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Nie zum Rückzug blasen! Nie! Man muss den Mannschaften klarmachen, dass dieses Signal, wann immer sie es hören, nur eine List des Feindes ist.“ So hatte es einst Dragomirow, der erste Taktiker der russischen Armee, auf der Militärakademie von seinem Lehrer Suworow immer wieder zu hören bekommen.

Für die Kaukasier dagegen waren Rückzug und Angriff wie Ebbe und Flut. An Zahl und Waffen der wohlausgerüsteten Armee des Zaren unterlegen fochten sie elastisch, griffen an und zogen sich zurück in die Wälder und Berge, wo sie jeden Weg und Steg kannten. Mit diesem Kleinkrieg hielten ihre schwachen und darum so beweglichen Partisanengruppen die starken und schwerfälligen Truppenverbände der Russen dauernd in Unruhe. Im Gegensatz zur regulären Armee stand bei den Muriden nicht die Bewaffnung im Vordergrund, sondern der Mensch; das Gewehr war nur ein vorbereitendes Hilfsmittel für sie, die Auserwählten Gottes, die weder Furcht noch Trauer kennen, wie es im Koran heißt.

Doch im Herbst des Jahres 1832 nahmen die Rückschläge überhand, als Kasi Mullah und Schamil, der sich den Aufständischen wieder angeschlossen hatte, ständig zurückweichen mussten. General Baron Rosen, der neue Oberbefehlshaber der Südarmee, hatte den Plan gefasst, den Widerstand der kaukasischen Stammeskrieger endgültig zu brechen und die aufsässige Bevölkerung in die Knie zu zwingen. Er begann den entscheidenden Schlag mit dem Einmarsch nach Tschetschenien, wo seine Truppen die Auls schleiften und niederbrannten, das Land verwüsteten, Gefangene machten, das Vieh forttrieben und die Festung Mjutlach im Sturm nahmen.

Wie tschetschenische Spione in Erfahrung brachten, traf General Weljaminow bereits alle Vorbereitungen zu einem Großangriff auf Dagestan. Er wollte Kasi Mullah haben, tot oder lebendig, um damit dem Aufstand der Muriden den Todesstoß zu versetzen.

Die Gefahr war groß, das Ende schien nahe. Aber bevor sie selbst fielen, wollten sie möglichst viele Ungläubige vernichten. Deshalb kamen Kasi Mullah, der Imam, und Schamil, sein Freund, überein, sich dem Feind in Gimri zu stellen, dem Aul, wo sie geboren und aufgewachsen waren.

Dieses Bergnest, tausendfünfhundert Meter über dem Tal auf den fast unzugänglichen Felsen des Koisumassivs gelegen, galt als uneinnehmbare Festung, zu der nur ein einziger zwanzig Kilometer langer Zickzackweg hinaufführte. Von Temir-Chan-Schura aus, wo fünfunddreißig Kilometer ostwärts die Russen ihr Hauptquartier aufgeschlagen hatten, schlängelte er sich über die felsige Einöde, führte dann als schmale Gebirgssteige weiter bergauf und ging über in einen steilen Saumpfad, der sich in den Fels gehauen an einer senkrecht abfallenden Schlucht entlangzog. Unterhalb von Gimri mündete der ohnehin schon äußerst schwierige und gefährliche, immer wieder durch Steinschläge bedrohte Pfad in einen Engpass. Durch diese natürliche Sperre musste sich der Feind im Gänsemarsch, Mann hinter Mann, hindurchzwängen und konnte so, auch bei starker Überlegenheit, leicht von einer Handvoll Scharfschützen in Schach gehalten werden.

„Auf diesem Weg werden sie versuchen, nach Gimri zu kommen“, meinte Kasi Mullah zu Schamil, „aber dabei genauso scheitern wie alle früheren Angreifer.“

„Und was ist, wenn sie uns mit Kanonen beschießen?“

„Dazu müssten sie erst mal ihre Geschütze auf Schussweite heranbringen. Doch wie und wo sollten sie das?“

Kasi Mullah hatte mehrere starke Verteidigungsgürtel um Gimri ziehen lassen, von wo aus die Muriden die Schluchten und Täler ringsum beherrschten. Gewohnt, mit Gewehren von geringer Schussweite sowie im Nahkampf mit Säbel und Dolch zu kämpfen, erwarteten sie den Feind.

Der Löwe vom Kaukasus

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