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3.1.2 Bewegung und Gesundheit

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Der Bewegung wird gesundheitspolitisch ein hoher Stellenwert beigemessen. Dies zeigt sich u. a. in der Nennung als eines der nationalen Gesundheitsziele durch das Bundesgesundheitsministerium im Jahr 2006. Die im Rahmen der Bund-Länder-Initiative zur Festlegung und Entwicklung von nationalen Gesundheitszielen und ihrer Umsetzung im Alltag festgelegten Gesundheitsziele zielen neben der Verbesserung der Gesundheit Einzelner oder bestimmter Gruppen auf die Stärkung gesundheitsfördernder Strukturen. Die Förderung sportlicher Aktivitäten, benannt als Gesundheitsziel »Gesund aufwachsen: Lebenskompetenz, Bewegung, Ernährung«, wird vom Bundesgesundheitsministerium neben Ernährung als wesentlicher Einflussfaktor bei der Herstellung gesundheitsfördernder Rahmenbedingungen, z. B. in der Kita und in der Familie, benannt (BGM, 2019).

Da die Kindheit als sensible und prägende Periode für gesundheitsbezogene Entwicklungen wie die Entstehung und mögliche Manifestation gesundheitsriskanten Verhaltens oder für entwicklungsbedingte psychosoziale Störungen im Erwachsenenalter gilt (u. a. Lohaus et al., 2005; Telama et al., 2014), setzen präventive Bemühungen in dieser Altersgruppe an.

Mit der sogenannten KiGGS-Studie, der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland des Robert Koch-Instituts, liegen repräsentative Erhebungsdaten zum gesundheitlichen Zustand von Kindern und Jugendlichen in Deutschland über einen Zeitraum von knapp 15 Jahren vor. Mittlerweile liegen die KiGGS-Basiserhebung (2003–2006), die KiGGS Welle 1 (2009–2012) und die KiGGS Welle 2 (2014–2017) vor. Die KiGGS Welle 2 wird durch fünf Vertiefungsmodule ergänzt. Diese behandeln die Themen psychische Gesundheit (BELLA), Ernährung (EsKiMo für 6- bis 17-Jährige und KiESEL für das Alter von sechs Monaten bis zu fünf Jahren), Motorik (MoMo) und Umwelt (GerES) (siehe hierzu auch die Studie Health Behaviour in School-Aged Children, HBSC, 2015).

Laut KIGGS-Studie haben sich der Gesundheitszustand und das Bewegungsverhalten von Kindern verschlechtert. Insbesondere werden der Bewegungsmangel und, damit verbunden, die Gefahr von motorischen Defiziten, Übergewicht und Haltungsschäden sowie psychosozialen Auffälligkeiten benannt (BMFSFJ, 2009b, S. 10). Insgesamt 14,8 % der Jungen und Mädchen im Alter von zwei bis 17 Jahren sind als übergewichtig einzustufen, darunter 6,1 % mit Adipositas. Verglichen mit Zahlen aus den 1980/90er Jahren ist ein Anstieg um 50 % bei übergewichtigen bzw. um 100 % bei adipösen Heranwachsenden zu verzeichnen (Kurth & Schaffrath-Rosario, 2010). Ergebnisse der KiGGS-2-Studie zeigen mit 15,4 % übergewichtigen Kindern und Jugendlichen einen leichten Anstieg, der Anteil der adipösen Kinder und Jugendlichen ist mit 6 % gleichgeblieben (Krug et al., 2018, S. 3).

Die gesundheitliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen steht in engem Zusammenhang mit körperlicher Aktivität und Bewegung. Körperliche Aktivität hat u. a. positive Wirkungen auf die Vorbeugung von Herz-Kreislauf- Erkrankungen und Übergewicht sowie die motorische Leistungsfähigkeit (Smith, 2014; Opper et al., 2005; Sygusch, 2005). Die sogenannte Motorik-Modul-Studie (MoMo) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) erfasst als Teilmodul der KiGGS-Studie erstmals repräsentativ die motorische Leistungsfähigkeit und körperlich-sportliche Aktivität von Kindern und Jugendlichen im Alter von vier bis 17 Jahren in Deutschland. Mittlerweile liegen die Basiserhebung (2003–2006), die MoMo-Welle 1 (2009–2012) und die MoMo-Welle 2 (2014–2016) vor. Durch die Verknüpfung mit KiGGS-Daten werden Zusammenhänge zwischen Bewegungs- und Gesundheitsindikatoren sichtbar.

