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„LUIGI IST ERMORDET worden!“, stieß Ezio Campa, der Alte, hervor. Seine Augen weiteten sich, während die Pupillen zu senkrechten Strichen wurden. Das Oberhaupt der Campa-Sippe keuchte, versuchte mehr von dem Gedankenfetzen zu erhaschen. Aber da war nichts mehr.

'Eine Hexe der Semjeka-Familie hat mich getötet!'

„Eine Semjeka“, murmelte Campa und sah Raffael und Daniela nacheinander an, die die Botschaft ebenfalls aufgenommen hatten. „Ausgerechnet eine Semjeka ... aber die Semjeka-Sippe gibt es doch nicht mehr!“

„Die Wiener, nicht wahr? Waren sie nicht auch im Dienste des Fürsten der Finsternis?“

„Für mich waren sie immer etwas undurchsichtig“, sagte Ezio. „Ich kann nicht verstehen, wieso der alte Semjeka eine Tochter wie diese dulden konnte. Sie hat ihm und der gesamten Sippe nur Ärger gebracht. Ich glaube, sie ist nie eine richtige Dämonin gewesen. Sie ist übergelaufen.“

„Übergelaufen? Ach ... zum Orden des Nimrod?“

„Man erzählt sich von einer Semjeka, die für den Orden arbeitet. Ja ... ich bin sicher, dass es Valera Semjeka ist. Sie dürfte die einzige sein, die noch von ihrer Sippe existiert.“

Ezio nickte. „Das ist ärgerlich“, sagte er. „Wir müssen sie in unsere Hände bekommen, verstanden? Ihr seht euch sofort dort um, wo Luigi ermordet wurde. Sichert Spuren. Und versucht, die Hexe gefangen zu nehmen. Ich will sie selbst sterben sehen.“

„Und wenn ein Ordensritter in ihrer Nähe ist?“

„Ein Ordensritter, also wirklich!“, brüllte Ezio. „Habt ihr Angst vor einem einzelnen Menschen? Setzt euch endlich in Bewegung, oder ich entfache Feuer unter euern Hintern!“

Dazu war er in der Lage. Raffael und Daniela sahen zu, dass sie den Palazzo am Canal Grande verließen, in dem sie wohnten, wenn sie sich in Venedig aufhielten. Es war ein recht unscheinbar gewordenes Gebäude, restaurierungsbedürftig, aber niemand kümmerte sich sonderlich darum. Solange es noch bewohnt war, war es Sache der Bewohner, das Haus zu pflegen. Die meisten großen Palazzi, vor allem die am Stadtrand, waren längst verlassen worden. Die Stadt sank zwar nicht mehr so schnell weiter wie einst, aber immerhin konnte man noch den Absinkprozess von Jahr zu Jahr verfolgen, und die meisten Venezianer sahen schon nicht mehr ein, warum sie ihre Häuser noch restaurieren sollten. In spätestens hundert Jahren war Venedig ohnehin unbewohnbar geworden.

Das war noch bis vor einem oder zwei Jahren die allgemeine Meinung gewesen. Inzwischen wurde intensiv über ein Hilfsprogramm nachgedacht, das Venedig vor dem weiteren Absinken bewahren sollte. Das würde eines Tages natürlich alles wieder ändern.

Aber für die Campas spielte es keine Rolle.

Ezio blieb allein im Palazzo zurück. Die beiden anderen stiegen in eines der beiden kleinen Motorboote und fuhren auf den Kanal hinaus. Am Tage waren sie nur zu viert in Venedig – jetzt, nach Luigis Tod zu dritt. Die anderen drei kamen nachts vom Festland herüber. Sie hatten in Treviso und Padua zu tun; dort liefen auch einige interessante und lukrative Unternehmungen. Der Rest der Sippe befand sich in Florenz.

„Es wird Schwierigkeiten geben“, sagte Raffael, während er das Motorboot lenkte. Er wusste die ungefähre Richtung, aus der der Gedankenschrei Luigis gekommen war. Es war gar nicht so weit ab.

