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3.6Soziale Wahrnehmung und ihre Realisation durch den Vernehmenden

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305Polizeibeamte und Juristen pflegen nur zu leicht die Nase zu rümpfen, wenn es um soziologische und sozialpsychologische Erkenntnisse geht; allerdings dürfen sie die Augen nicht davor verschließen, dass eine Vernehmung ein Kommunikationsprozess ist, bei dem die sozialen Rahmenbedingungen das Ergebnis beeinflussen.3

Beispiel:4

306Eine angezeigte Vergewaltigung wird aus der Sicht der Zeugin (als Opfer) und des Vernehmenden (als objektivem Ermittler) unterschiedlich empfunden. Aber auch die Vorstellungen des Vernehmenden zur Tat, zum Opfer und dessen Persönlichkeit sind ausschlaggebend: Der „aufgeschlossene“ Vernehmende, der eine gewisse Sympathie mit dem Beschuldigten und dessen Lebensgewohnheiten bei wenig Empathie mit dem Opfer hat, begreift das Verfahren als falsche Verdächtigung, Vortäuschen einer Straftat und Verleumdung. Ein eher „biederer“ Vernehmender mit Sympathie für das Opfer und wenig Verständnis für den „losen“ Lebenswandel des Beschuldigten wird hingegen eine Vergewaltigung sehen.

307Die soziale Vorstellung des Vernehmenden, die von seinen Erfahrungen, Wertvorstellungen und Zuschreibungen geprägt wird, nimmt entscheidenden Einfluss auf den Vernehmungsverlauf und dessen Ergebnis. „Bauchgefühl“ und „Schweinehundtheorie“ determinieren unbewusst die Wahrnehmung des Vernehmenden. Unwillentlich vorhandene kollektive Bewertungsmuster – sogenannte Frames – spielen eine Rolle. Eine Beeinflussung durch sie wird nicht vollständig auszuschließen sein, jedoch muss sich der Vernehmende der Existenz und Wirkung derartiger Frames bewusst sein.

Praxistipp:
308 Frames beeinflussen ungewollt die Vernehmung; sie basieren nicht auf sachlichen Informationen. Der Vernehmende muss ihre Existenz kennen und seine Ermittlungsergebnisse vor diesem Hintergrund ständig mit den objektiven Befunden abgleichen. Selbstkritik ist hier vonnöten.
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