In der Studie wird zwischen der motorischen Leistungsfähigkeit und der körperlich-sportlichen Aktivität unterschieden (BMFSFJ, 2009b, S. 18ff). Hinsichtlich der motorischen Leistungsfähigkeit zeichnet sich gemäß der meisten vorangegangenen Studien ein Leistungsabfall im Vergleich zu früheren Generationen ab (u. a. Bös, 2003; Klaes et al., 2008). So zeigt Bös u. a., dass die motorische Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen u. a. hinsichtlich der Laufausdauer seit den 1970er Jahren um ca. 10 bis 20 % abgenommen hat (Bös, 2003). Vereinzelte Studien widersprechen dem (u. a. Kretschmer, 2003; Rethorst, 2003).

Hinsichtlich der körperlich-sportlichen Aktivität lässt sich für die letzten Jahrzehnte eine Veränderung kindlicher Lebens- und Bewegungswelten feststellen. Zum einen ist ein Bewegungsmangel von Kindern im Alltag festzustellen. Lediglich 53,9 % der Mädchen im Alter von 3 bis 17 Jahren und 62,8 % der Jungen dieses Alters treiben mindestens 90 Minuten pro Woche Sport (Krug, 2018, S. 7). Die Nutzungszeit von Medien wie Computer, Handy oder Fernsehen hat sich dagegen stark erhöht (Raczek, 2002). Laut JIM-Studie stehen Jugendlichen in praktisch allen Haushalten verschiedene Medien wie Smartphone (99 %), Internetzugang (99 %) oder TV (95 %) etc. zur Verfügung (MpFS, 2018, S. 6). Der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest (MpFS) untersucht im Rahmen der repräsentativen Studie Jugend, Information, Medien (JIM) seit 1998 jährlich den medialen Alltag von Jugendlichen in Deutschland. Bei der täglichen Mediennutzung der 12- bis 19-Jährigen werden das Smartphone (94 %) und das Internet (91 %) am häufigsten genannt (MpFS, 2018, S. 13f). Nach MpFS- Schätzung beträgt die tägliche Online-Nutzungsdauer 214 Minuten (2017: 221 Minuten) (MpFS, 2018, S. 73).

Zum anderen lässt sich eine »Versportlichung der Jugendbiographie« (Brinkhoff, 1998, S. 129, zit. n. BMFSFJ, 2009a, S. 29; vgl. auch Baur & Burrmann, 2004) sowie deren institutionelle Einbettung in geschützten Räumen wie Kita und Schulhort und eine frühere Vereinsmitgliedschaft, aber auch ein früherer Ausstieg, erkennen. Letztlich ist sportliche Aktivität eine der wichtigsten Freizeitaktivitäten von Kindern und Jugendlichen (BMFSFJ, 2009a). 70,9 % der 3- bis 17-jährigen Mädchen und 75,1 % der gleichaltrigen Jungen geben an, Sport zu treiben. Insgesamt erreichen jedoch mindestens ca. 75 % der Jugendlichen im Alter zwischen 11 und 15 Jahren die von der WHO im Jahr 2010 empfohlenen Richtlinien für gesundheitsorientiertes Aktivitätsverhalten nicht (WHO, 2010). Gemäß dieser Richtlinien sollen Kinder und Jugendliche täglich mindestens 60 Minuten lang mäßig bis sehr anstrengende körperlich-sportliche Aktivitäten durchführen (Krug, 2018, S. 4). Gemäß der von Rütten und Pfeifer entwickelten nationalen Bewegungsempfehlungen sollen sich Vier- bis Sechsjährige mindestens 180 Minuten und Sechs- bis Elfjährige mindestens 90 Minuten täglich bewegen (Rütten & Pfeifer, 2016).

Effekte von Bewegung lassen sich, neben der Verbesserung motorischer Fähigkeiten, auch auf die Entwicklung der kognitiven und psychosozialen Leistungsfähigkeit nachweisen. Bewegungsfreudige Kinder und Jugendliche haben in der Regel eine bessere Körperkoordination und Stressverarbeitung. Dies erleichtert die Konzentrationsfähigkeit, verbessert die Selbstwirksamkeitserwartung und auch die soziale Einbindung (Graf et al., 2004; Neuhäuser, 2001).

