bei der Verteidigung der Interessen eines Grundstückseigentümers gegen Einflüsse und Einwirkungen aus der Nachbarschaft anzusehen und infolgedessen mit Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen zu bekämpfen ist, ist ähnlich zu beurteilen wie bei der Verteidigung des Eigentums und soll daher dort (Rn 68 ff) im Zusammenhang dargestellt werden. Festzuhalten ist hier aber, dass durch § 861 der Schutz gegen Wegnahme und Störungen, wie er nach § 1004 dem Eigentümer zukommt, auf einen Mieter ausgedehnt wird. Wichtig bleibt aber auch hier, dass die schuldrechtliche Lage, gerade auch Ansprüche auf die Sache, in diesem Zusammenhang nicht zum Tragen kommt. Wenn also dem Käufer einer Sache vom Verkäufer die Übergabe der Kaufsache verweigert wird, kann sich der Käufer die Sache nicht mit Gewalt holen; tut er dies, begeht er verbotene Eigenmacht. Eine Ausnahme normiert § 861 Abs. 2 für den Fall, dass der (rechtswidrig) entzogene Besitz dem jetzigen Besitzer gegenüber fehlerhaft war, wenn also im Fall 3 Ralf, nachdem Holger mit dem Fahrrad unbemerkt verschwunden war, nach drei Tagen das Fahrrad an eine Parkbank gelehnt findet und an sich nimmt; dann kann die hierin liegende verbotene Eigenmacht von Holger nicht mit Besitzkehr bekämpft werden, der Besitzer soll also nicht dem Anspruch aus § 861 ausgesetzt sein. Zu bemerken ist schließlich, dass die Rechte aus § 859 zur Selbsthilfe auch einem Besitzdiener zustehen, § 860.
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Andere Ansprüche, die der Verteidigung des Besitzes dienen, knüpfen nicht an die bloße Sachherrschaft an, sondern an das relativ bessere Recht zum Besitz, so der Schutz des früheren Besitzers in der im Einzelnen sehr verwickelten Vorschrift des § 1007. Man spricht von petitorischem Besitzschutz aus früherem Besitz[29], wozu auch die soeben erwähnte Regelung des § 861 Abs. 2 gehört. Wenn aber auch das eigene Recht zum Besitz dem possessorischen Anspruch nicht entgegengehalten werden kann (s. hierzu § 863), so ist doch der obligatorische Anspruch auf Einräumung des Besitzes nicht von der rechtlichen Durchsetzung ausgeschlossen. Vielmehr kann der fehlerhafte Besitzer, nach § 861 auf Herausgabe in Anspruch genommen, sein Recht zum Besitz zum Gegenstand einer Widerklage (§ 33 ZPO) machen, sog. petitorische Widerklage.
Beispiel[30]:
Der wirksam gekündigte, aber mit unzulässigen Gewaltmaßnahmen des Vermieters „an die Luft gesetzte“ Mieter verlangt nach § 861 Wiedereinräumung des Besitzes an der Wohnung. Der Vermieter erhebt Widerklage mit dem Ziel, festzustellen, dass das Mietverhältnis beendet und er zum Besitz der Wohnung berechtigt ist. Wenn beide Klagen entscheidungsreif sind, würde es kaum einleuchten, nunmehr der possessorischen Klage stattzugeben, so dass der Vermieter die Sache zwar herausgeben, sie aber aufgrund der erfolgreichen petitorischen Widerklage sogleich wieder herausverlangen könnte. Besser ist daher die Lösung, dass der Herausgabeanspruch des früheren Besitzers, also des Mieters, aus § 861, hier analog § 864 Abs. 2 erlischt[31]. Unabhängig hiervon ist bei Falllösungen stets darauf zu achten, dass die Voraussetzungen der häufig im Vordergrund der Fragestellung stehenden Herausgabeansprüche, je nachdem ob sie aus Eigentum oder aus Besitz abgeleitet werden, unterschiedlichen Gegenrechten begegnen können.