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Meine liebste Schwiegermutter

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Als ich meiner ersten Schwiegermutter erstmals begegnete, war ich noch jung. Viel zu jung, um zu wissen, dass es sich bei der Dame mittleren Alters um meine spätere Schwiegermutter handeln würde. Dennoch war ich durchdrungen von einer unheilvollen Ahnung, die mich dazu zwang, der Situation, die sich an der Tür des gediegenen Einfamilienhauses ­abspielte, mit der gebührenden Ernsthaftigkeit zu begegnen. Meine ­Vorahnung lähmte mich so sehr, dass ich nicht imstande war, die glänzenden Seiten meiner gerade heranreifenden Persön­lichkeit zu zeigen, und mehr über die Schwelle stol­perte als schritt. Dabei sagte ich, noch ehe ein Gruß über meine Lippen gekommen war, den verhängnisvollen Satz »Ich muss meine Hose retten«, was meine Schwiegermutter dazu veranlasste, sich ebenso grußlos wie motiviert dem Rettungsversuch zu widmen. Leider verbesserte die gerade ins Zentrum der allgemeinen Wahrnehmung gerückte Hose – eine glänzende lange Sporthose, die mir auf der Anreise wohl zu dicht an die Fahrradkette geraten war – den von mir hinterlassenen Eindruck nur unwesentlich und ich bedauerte ein wenig, nicht im Smoking mit Sportwagen vorgefahren zu sein. »Hallo«, hätte ich zwei Treppenstufen auf einmal nehmend gerufen, »Sie müssen die charmante Mutter meiner wunderbaren zukünf­tigen Frau sein«, ihr einen perfekt arrangierten Blumenstrauß in die Hand gedrückt und mich mit lobenden Worten über den geschmackvoll gestalteten Hausflur geäußert.

Stattdessen stand ich also da, analysierte im verschwitzten Geiste meinen schlechten Auftritt und ließ die ­Schwiegermutter gewähren, die prüfend und die effektivsten Handlungsoptionen abwägend die schwarzen Ölflecken am Hosensaum unter die Lupe nahm. Schließlich griff sie nach einem weißen Taschentuch und rieb ein wenig an der Hose herum, gab es aber bald wieder auf und mir stattdessen ein paar detaillierte Reinigungstipps für meine Mutter mit auf den Weg.

Man sollte vielleicht erwähnen, dass sich diese ­Szene auf dem Dorf abspielte. Dieses hatte knapp dreihundert Einwoh­ner und meine erste Schwiegermutter war darin aufgewachsen. Von Beginn ihrer Tage an – das Säuglingsalter einmal abgerechnet – hatte ihr Leben aus Arbeit bestanden. Arbeit auf dem Acker des elterlichen Nebenerwerbsbetriebs, Arbeit in der Beaufsichtigung der jüngeren Geschwister und Arbeit in der Dorfschule, wo es auch noch den Volksschulabschluss zu erlangen galt. Hätte ich meine Schwiegermutter am Tag unserer ersten Begegnung schon länger gekannt, wäre mir bewusst gewesen, wie passend mein eigentlich unpassender Auftritt gewesen war. Mit dem Satz »Ich muss meine Hose retten« gab ich ihr nämlich einen Anlass, ihrem permanent pulsierenden Arbeitsbedürfnis Raum zu geben. Small Talk war nicht ihre Sache, ich hatte also alles richtig ­gemacht.

Folgerichtig kam es wenig später auch schon zur Hochzeit. Für das Fräulein Tochter und mich wurde der Dachboden ausgebaut, wir richteten uns nach den Ideen meiner Schwiegermutter ein – und trennten uns nach einem kinderlosen Jahr in aller Freundschaft.

Es ist müßig, nach dem Schuldigen dafür zu suchen, aber mit der gebotenen Selbstkritik muss ich doch zugeben, dass ich es war, der die von meiner Schwiegermutter in mich gesetzten Erwartungen nicht erfüllen konnte. Beim Rasenmähen hatte ich immer die Gräser an den Rändern stehen lassen, die Autowäsche mehr halbherzig betrieben und bei den im Haushalt anfallenden handwerklichen Kleinarbeiten regelmäßig versagt. Außerdem war ich evangelisch – ein Umstand, der mich in dieser lebensfrohen Katholikenfamilie als verkopft und bieder erscheinen ließ.

Also ging ich und nahm mir vor, es das nächste Mal besser zu machen.

