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Stunden verstrichen, ohne dass er nach Chunsach zurückkehrte oder eine Nachricht von ihm eintraf, so wie sie es vor seinem Aufbruch vereinbart hatten.

Beunruhigt wandte sich die Khanin an ihren ältesten Sohn:

„Da stimmt etwas nicht. Dein Bruder braucht Hilfe, und du bist der Einzige, der sie ihm bringen kann.“

„Wieso soll ich der Einzige sein?“

„Du hast deinen Bruder vorhin im Stich gelassen. Willst du ihn jetzt wieder im Stich lassen?“

Die Sorge um ihren Sohn hatte die Mutter verwirrt. Sie, die sonst gefasst jeder Gefahr ins Auge schaute und dabei einen kühlen Kopf behielt, schien nicht mehr klar und logisch denken zu können.

„Hamsat Beg ist zwar der neue Imam von Dagestan, aber in erster Linie ist er ein Bandit. Das war er schon immer. Nur durch List und Betrug hat er sich dieses Amt erschlichen. Nicht der Muridismus liegt ihm am Herzen, sondern einzig und allein seine persönliche Macht. Und wir stehen ihm dabei im Wege, du, Mutter, als Khanin, und wir, deine Söhne, als deine Nachfolger. Das heißt, jetzt bin ich von uns Brüdern nur noch der einzige. Die anderen sind schon so gut wie erledigt.“

„Du bist kein Mann, du bist ein Feigling!“, rief Pachu-Bike außer sich vor Zorn.

„Weil ich nicht so dumm bin, in die Falle zu gehen?“

„Geh und hilf deinem Bruder! Kämpfe!“

„Hamsat Beg soll selber kommen, wenn er was von mir will. Ich kämpfe hier! Ich werde dich beschützen, solange ich noch den Säbel halten kann, und mein ganzes Leben so teuer wie möglich verkaufen.“

„Verflucht sei der Tag, an dem ich dich geboren habe!“

In der ersten Gefühlserregung schien Abunnuzal aufbrausen zu wollen, aber dann beherrschte er sich. Er kannte seine Mutter nur zu gut und wusste, dass ihr Hassausbruch eigentlich nicht ihm galt, sondern der Angst um das Schicksal ihrer beiden anderen Söhne entsprang und der Ohnmacht, dagegen selbst nichts unternehmen zu können.

„Zwei Söhne hast du schon verloren“, sagte der junge Fürst. „Du bist also bereit, auch noch deinen letzten Sohn zu verlieren. Ich weiß, was mir droht. Aber ich reite trotzdem.“

Begleitet von zweihundert Reitern brach Abunnuzal Khan von Chunsach auf, ließ sie aber auf halber Wegstreck zurück und galoppierte mit nur acht auserwählten Gefolgsleuten, darunter auch Hadschi Murat, weiter auf das Lager der Muriden zu.

Hamsat Beg empfing ihn mit allen Ehren und gab sich äußerst liebenswürdig.

„Willkommen, Fürst, und hab Dank, dass du meiner Einladung gefolgt bist. Sicherlich werden wir die Angelegenheit rasch zu einem guten Abschluss bringen. Wenn du dich vorher noch mit deinen Brüdern beraten willst, dann bitte ich dich, sie im Zelt dort drüben aufzusuchen. Meine Leute führen dich gern dorthin.“

Abunnuzal schwankte noch in seiner Meinung, ob das unerwartete Wohlwollen des Imams echt sei oder geheuchelt. Aber als er in das Zelt trat, wo ihm seine Brüder fragend entgegenblickten, stürzten sich Hamsat Begs Anhänger auf die Begleiter des jungen Fürsten und begannen sie niederzumetzeln. Durch die Schüsse und Schreie aufgeschreckt, stürmte Omar als Erster ins Freie hinaus, wurde aber sofort von mehreren angegriffen und erschlagen. Mit Säbel und Dolch bewaffnet warf sich Abunnuzal auf die Mörder, um den Tod seines Bruders zu rächen. Seine Wut über den Verrat steigerte seine Kräfte. Die ersten Muriden, die es mit ihm aufzunehmen wagten, streckte er mit dem Säbel nieder, doch als ihm selbst ein Hieb die Wange aufschlitzte und ein anderer seinen Arm traf, ließ er die Klinge fallen. Hadschi Murat, einer der wenigen noch Überlebenden, versuchte ihm zu Hilfe zu kommen, wurde aber durch seine Gegner, die ihm selbst schwer zusetzten, abgedrängt. Er sah, wie Abunnuzal die eine Hand gegen die herunterhängende Backe drückte und sich mit dem Dolch in der anderen gegen seine Angreifer verteidigte, bis er schließlich seinen Wunden erlag.

