Читать книгу Vorsicht Schwiegermutter! - Heike Abidi - Страница 22
Die Strandtage waren
äußerst abwechslungsreich. Manchmal lagen wir auf dem Rücken, manchmal auf dem Bauch.
ОглавлениеDie Strandtage waren äußerst abwechslungsreich. Manchmal lagen wir auf dem Rücken, manchmal auf dem Bauch. Zuweilen kam es vor, dass wir auch auf der Seite lagen. Einmal, es war ein etwas bewölkterer Tag, an dem wir den Sonnenschirm gar nicht gebraucht hätten, lag Sabrina auf dem Rücken, Hedwig auf dem Bauch und ich auf der von Hedwig abgewandten Seite. Das war irgendwie lustig, denn ich konnte unbeobachtet Hedwigs Zigaretten im Sand verbuddeln. Lustig wurde es auch an den Abenden, wenn wir Hedwig von den üblichen Kneipen zurück ins Hotel schleppen mussten. Es war ein stetes Ritual, bei dem Hedwig nach allen Richtungen gleichzeitig auszubrechen drohte. Zudem drohte sie auch nach allen Richtungen gleichzeitig zu brechen, aber zum Glück blieb es in diesem Fall bei Drohgebärden. Im Hotelzimmer – wir hatten ein Dreibettzimmer – kam Hedwig dann regelmäßig wieder zu sich und forderte uns massiv auf, unseren ehelichen Pflichten nachzukommen, wir seien schließlich nicht zum Spaß da.
»Ich will jetz ma sehen, datt dein Kerl nen Hengst iss, Sabrina! Datt kann ja wohl nich sein, datter hier wieder inne Seile hängt! Und schnarchen tuter auch noch, wie dä Egon, nää, nää, nää!«
Man mag Hedwigs Interesse an einem sexuell aktiven Mann für ihre Tochter in Ehren halten, aber mich lähmten diese Aufforderungen doch zu sehr. Als Sabrina Anstalten machte, ihrer Mutter zuliebe die Pflicht zu erfüllen, packte ich die wichtigsten meiner Sachen und ging. Meinen Job im Institut kündigte ich. Um die Scheidungsangelegenheiten kümmerte sich Hedwig, die über einen außerordentlich guten Draht zu den zuständigen Stellen verfügen musste. Wanne-Eickel habe ich seither selbst mit nicht-öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr angesteuert. Auch wenn es mir um Egon und den FC Schalke, der in Dortmund eine Klatsche bezogen hatte, ein wenig leid tat – ich brauchte das nicht mehr. Was ich jetzt brauchte, war Urlaub.
Natürlich machte ich Urlaub in der Bretagne. Zwar nicht in dem hübschen Ferienhäuschen, das ich ursprünglich für Sabrina und mich reserviert hatte, sondern unterwegs mit dem Rucksack über einsame Klippenpfade wandernd, wo mir der Atlantikwind und das Gekreische der Seevögel alle schlechten Gedanken aus dem Hirn trieben. Es war herrlich. Am Abend mit müden Beinen in einem Gasthaus mit freiem Fremdenzimmer einkehren, ein Glas Cidre, vielleicht auch zwei, ein gutes, einfaches Essen und ein himmlischer Schlaf auf französischen Matratzen. Ein Frühstück mit noch warmem Baguette und gesalzener Butter, frische französische Milch von bretonischen Kühen und ein Blick in den Wanderführer vor dem Start der nächsten Etappe. Sonne und Wolken in gesundem Wechsel, alles viel echter und ehrlicher als auf den touristischen Inseln des Südens, und für die Seele die reinste Wiedergeburt. Mutter Erde hatte mich ganz und gar für sich eingenommen und mehr als die einfachsten Errungenschaften unverputzter Naturstein-Zivilisation brauchte es nicht, um mein Glück perfekt zu machen. Ganz sicher hätte es keine weitere Frau gebraucht. Hätte, hätte – Fahrradkette.
Ich traf Natalie auf einer meiner ausgedehnten Etappen auf dem Sentier des Douaniers, dem alten Zöllnerpfad. Sie trug wie ich bequeme Freizeitkleidung und festes Schuhwerk, hatte allerdings anstelle eines Rucksacks nur einen Einkaufskorb dabei. Sie fühlte sich möglicherweise von meinem zügigen Wanderschritt gehetzt, möglicherweise aber lag es auch an ihrem überladenen Korb, dass an einer besonders engen und abschüssigen Stelle ein Blumenkohlkopf zu Boden stürzte und gefährlich nah an die beinahe senkrecht abfallende Klippe heranrollte, unter der das Meer gurgelnd und schäumend lauerte. Natalie bückte sich instinktiv und ich, in Gedanken ganz woanders weilend, konnte nicht anders, als sie ebenso instinktiv an den Hüften zu greifen, um ihr den Tod, dem sie ganz gewiss auch allein hätte entgehen können, vom Leibe zu halten. Natalie jedoch, den Blumenkohl wieder im Korb verstauend, drehte sich zu mir, lächelte mir scheu entgegen und dankte in kurzen, aber ernst gemeinten Worten. Das Gesicht, in das ich blickte, verzauberte mich wie noch keines zuvor. Es war sanft, von tiefschwarzem im Wind wehendem Haar umrahmt und strahlte trotz seiner Blässe eine Lebendigkeit und Wärme aus, die ihresgleichen suchte. Ich konnte also gar nicht anders, als der jungen Frau zu folgen, weg vom Klippenpfad, ein Stück landeinwärts bis hin zu der kleinen Kate, in der sie mit ihrer Mutter wohnte.
Wie zum Einverständnis mit meiner von mir bis dahin unentdeckt gewähnten Verfolgung ließ Natalie die Tür hinter sich offen. Als ich die dämmrige Stube betreten und auf Natalies schweigende Aufforderung am Tisch Platz genommen hatte, war dieser bereits für meine Teilnahme am Abendbrot mit gedeckt.
»Maman«, sprach Natalie mit wunderbaren französischen Worten, »dieser Mann ist mir gefolgt und möchte bei dir um meine Hand anhalten.«
Aus dem Sessel hinter dem Ofen erhob sich eine ebenso gedrungene wie schattenhafte Gestalt und begab sich in langsamen Schritten zum gedeckten Tisch.
»Dann wollen wir ihn mal unter die Lupe nehmen, liebe Natalie«, sprach die Gestalt, die also Natalies Mutter war, und es wunderte mich weniger, als ich mir eingestehen mochte, dass ich verstehen konnte, was sie so schnell und leise dahinsagte.