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2 Erste pastorale Bestandsaufnahme der Ordinarienkonferenz-Ost
ОглавлениеFür die neu entstandenen Ordinariatsbezirke auf dem Gebiet der SBZ ergab sich in der Nachkriegszeit eine ganz ungewohnte Situation. Mit Erfurt, Görlitz, Magdeburg, Meinigen und Schwerin entstanden in Folge der Aufteilung des Deutschen Reiches in Zonen fünf neue Kommissariate, aus denen sich im Laufe der Jahre (relativ) eigenständige bischöfliche Verwaltungseinheiten bildeten. Die für diese fünf Teilbereiche jeweils verantwortlichen Bischöfe residierten in einer der Westzonen. Demzufolge waren deren kirchenpolitische Kompetenzen für den Bereich der SBZ sehr beschränkt. Aus diesem Grunde wurden die Kommissare vor Ort mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet und nach und nach zu Weihbischöfen ernannt. Die beiden übrigen Ordinariatsbezirke, Berlin und Meißen, wurden durch den Verlust der Ostgebiete ebenfalls in ihrer Struktur mehr oder weniger stark verändert.70 Auf Grund der Teilung Deutschlands war der politische Ansprechpartner der neuen kirchlichen Sprengel zunächst in der sowjetischen Besatzungsmacht bzw. den von ihr eingesetzten Behörden gegeben. Bis sich für den Bereich der SBZ die Ostdeutsche Ordinarienkonferenz herausgebildet hatte,71 war vor allem der Vorsitzende des Deutschen Caritasverbandes und zeitgleich als Kommissar der Fuldaer Bischofskonferenz fungierende H. Wienken,72 in vielen Fällen der erste Ansprechpartner der neuen Regierungsgewalt in der SBZ, ohne dass er dafür mit konkreten Kompetenzen ausgestattet worden war. Gegenüber dem konfrontativen Kurs Kardinal Preysings73 scheint Bischof Wienken wohl der angenehmere, weil diplomatischere Verhandlungspartner für die sowjetischen Stellen gewesen zu sein. In Anerkennung der tatsächlichen Machtverhältnisse in der SBZ entwickelte sich ziemlich schnell ein Konsens unter den katholischen Leitungsträgern der ostdeutschen Ordinariate. Dem gegenüber war der in Westberlin residierende K. Preysing stärker westorientiert und damit konfrontativer dem sozialistischen System gegenüber eingestellt.74
Zusätzlich zur politischen Neuorientierung in der Nachkriegszeit ergaben sich für die katholische Kirche in der SBZ auch neue pastorale Herausforderungen und Notwendigkeiten im Bereich der Seelsorge, auf die sich die Ordinarien einzustellen hatten. Etwa aufkeimende Hoffnungen, durch den zahlenmäßigen Zugewinn die Gesellschaft christlich durchdringen zu können, waren durch den engen politischen Rahmen zunichte gemacht worden. Die Arbeit der Seelsorger musste sich nach einem kurzen Intermezzo wieder auf den Bereich der Pfarrei beschränken. Folglich war auch die Situation der Jugendseelsorger in der SBZ ähnlich der in der Zeit des Nationalsozialismus. In diesem Sinne verwirklichte sich die Jugendseelsorge vor allem im Gottesdienst bzw. in der Hinführung der Jugendlichen zur Liturgie und der Katechese. Das primäre pastorale Anliegen der Bischöfe in der SBZ im Blick auf die junge Generation war vor allem die moralische Erneuerung der, durch die nationalsozialistische Ideologie beeinflussten und nun enttäuschten Jugend,75 nicht nur der katholischen, mit dem Ziel, diese aus ihrer Lethargie herauszuführen.76 Das sollte vor allem durch die verstärkte katholische Jugenderziehung gewährleistet werden.77 Damit griffen die Ordinarien im November 1945 die Richtlinien von 1936 auf und bestätigten den deduktiven Ansatz einer Pastoral, auf die sich das christliche Erziehungsrecht der Kirche berief. Christus habe der Kirche die Aufgabe anvertraut, durch die christliche Jugenderziehung den ganzen Menschen auf sein ewiges Ziel hinzuordnen.78 Der vor allem innerkirchlich ausgerichteten Jugendseelsorge wurde weiterhin ein sehr hoher Stellenwert beigemessen. Als Teil der ordentlichen Seelsorge sei es die Aufgabe aller Priester und der gesamten Pfarrgemeinde unter der Mitwirkung von Jugendlichen, die katholischen Jugendlichen „zu einer lebendigen inneren Einheit einer Jugend der Kirche wachsen zu lassen.“79 Die politischen Verhältnisse ließen die Reorganisation der Jugendseelsorge allerdings ganz unterschiedlich verlaufen.
