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I DER AUFBAU DER JUGENDSEELSORGE IN DER SBZ NACH DEM KRIEG (1945 – 1949)
ОглавлениеMit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Aufteilung des Deutschen Reiches in vier Besatzungszonen ergaben sich vollkommen neue Strukturen im Nachkriegsdeutschland. Nicht nur die politische Landschaft veränderte sich, die Besetzung des Deutschen Reiches durch die Alliierten hatte auch bedeutende Folgen für den innerkirchlichen Bereich. Dies betraf insbesondere Mitteldeutschland, wo sich neue kirchliche Strukturen für die Ordinariatsbezirke ergaben. Aus den territorialen Umstrukturierungen, der politischen Trennung vom Heimatbistum, bzw. dem Verlust von Teilen des Bistums resultierten ganz neue kirchenrechtliche Konstellationen und veränderte Verwaltungsstrukturen.21 Es entstanden neue Kommissariatsbezirke, bzw. schon bestehende erhielten eine weitgehende Eigenständigkeit, in deren Fortführung sie sich langsam von den Mutterbistümern lösen mussten. Deren Oberhirten fanden sich im Laufe der ersten Nachkriegsjahre zur Ostdeutschen, später Berliner Ordinarienkonferenz zusammen. Seit dieser Zeit sah sich auch der Bereich Paderborn-Ost gezwungen, sich vom Erzbistum Paderborn zu lösen und sich zum Kommissariat Magdeburg zu verselbständigen.
Die Nachkriegszeit in der SBZ, bezogen auf die Jugendseelsorge, umfasst für die vorliegende Arbeit den Zeitraum vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis in die Anfangsphase der neu gegründeten DDR, genauer bis zu jenem Zeitpunkt, an dem der erste hauptamtliche Jugendseelsorger für das Kommissariat Magdeburg ernannt worden ist. Die Veränderungen in diesem Zeitraum stellte die Seelsorge als Ganzes wie auch in ihren Teilbereichen vor eine außergewöhnliche Bewährungsprobe. Diese Zeitspanne war gekennzeichnet durch das Sammeln entwurzelter Jugendlicher, deren Beheimatung in den Gemeinden oder besser in den Jugendgruppen, sowie das Herausbilden einer neuen Identität katholischer Jugendlicher in der Spannung zwischen der zahlenmäßig weit überlegenen Jugend unter den Vertriebenen aus den Ostgebieten und der teilweise zahlenmäßig verschwindenden, aber verwurzelten einheimischen Jugend.
Die richtungsweisenden Entscheidungen für die Jugendseelsorge in der SBZ wurden bereits in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg grundgelegt. Mit den „Richtlinien über die katholische Jugendseelsorge“ der Fuldaer Bischofskonferenz von 1936 wurde das grundsätzliche Primat der Pfarrjugendseelsorge durch die deutschen Bischöfe festgeschrieben.22 In diesen Richtlinien wurde die Jugendseelsorge dem Bereich der ordentlichen Pfarrseelsorge zugewiesen.23 Unter den Schutz bischöflicher Autoritäten gestellt, eröffnete sich dadurch die Möglichkeit, Jugendseelsorge zumindest in den Räumen der Kirche weiterhin durchführen zu können. Damit hatten die katholischen Jugendlichen einen Bereich, in dem sie sich als Gruppe „organisieren“ konnten, und deren Führern war es möglich, weiterhin in der staatlich nicht erfassten „Jugendarbeit“ tätig zu bleiben. Wie richtig diese Neuorientierung kirchlicher Jugendseelsorge damals war, wurde spätestens durch das im Dezember 1936 erlassene „Gesetz über die Hitlerjugend“ bestätigt. Mit diesem Gesetz wurde den katholischen Jugendverbänden endgültig die Existenzgrundlage entzogen. Mit dem Schrittweisen Verbot der katholischen Verbände richtete sich die katholische Jugendseelsorge als pfarrliche ein und konnte so die Zeit des Nationalsozialismus überdauern. Zugleich eröffneten sich ihr trotz dieser Einschränkung neue Erfahrungsmöglichkeiten.