Entsprechend der dargelegten Erkenntnisse erfährt die Bewegungsförderung im Rahmen gesundheitspolitischer Förderprogramme besondere Aufmerksamkeit. Trotz des empirisch belegten Wissens über die Bedeutung von Bewegung für die Gesundheit hat sich die Zahl der Menschen mit bewegungsarmen Lebensstilen in Europa im letzten Jahrzehnt weitgehend nicht verringert. Dieses Paradoxon wird als sogenanntes »›chronisches‹ Politikproblem« (Rütten & Pfeiffer, 2016, S. 15) gesehen. Schnelle Lösungen sind nicht möglich, Mehrebenen-Interventionen und der Stellenwert von Gesundheit als Querschnittsthema gelten als erfolgversprechender (BMG, 2010, S. 10f; Rütten & Pfeiffer, 2016, S. 13). Maßnahmen beziehen sich sowohl auf die Verhaltensprävention, also die Veränderung des Verhaltens von Individuen und Gruppen, als auch auf die Verhältnisprävention, also die Veränderungen der Umwelt in allen Lebensbereichen. Neben der 2008 beschlossenen Strategie zur Förderung der Kindergesundheit sind u. a. die Gesundheitsziele, der Nationale Aktionsplan »IN FORM – Deutschlands Initiative für eine gesunde Ernährung und mehr Bewegung« und die im Jahr 2016 veröffentlichten »Empfehlungen für Bewegung (und Bewegungsförderung)« sowie Programme der einzelnen Bundesländer zu nennen. Als sogenannte Startermaßnahmen im Sinne der WHO-Strategie »the healthier choice must be the easier choice« (WHO, 1986), die Gesundheitsförderung zeitnah und niedrigschwellig angehen sollen, werden u. a. die Förderung der Bewegungsfreude von Kindern und Jugendlichen innerhalb des Sportunterrichts oder die Aufstellung von Trinkwasserspendern genannt (BMG, 2010, S. 45). Es ist davon auszugehen, dass eine nachhaltige Förderung nur mithilfe integrierter Ansätze möglich ist, d. h., es werden ergänzend familienunterstützende Maßnahmen in Kommunen, Kitas und v. a. Bildungseinrichtungen installiert (ebd., S. 15).

Bewegungsmangel und ungünstige Ernährungsgewohnheiten, der Gesundheitszustand sowie die Prävalenz von Erkrankungen treten in der Bevölkerung ungleich verteilt auf und korrelieren mit sozio-ökonomischer Benachteiligung und Bildungsferne (siehe u. a. BMAS, 2008; Nicklas et al., 2004; Neumark-Sztainer et al., 2003; Richter, 2005; siehe auch Lebenskompetenz nach Weinert, 2001). Verschiedene Studien belegen, dass Bevölkerungsgruppen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status verhaltenspräventive Maßnahmen am wenigsten in Anspruch nehmen, obwohl sie häufig einen schlechteren Gesundheitszustand haben (siehe u. a. Bauer, 2001; Hurrelmann, 2010). Aufgrund der bereits dargelegten sozialen Determiniertheit von Gesundheit werden gesundheitspolitisch zunehmend verhältnispräventive Strategien zur Senkung der Gesundheitsbelastungen und zur Stärkung der Gesundheitsressourcen gemäß des Settingansatzes verfolgt. Dem benannten Präventionsdilemma soll durch eine Einbindung sozialer Dienste, die Zugang zu diesen Personengruppen haben, eine bessere intersektorale Vernetzung der Akteure und Akteurinnen und eine Fokussierung auf verhältnispräventive Maßnahmen im Sinne kommunaler Gesundheitsförderung entgegengewirkt werden (RKI, 2015, S. 284; siehe auch RKI, 2009). Das im Juli 2015 verabschiedete Präventionsgesetz (»Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention«) setzt an der Erhöhung der gesundheitlichen Chancengleichheit zugunsten sozial Benachteiligter als kommunale Aufgabe an (RKI, 2015, S. 236; BMAS, 2017).

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