Weniger eine umfassende Jugendseelsorge als vielmehr die religiöse Erziehung im Sinne der Vermittlung kirchlich definierter Kenntnisse und Fertigkeiten stand für die Bischöfe in der SBZ im Blickpunkt. Um die Umerziehung der Jugend auch im öffentlichen Bereich, in den staatlichen Einrichtungen, umsetzen zu können, wurden die jugendseelsorglichen Aktivitäten der Ordinarien zunächst zu einer Sache der Jugendpolitik. Das Engagement der Bischöfe bündelte sich diesbezüglich in dem Bemühen um die Durchführung von Religionsunterricht und die Wiederzulassung konfessioneller Schulen. Die inhaltliche Ausgestaltung der Jugendseelsorge wurde an die Jugendseelsorger delegiert bzw. mit dem Rückgriff auf die Verlautbarungen zur Jugendseelsorge von 1936 beantwortet.80
Die Jugendseelsorge im Nachkriegsdeutschland konnte auf die Erfahrungen von circa zehn Jahren zwischen 1936 und 1945 zurückgreifen. Während dieser Zeit des Nationalsozialismus erfolgte die Seelsorge zunehmend begrenzt und nur unter erschwerten Bedingungen auf der Pfarrebene. In den ersten Monaten nach dem Krieg wurde es eher als Einschränkung der Arbeit mit der Jugend denn als Chance für die Zukunft empfunden, erneut auf den Bereich der Pfarrseelsorge verwiesen zu sein.81 Aber es sollte und musste nach Kriegsende für den Bereich der SBZ am Prinzip der Pfarrjugendseelsorge festgehalten werden.82 Sich an die Ausführungen von G. Puchowski anschließend, bestätigte die Ordinarienkonferenz das Prinzip der Pfarrjugendseelsorge.83 Folglich wurde im Raum der SBZ zunächst unausgesprochen an den pastoralen Ansätzen der Jugendseelsorge während des Krieges angeknüpft.84 Die Sorge um die Jugend lag allerdings nicht allein in der Verantwortung des Priesters bzw. des Jugendseelsorgers. Dieses Anliegen wurde der gesamten Pfarrei anheim gestellt. Auch besonders engagierte Jugendliche sollten in die Arbeit der Pfarrei eingebunden werden. Die Laien konnten ihre Fähigkeiten nun in Verbindung mit dem „Kernschargedanken“ als Gruppe in der Pfarrjugend und für die Pfarrjugend einbringen: als „Auslese aus der Masse für die Masse“85 und nicht als Laienführer in besonderen Bünden wie in den westlichen Besatzungszonen. Die unterstützende Mitarbeit von ehrenamtlichen Jugendhelfern war dabei überlebensnotwendig. Die Pfarrjugendgruppen waren bzw. wurden lokal organisiert. Damit hatte die Bischofskonferenz im Nachhinein nur noch einmal bestätigt, was ohnehin schon von den Jugendseelsorgern praktiziert wurde. Wie aber später zu sehen sein wird, gab es anfangs weder eine gemeinsame Strategie der Jugendseelsorgeämter,86 noch war eine umfassende Jugendpastoral im weiteren Sinn das eigentliche Ziel der Jugendseelsorge. Vielmehr lag auf der Katechese als Glaubensvermittlung in dieser Zeit das Hauptaugenmerk der Jugendseelsorger und deren Mitarbeiter.