Mit dem Ende des Nationalsozialismus wurde für die Verantwortlichen in der Jugendseelsorge wiederum eine Neuorientierung notwendig, der allerdings eine Bestandsaufnahme vorauszugehen hatte. Was hatte sich in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur an jugendseelsorglichen Elementen entwickelt? Worauf konnte aufgebaut werden? Welche Bedeutung hatten die politischen Veränderungen nach dem Krieg für den Bereich der Seelsorge?24 Jugendliche Laien trugen in dieser Übergangsphase mehr als jemals zuvor und danach die Hauptlast der Jugendseelsorge. Weil aus der Not der engagierten Laienarbeit eine Tugend wurde, übernahmen die Jugendlichen als Führer bzw. Helfer wichtige Aufgaben in der Seelsorge, bis schon bald die staatlichen Sanktionen dies erschwerten und für einige zum riskanten Engagement werden ließen. Sich bereits in den ersten Nachkriegsjahren ständig mit dem sozialistischen Staat auseinandersetzen zu müssen, erschwerte einerseits die Arbeit der kirchlichen Jugendseelsorge. Andererseits verhalf ihr dies, in der notwendigen Abgrenzung zur staatlichen Jugendarbeit, klare Konturen zu gewinnen. Indem eine Abteilung Jugendseelsorge im Seelsorgeamt Magdeburg entstand, bildeten sich erste Elemente einer jugendseeseelsorglichen Infrastruktur heraus.
Das Kriegsende brachte für die Seelsorge nicht nur kirchenpolitische Veränderungen. Die Kapitulation des Deutschen Reiches war für die Jugendlichen auch eine gravierende Zäsur in Bezug auf ihre Weltbilder. Mit dem Zusammenbruch des so genannten „Dritten Reiches“ wurden vielen der aktiven katholischen Jugendlichen alte Ideale genommen, die sie teilweise noch bis in die letzten Kriegsmonate mit aufrechter Überzeugung gelebt hatten. Die seit Anfang des 20. Jahrhunderts gelebte Verbindung von bündischen und nationalen Elementen in der Jugendseelsorge war spätestens mit dem Kriegsende als gescheitert anzusehen. Die von den katholischen Jugendlichen geträumte Idee vom dreifachen Reich: dem Reich Christi, dem Reich der Jugend und dem Deutschen Reich,25 musste mit der Niederlage des letzteren begraben werden.26 Dieser inneren Orientierungslosigkeit der Jugend wurde durch die Kriegsfolgen noch eine äußere hinzugefügt.27 Die ehedem in der Diaspora28 beheimaten älteren Jugendlichen kamen als Kriegsheimkehrer in ihre zerstörten Städte zurück. Der weitaus größere Teil der sich nun in Mitteldeutschland einfindenden Jugendlichen aber waren Flüchtlinge oder Vertriebene, die ihrer katholischen Heimat verlustig geworden waren. Sie mussten versuchen, in der Fremde, zum Teil gegen den Widerstand der Eingesessenen, Fuß zu fassen.