Mein Weg führte aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern hinaus an die Universität, wo ich in urbanem Kontext meinen Geist zu befreien hoffte. Ein Vorhaben, das sich erfreulich gut in die Tat umsetzen ließ, dann das Studium war anspruchslos und es blieb viel Zeit, sich in Studentenkneipen ausgiebig im freien Denken zu üben. Hilfreich war dabei auch das eine oder andere Getränk, das mich, nach frühmorgendlicher U-Bahn-Heimfahrt, das sanfte Geraune der Nachmittagsvorlesung wie durch Watte verfolgen ließ. Nie im Leben hatte ich mich derart schonen können wie im Studium und nirgendwo gestaltete sich mein häusliches Umfeld so wenig fordernd wie in der WG, in der ich nun lebte. Dabei traf der alte Kalauer »WG heißt ›Wir gammeln‹« nur bedingt unsere Lebenssituation, denn tatsächlich spülten wir mindestens alle 14 Tage das Geschirr und auch den Müll muss irgendjemand mal vor die Tür getragen haben …

Wie das Leben so spielt, ließ es sich in diesem Nirwana-­ähnlichen Zustand nicht vermeiden, dass ich eine Bekanntschaft machte. Ich zeigte mich nicht nur über die Maßen humorvoll und charmant, sondern auch äußerlich als eine ­Augenweide. Kurz und gut: Ich landete bei einer zweisprachig aufgewachsenen Griechin, die mich, kaum dass ich zu einer ihrer Partys eine Stunde zu früh erschienen war, zu ­ihrem neuen Liebhaber erkor. Es ist übrigens nicht ganz einfach, zu einer von einer Griechin veranstalteten Party nicht zu früh zu erscheinen. Wenn Griechen nämlich sagen, sie treffen sich um acht Uhr, dann meinen sie, dass sie sich irgendwann im Laufe des Abends treffen, aber keinesfalls vor neun. Selbstverständlich war mir diese unausgesprochene Übereinkunft völlig unbekannt und so stand ich um Viertel nach acht vor der Wohnungstür. Da alle anderen Gäste Südeuropäer oder zumindest Kenner der Gepflogenheiten waren, hatten wir die Wohnung über eine Stunde für uns allein, sodass die groben Planungen für den Ablauf unserer Hochzeitsfeier am Ende des Abends bereits abgeschlossen waren.

Wir heirateten zu Ehren meines bereits verstorbenen Schwiegervaters in Athen – ein rauschendes Fest, wie ich es vorher noch nicht erlebt hatte. Unermesslich war die Anzahl an Verwandten und Freunden der Familie, die bis zum Morgengrauen mit uns aßen, tranken und vor allem auch tanzten. Es fehlte an nichts, oder besser gesagt, an beinahe nichts, denn es fehlte meine Schwiegermutter. Sie war Deutsche und, wie man mir erzählte, aus Prinzip nicht angereist. Mochte mit den Griechen und ihrem Land nichts mehr zu tun ­haben. Hatte noch an den tiefen Narben der Trennung zu leiden, brachte es nicht einmal über sich, eine Glückwunschkarte zu schicken. Anna, meine Frau, schien das nicht zu wundern, was mich wiederum wunderte, denn sie bewahrte auch nach diesem traurigen Ereignis ihr durch und durch gutes Mutterbild und rüttelte nie daran.

Eines schönen Tages, etwa zwei Jahre nach unserer Hochzeit, verkündete Anna, ich müsse nun unbedingt ihre Mutter kennenlernen. Sprach’s, wuchtete eine vorher ­gepackte ­Tasche in den Kofferraum ihres roten Kleinwagens, den sie prompt anließ, und hieß mich mit feurigem Blick, endlich einzusteigen. Da ich die Spontaneität meiner Frau zwar nicht ­teilte, gleichwohl aber an ihr schätzte, folgte ich und reiste ohne vorherige Ankündigung mit zu meiner Schwiegermutter, die als gut situierte Kaufmannstochter in ihrem Geburtshaus in Hamburg lebte. Schwiegermutter empfing uns um 18 Uhr zum Abendessen und ich musste anerkennen, dass ich schon schlechter gespeist hatte. Entsprechend ­langte ich zu, zumal mich die lange Anfahrt hungrig hatte werden lassen. Als wir das Mahl beendet und auch ein zweites Glas Wein getrunken hatten, ergab es sich, dass ich ein paar Minuten mit meiner Schwiegermutter allein im Zimmer war, was von ihr ohne Umschweife zu einer kleinen Unterredung genutzt wurde. Dass sie mir zur Hochzeit gratulieren wolle, meinte Schwiegermutter, auch, dass ich es mit meiner Frau gut ­getroffen hätte. Ob die Hochzeit zur Zufriedenheit verlaufen sei und Griechenland mir gefallen habe, fragte sie und ich antwortete wahrheitsgemäß mit Ja. Gern hätte ich ihr ein bisschen mehr darüber erzählt, denn unsere Hochzeit war auch in meiner Erinnerung noch ein beeindruckendes Ereignis geblieben, für das ich jedem Abwesenden gewünscht ­hätte, ein Anwesender gewesen zu sein. Schwiegermutter hakte jedoch nicht weiter nach und wechselte prompt das Thema: Politik, ein Gebiet, bei dem man eigentlich nicht gewinnen kann. Meine Meinung zu den Freien Demokraten wollte sie hören. Die Partei wurde damals noch vom großohrigen Genscher geführt, der gewiss eine respektable Figur genannt werden musste. Also entschloss ich mich zu größtmöglichem Wohlwollen und ­äußerte mich einigermaßen anerkennend ob der permanenten Parlamentspräsenz, fügte allerdings flapsig hinzu, dass man die Partei bei aller Sympathie ja nicht gleich wählen ­müsse. Schwiegermutter sprach noch kurz über Kunst und Kultur, hatte offenbar ein Faible für einen gewissen Richard Wagner, den ich leider – ich bedauerte es ehrlich und aufrichtig – nicht kannte, bevor eine strahlende Anna wieder zu uns trat und fragte, ob wir uns gut unterhalten hätten. Wir bejahten, Anna und ich verlebten noch ein paar schöne Stunden im Hause der Schwiegermutter und machten uns am nächsten Morgen wieder auf den Heimweg.