Die Richtlinien zur Jugendseelsorge von 1936 und 1945 setzten die Seelsorge an der Jugend in erster Linie mit Jugenderziehung, gleich. Die Begriffe „Jugendarbeit“, „Jugendseelsorge“ und „Jugenderziehung“ wurden nicht klar voneinander abgegrenzt.87 In der SBZ etablierte sich schon bald der Begriff der Jugendseelsorge, da in der DDR die Jugenderziehung dem staatlichen Bildungsmonopol und die Jugendarbeit allein der FDJ vorbehalten waren. Für die Aktivitäten der Jugendseelsorge war in der „sozialistischen Gesellschaft“ kein Platz. Als der anfänglich größere Spielraum der Kirchen, sich in der außerkirchlichen Öffentlichkeit betätigen zu können, zunehmend eingeschränkt wurde, reduzierten sich die Aktivitäten der Jugendlichen überwiegend auf den innerkirchlichen Bereich.88
Die Nichtzulassung einer vielgestaltigen katholischen Jugendverbandsarbeit wurde zunächst von den Jugendseelsorgern bedauert. Sie verhinderte aber auch, dass die wenigen katholischen Jugendgruppen der mitteldeutschen Diaspora noch mehr zersplittert wurden. So hatten die Einschränkungen der kirchlichen Arbeit unter den Jugendlichen auch den Effekt, dass die gesamte Jugend der Pfarrei oder des Bistums im Rahmen der Pfarrjugendprinzips erfasst werden konnte.89 Die Auseinandersetzungen zwischen Verbands- und Pfarrjugendarbeit, wie sie es schon bald in den westlichen Bistümern gab, sind der Jugendseelsorge in der SBZ und später der DDR erspart geblieben.90 Doch erst viel später sollten die Vorteile dieser Notsituation der Pfarrjugendseelsorge erkannt und gewürdigt werden,91 um nach 1990, sich vielleicht vorschnell an die westdeutsche Struktur der verbandlichen Jugendarbeit anschließend, umgehend wieder vergessen zu werden. Weitermachen oder neu anfangen war im Gegensatz zum „Westen“ folglich für die Nachkriegsseelsorge in der SBZ keine Frage.92 Die aus der NS-Zeit eingewöhnte Pfarrjugendseelsorge setzte sich schon bald wieder fort und weitete sich auf die Jugend unter den Vertriebenen aus den Ostgebieten und das Bemühen um deren Beheimatung aus. Mit viel Improvisationsgeschick wurde neue Infrastruktur geschaffen und die Arbeit an der Jugend mit neuen Elementen wie den Wallfahrten oder den Helferschulungen ergänzt, auch wenn die sich ausweitenden Behinderungen und Verbote, die mitunter lähmende Gewissheit nährten, die doppelten Verlierer der deutschen Geschichte zu sein.
In den ersten Jahren nach Kriegsende konzentrierte sich die Jugendseelsorge in Mitteldeutschland wie bereits während des Krieges vor allem auf die Stadtgemeinden. Mit der hinzukommenden Jugend aus den Ostgebieten ergab sich für die Jugendseelsorge eine grundsätzlich neue Situation. Die ursprünglich relativ kleinen Gruppen, die bei Vorträgen und anderen Veranstaltungen oft nicht mehr als 10-20 Jugendliche zählten,93 wurden durch die Vertriebenen bald in andere Größenordnungen gehoben. Dies hatte zu Folge, dass die katholische Jugend, soweit möglich wieder in verschiedene Altersgruppen unterteilt, meist von älteren Jugendlichen geleitet wurde. Angesichts der entstandenen Zahlenverhältnisse war es notwendig, die Pfarrjugend neu, das heißt flächendeckend, zu organisieren.94 Aber auch auf dem Lande entstanden schon bald überall eigene katholische Jugendgruppen in den Gemeinden. Der Austausch zwischen den einzelnen Gruppen war meist der Eigeninitiative der Jugendlichen überlassen und musste trotz fehlender Jugendseelsorger weiter ausgeweitet werden. Gerade in der Diasporasituation war ein überpfarrlicher Austausch dringend geboten, und noch mehr später, als die Zahl der beteiligten Jugendlichen wieder zurückging. Das war der eigentliche organisatorische Neuaufbau der Nachkriegszeit: Die bis dahin vorwiegend in den Städten existierende Jugendseelsorge auf alle Gemeinden auszuweiten, und die geflüchtete oder vertriebene Jugendlichen aus den Ostgebieten zu integrieren bzw. zu beheimaten.95