Die Zäsur des Kriegsendes ließ aber auch trügerische Hoffnungen aufkommen. Es wurde bei den Seelsorgern in der Diaspora die Erwartung geweckt, durch den Zustrom der katholischen Vertriebenen einen nicht nur zahlenmäßigen Impuls für das Wiedererstarken der katholischen Kirche in der Diaspora des mitteldeutschen Raumes zu erhalten. Zum Anderen keimte die zaghafte Hoffnung auf, durch die sich wandelnden politischen Verhältnisse einen neuen Freiraum für die kirchliche Arbeit außerhalb der Pfarrgemeinde zugesprochen zu bekommen. Doch der Aufschwung katholischen Lebens nach dem Krieg erfolgte in der SBZ nur zögerlich. Der bald enger werdende politische Rahmen ließ eine öffentliche Entfaltung des Religiösen auf Dauer immer weniger zu. Auch die Flüchtlinge und die Vertriebenen, die ihre christlich geprägte Heimat verloren hatten, entwickelten nicht automatisch das Bedürfnis, in der „Fremde“ den Aufschwung des Katholischen initiieren zu wollen. Sie, obwohl sie die Mehrzahl der Katholiken in Mitteldeutschland stellten, konnten nicht den katholischen Aufschwung im Land der Reformation herbeiführen. Dies enttäuschte die teilweise hochgesteckten Erwartungen der Kirchenführer. Denn sie wollten den unerwarteten zahlenmäßigen Zustrom durch die katholischen Vertriebenen für eine Rekatholisierung der Diaspora des „Ostens“ nutzen.29 Diese beiden Haltungen prallten aufeinander und mussten Ernüchterungen zur Folge haben, als dem plötzlichen, heftigen Zustrom von Katholiken ein sich bis 1961 hinziehender Wegzug aus der SBZ/DDR, wenn auch ganz unterschiedlich motiviert, folgte.30 Dazu kam ein langsamer, lautloser aber stetiger innerer Auszug derer aus der Kirche, die sich mit dem sozialistischen System arrangierten und dafür ihre christlichen Wertvorstellungen aufgaben. Dieser lautlose Auszug aus der Kirche hatte verschiedene Gründe. Einer der Gründe war die Tatsache, dass die vertriebenen Katholiken in die Gemeinden der neuen Heimat nicht sogleich beheimatet werden konnten und weiter Richtung „Westen“ zogen. Weiterhin konnte der nicht zu unterschätzende gesellschaftliche Druck die Gläubigen von der ehemals beheimatenden Kirche entfremden. Aber auch die sich verschlechternden beruflichen und gesellschaftspolitischen Perspektiven für engagierte Christen in der SBZ führten zu einem oft lautlosen Auszug aus der katholischen Kirche. Aus diesen Gründen befand sich die katholische Kirche in Mitteldeutschland in den ersten Nachkriegsjahren in einer Zeit zwischen Hoffnung und Desillusionierung.
Zu den bereits angeführten Überlegungen kommt noch ein weiterer Gesichtspunkt hinzu. Die Seelsorge in Deutschland und damit auch die Jugendseelsorge waren nach der Unterdrückung während der NS-Zeit von einem gewissem Rigorismus geprägt, der aus der Erfahrung der vorangegangenen Jahre gelernt hatte, welche Folgen ein Rückzug auf den religiösen Bereich haben konnte. Diese Art von gesellschaftlicher Ausgrenzung sollte sich nach dem Kriegsende nicht wiederholen. Einerseits hatte die katholische Kirche durch die Unterdrückung in der Zeit der Nationalsozialisten eine gesellschaftliche Marginalisierung erlitten. Andererseits wurde durch den äußeren Druck der nationalsozialistischen Diktatur eine Differenzierung eingeleitet, zwischen dem auf rituelles Tun beschränkten Teil der Katholiken und denen, die unter den schwerer werdenden Bedingungen aus ihrem Verständnis von christlicher Nachfolge heraus sich mehr und mehr als Minderheit erlebten und zum Widerstehen verpflichtet fühlten. Dieser Teil war unter den neuen gesellschaftlichen Bedingungen gegebenenfalls zum Widerstand auch gegen das sich einrichtende sozialistische Gesellschaftssystem bereit. Ähnliches traf auch für die katholischen Jugendlichen der Diaspora zu. Das gelebte Katholische „in der Fremde“ verlangte ein stärkeres persönliches Engagement, um „in der Zerstreuung“ überleben zu können. Überdies gab es bei den Jugendlichen noch eine stärkere Identifizierung mit Idealen der katholischen Jugend aus der Zeit des Deutschen Reiches, die getragen wurde vom Engagement einzelner, der so genannten „Elite“,31 mit dem Wissen, dass die katholische Kirche in der Diaspora nur als engagierte und nicht,32 im Kontrast zum dominant evangelisch geprägten Umfeld, als volkskirchliche eine Chance hatte.33 Ganz im Gegensatz dazu stand die Hoffnung auf die Wiederherstellung Weimarer Verhältnisse und das Erstarken des Katholischen in Mitteldeutschland bei den Ordinarien. Beide Strömungen prallten in der sich konstituierenden Jugendseelsorge Mitteldeutschlands aufeinander und mussten von ihr als zusätzliche Hypothek bewältigt werden.