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Eine Zeitlang schien es, als würde Kasi Mullah die Vorhaltungen seines Freundes Schamil beherzigen, aber als der Frühling anbrach, trieb ihn seine Unrast erneut an. Im Mai war es dann mit seiner Selbstbeherrschung vorbei. Über Schamils Kopf hinweg rückte er gegen die russische Festung Wnesapnaja, nördlich von Gimri, vor, ohne sie jedoch stürmen zu können. Er musste sich sogar in die Wälder zurückziehen, als Verstärkungen vom russischen Hauptquartier nahten, um seine Nachhut abzudrängen und zu vernichten. Was wie eine Niederlage aussah, münzte Kasi Mullah in einen Sieg um: Er legte seinen Rückzug taktisch so geschickt an, dass er nicht nur die Entsatztruppen hinter sich herlockte, sondern auch noch die halbe Garnison von Wnesapnaja. Die Russen, darauf gedrillt, auf offenem Feld beritten anzugreifen und in geschlossenen, geordneten Einheiten zu kämpfen, beschlich ein Gefühl von Angst und Schrecken in diesen dunklen, wild wuchernden Wäldern mit ihren Riesenbäumen und ihrem undurchdringlichen Dickicht, während die Kaukasier sich darin so sicher bewegten wie auf Bergen und in Schluchten. Jeden Stamm und Strauch nutzten sie als Hinterhalt, um, selbst unsichtbar, dem Feind aufzulauern und schwere Verlust beizubringen.

In solchen Partisanenkämpfen, in denen die Russen keine Erfahrung hatten, erzielte Kasi Mullah immer wieder kleinere Erfolge. Als den Muriden Ende Mai 1831 die Stadt Tarku in die Hände fiel, besaßen sie einen guten Hafen für ihre persischen und turkmenischen Verbindungen. Die Russen, die sich dort eingenistet hatten, flohen nach der kleinen Festung Burnaja oberhalb von Tarku, wo sie schon bald unter Wassermangel litten, da die brauchbaren Quellen unterhalb des Berges entsprangen. Dorthin führte vom Fort hinab ein zu beiden Seiten von Längsmauern gedeckter Weg. In dessen Mitte lag der Pulverkeller, von zwei Wachtürmen geschützt.

Zunächst richteten sich Kasi Mullahs Angriffe gegen diese beiden Ziele, die von den Russen verzweifelt verteidigt wurden. Nur zu gut wussten die Soldaten der Besatzung, dass sie von den Muriden keine Schonung erhoffen durften und sie im günstigsten Fall, wenn sie ihnen lebend in die Hände fielen, in Gruben geworfen und darin als Gefangene verfaulen würden.

Trotzdem mussten die Verteidiger nach heftiger Gegenwehr das Pulvermagazin aufgeben. Doch kaum war es einer großen Schar Tschetschenen gelungen, in den Keller einzudringen, als die russische Artillerie ihr Feuer darauf konzentrierte. Die ersten Granaten schlugen noch in der Nähe ein, dann aber flog der Pulverkeller nach einem Volltreffer mit ohrenbetäubendem Krachen in die Luft, als sei plötzlich ein Riesenvulkan ausgebrochen. Flammen und Rauchwolken schossen himmelwärts, Hunderte zerrissener Menschenleiber wirbelten wie Gesteinsbrocken durch die Luft.

Trotz der schweren Verluste ließen die Muriden nicht locker und setzten ihre wütenden Angriffe fort. Aber auch die Besatzung von Burnaja, in der brennenden Sonne des Südens dem Verschmachten nahe, gab nicht auf. Hilflos lagen die Verwundeten in der Festung herum, schrien vor Schmerzen und wimmerten nach Wasser, bis sie nach langem Leiden, verblutet und verdurstet, verstummten. Als nach weiteren drei Tagen der Untergang gekommen zu sein schien – die Muriden hatten die Höhen um Burnaja besetzt, bleischwer lastete die Hitze, die Munition ging zu Ende -, da donnerten plötzlich die Kanonen einer russischen Brigade, die der bedrängten Besatzung zu Hilfe eilte. Kasi Mullah zog ab, die Festung war gerettet.

Durch solche Rückschläge ließen sich die Kaukasier nicht entmutigen. Der heilige Krieg, den sie gegen die ungläubigen Eindringlinge führten, war ihr leidenschaftlichster Wunsch zur eigenen Läuterung, eine Form des Märtyrertums, ein Weg in Mohammeds Paradies. Kasi Mullah verstand es, die Begeisterung und Hoffnung seiner Muriden immer wieder wachzuhalten. Während der langen Märsche pflegte er sich in den Pausen auf den Boden zu kauern, seine Augen zu schließen und sich den Anschein zu geben, als dringe aus der Ferne ein Geräusch an sein Ohr, das sonst niemand vernahm. Fragten ihn seine Anhänger, was er denn höre, so antwortete er:

„Es klingt wie das Rasseln von Ketten.“

„Ketten?“

„Ja, es ist das Klirren der Eisenfesseln. Man hat sie den russischen Generalen angelegt, die man mir als Gefangene bringt.“

Unter solchen verlockenden Aussichten verflog jede Müdigkeit, und alle marschierten jetzt doppelt so schnell dem Feind entgegen.

Der waghalsige Angriff, mit dem Kasi Mullah im November das Bergnest Kisliar stürmte, den Aul plünderte und mehrere hundert Gefangene, größtenteils junge Frauen, verschleppte, erregte den Unmut des russischen Generalstabs, denn gerade dieses Unternehmen machte den zaristischen Heeresführern die Überlegenheit der Gebirgsstämme im Partisanenkrieg deutlich. Noch nie hatten sich die Muriden bei ihren Überfällen so dreist und hartnäckig gezeigt wie gerade zu jener Zeit besonders großer Unruhe.

Der Winter stand bevor. Um sich für neue Kämpfe im Frühjahr vorzubereiten, sammelten sich die Muriden im Waldgebiet von Tschumkesskent. Kasi Mullah war auf der Höhe seiner Macht. Gestärkt durch seine Erfolge schlossen sich ihm viele, bisher friedliche Stämme an, besonders da die Perser wieder in einen Krieg mit den Russen verstrickt waren.

Unerwartet holte die zaristische Generalität im Winter zum Schlag aus. Bei Tschumkesskent überfielen die russischen Truppen Kasi Mullahs Freund und Verbündeten Hamsat Beg und brachten ihm eine empfindliche Niederlage bei. Kälte und starke Schneefälle machten danach weitere Kampfhandlungen unmöglich.

Der Löwe vom Kaukasus

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