Gleich darauf schleifte Hamsat Beg den kleinen achtjährigen Bulatsch aus dem Zelt. Das Geschrei des Jungen, der befürchtete, genauso abgeschlachtet zu werden wie die anderen, fuhr Hadschi Murat so sehr in die Glieder, dass er plötzlich von Grauen gepackt wurde. Die kurze Unaufmerksamkeit seiner Gegner zur Flucht nutzend, schwang er sich aufs Pferd und sprengte davon, verfolgt von einem Hagel von Speeren, den die Muriden hinter ihm her schleuderten. Er war der Einzige aus Abunnuzals Gefolge, der dem Gemetzel entkam.

Keiner der Muridenführer hatte sich gegen das Blutbad gestellt, auch nicht Schamil, der darin nichts anderes als eine notwendige, wenn auch harte Kampfhandlung zur Eroberung Awariens sah. Im Kaukasus war man nie zimperlich mit seinen Feinden umgesprungen, und ein Verbündeter der Russen war ein Todfeind.

Hamsat Beg selbst hatte mit diesem Anschlag seinen lange vorbereiteten Plan durchgeführt und damit das Versprechen eingelöst, das er Aslan Khan gegeben hatte. Der Widerstand der Bewohner von Chunsach war gebrochen, und Panik brach in der Stadt aus, als der Imam der Khanin die zerhauenen Leichen ihrer beiden Söhne schickte. Fast kampflos zogen die Muriden ein.

Pachu-Bike aber wehrte sich bis zuletzt. In die Enge getrieben, entwanden ihr die Feinde schließlich den Säbel und enthaupteten sie.

Hamsat Beg ließ sich nun selbst zum Khan von ganz Awarien ausrufen und zog, sich über sein Muridengelübde der Enthaltsamkeit und Selbstverleugnung hinwegsetzend, in den Palast von Chunsach mit all seinem gottlosen Luxus ein.

Mit großer Genugtuung nahm Aslan Khan in Tarku den Sieg Hamsat Begs zur Kenntnis. Besonders freute er sich über den Tod Pachu-Bikes, der Frau, die einst seine Verlobung mit ihrer Tochter Sultanetta wieder rückgängig gemacht hatte. Seine lange Geduld war endlich belohnt, sein listig ausgeheckter Plan verwirklicht worden. Hamsat Beg hatte ihn gerächt. Wie klug war es von ihm gewesen, diesen gewissenlosen Ehrgeizling damals aus der Haft bei den Russen freizubitten und ihn zum willfährigen Werkzeug seiner Abrechnung mit der Khanin von Chunsach zu machen.

Im Überschwang seiner Dankbarkeit schickte er unverzüglich einen Läufer nach Chunsach zu Hamsat Beg mit einer Botschaft, die in einer kostbaren goldenen Uhr aus der Werkstatt eines Goldschmieds in Tiflis steckte. „O treuer Hamsat!“, hieß es darin in schwärmerischen Tönen. „Von jetzt an bist du mein Sohn. Zusammen werden wir das Land von den Ungläubigen reinigen.“

Als Seiltänzer zwischen den Fronten vergaß Aslan Khan jedoch nicht, dem Läufer noch einen zweiten Brief mitzugeben, in dem er Hamsat Begs Grausamkeit anprangerte und mit Rache drohte. Gerissen wie er war, wollte er sein Gesicht vor den Russen wahren: Man konnte nie wissen, wie sich der Wind drehte.

Der Löwe vom Kaukasus

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