Eine Woche später erklärte mir Anna gleichermaßen freundlich wie präzise, warum wir uns nun trennen müssten. Sie hätte einen mehrseitigen Brief ihrer Mutter erhalten, in welchem diese erläutert hätte, warum ich der falsche Mann für ihre Tochter sei. Obwohl ich es nicht ganz glauben ­mochte, versicherte mir Anna, dies hätte nichts oder zumindest nicht ausschließlich mit Richard Wagner zu tun. Aber die Meinung ihrer Mutter sei nun einmal unumstößlich, also könne man, so gern man auch würde, nichts machen. Das sah ich natürlich ein, drückte Anna noch einmal aus vollem Herzen und ­machte mich auf die Suche nach einer neuen Bleibe.

Meine dritte Schwiegermutter war von einem anderen Schlag. Sie hieß Hedwig und so nannte ich sie vom ersten Tag an. Hedwig war Busfahrerin und arbeitete im Linienverkehr der ehemals eigenständigen Stadt Wanne-Eickel. Es waren die frühen Neunziger, man durfte allerorten noch rauchen, was Hedwig auch rund um die Uhr praktizierte. Ihre Tochter hatte ich berufsbedingt kennengelernt. Ich leitete mittlerweile eine kleine Abteilung in einem nur unwesentlich größeren Institut und meine zukünftige dritte Frau hatte die undankbare Aufgabe, mir als Sekretärin zur Seite zu stehen. Es muss nicht erwähnt werden, dass sie dies auf allerbeste Weise erledigte. Auch nicht, dass sie außerordentlich gut aussehend und darüber hinaus noch einige Jahre jünger war als ich. Erwähnt werden sollte höchstens, dass Sabrina – den Namen hatte Sabrina nicht von Hedwig, sondern von Egon, ihrem sturen westfälischen Erzeuger erhalten – nicht wirklich meine große Liebe war. Dafür aber liebte sie mich und, mehr noch, verlor auch nie ein kritisches Wort, wenn ich Dinge tat, die ihr nicht behagten. Möglicherweise behagte ihr sogar alles, was ich tat, denn sie lachte stets und blickte bewundernd an mir empor. Da ich ein Mensch war und obendrein ein schwacher, gefiel mir dieses ungewohnte Gefühl, im engsten Kreis ein Superstar zu sein, und so tat ich mich mit Sabrina auch außerhalb unserer Arbeitszeit zusammen.

Die Beziehung erwies sich als stabil, da jeder den anderen sein ließ, wie er war, und so war es nur logisch, dass ich bald Hedwig kennenlernte. Wir fuhren mit dem öffentlichen Nahverkehr zu ihr und ich staunte nicht schlecht, als die Busfahrerin uns nach der Endstation anwies, in ihrem Privatfahrzeug Platz zu nehmen. Sabrina hatte mich überhaupt nicht vorgewarnt und so fand ich mich plötzlich neben der rauchend fahrenden Hedwig wieder, die mich mit dem in Wanne-Eickel wohl maximal möglichen Charme auf Herz und Nieren prüfte: »Wer bisse? Watt machse? Hasse Arbeit?« Darauf Sabrina genervt und in ganz anderer Art und Weise, als ich es von ihr gewohnt war: »Mensch Mutta, ich tu den doch von die Arbeit kenn’!«

Daheim bei Egon wurd’s dann gleich gemütlich und wir fachsimpelten vor dem Fernseher sitzend, ob der FC Schalke wohl jemals noch Deutscher Meister werden würde.


Vorsicht Schwiegermutter!

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