„Schwierigkeiten? Mit der Semjeka-Hexe?“

„Denk doch mal weiter“, sagte Raffael. „In der kommenden Nacht muss die siebte Beschwörung stattfinden, das siebte Opfer. Und wir, die wir zu siebt sein müssen, sind jetzt nur noch zu sechst. Das geht schief.“

„Dann muss eben noch jemand aus Florenz herüberkommen“, sagte Daniela gleichmütig.

„Das stellst du dir ziemlich einfach vor. Es ist Abend. Die Zeit ist äußerst knapp. Es ist kaum noch zu schaffen.“

„Schon, wenn der Alte sofort telefoniert.“

„Trotzdem ist es ein ziemlicher Weg. Und der wird auch mit dem Flugzeug nicht sonderlich kürzer.“

„Soll nicht unsere Sorge sein. Da muss sich der Alte etwas einfallen lassen. Wir müssen die Hexe schnappen.“

„Und ein Opfer besorgen! Das sollte Luigi machen.“

Darum machte sich wiederum der sonst so vorsichtige Raffael die wenigsten Sorgen. Es kam jetzt, in der letzten Nacht, nicht mehr darauf an, keine Spuren zu hinterlassen. Nach dieser Nacht war ohnehin alles zu spät. Niemand würde das Geschehen mehr aufhalten können. Es war gleichgültig, ob das Opfer später identifiziert werden konnte oder nicht.

Raffael bog in den Rio Fontego dei Turchi ein, sah weit vor sich den Vorplatz einer Kirche und duckte sich förmlich unter einer Brücke hindurch, dann ging es links weiter. An einem kleinen Platz mit angrenzender Grünanlage hielt Raffael an und vertäute das Boot. Von hier aus ging es zu Fuß weiter. Sie durchstreiften ein paar Seitengassen. Die schmutzigen Häuser drängten sich hier dicht an dicht. Plötzlich blieb Daniela stehen. „Hier!“

Sie deutete in einen schmalen Spalt zwischen zwei Häusern. Raffael wäre fast daran vorbeigelaufen. Hier lagen die Reste, die von Luigi übrig geblieben waren. Das, was nicht zu Staub zerfallen war, befand sich in einem rasanten Fäulnisprozess. In spätestens einer Stunde würde nur noch das Skelett übrig sein, und auch das war dann nicht mehr sonderlich stabil.

„Die Hexe hat ihm das Genick umgedreht“, sagte Daniela kalt. Der Tod ihres dämonischen Verwandten berührte sie nicht sonderlich. Der Tod war etwas, das ständig eintreten konnte. Sie fürchtete ihn nicht.

„Wir werden ihn befragen, solange es noch geht“, sagte Raffael. „Aber nicht hier.“ Er trennte Luigis Schädel ab, der teilweise zerpulvert war, und zeichnete dann einige Symbole über den zerfallenden Körper. Elmsfeuerchen tanzten über die Gestalt, und sie verbrannte rückstandsfrei. Raffael wickelte den Schädel in seine Jacke, und zusammen kehrten sie zum Boot zurück.

Ezio wartete bereits im Palazzo. „Habt ihr Hinweise auf den Verbleib der Hexe?“

„Das versuchen wir jetzt zu klären“, sagte Raffael. „Du bist doch der Spezialist. Kannst du aus den Resten etwas erfahren?“ Er packte den Schädelrest aus und legte ihn vor Ezio auf den Tisch.

Der Sippenchef hob die Brauen.

„Ich will es versuchen. Es ist wichtig, ja?“

„Wahrscheinlich. Du willst doch selbst auch wissen, warum es geschehen ist.“

Ezio zog sich mit dem Schädel in einen anderen Raum zurück. Was sich dort abspielte, sahen die beiden jüngeren Dämonen nicht, aber unter der Tür quoll grüner Qualm hervor, der sich zu bizarren Nebelgebilden verdichtete, die wild und drohend tanzten, ehe sie wieder vergingen. Ein durch Mark und Bein dringendes Sirren ertönte hinter der Tür. Ezio bemühte einen äußerst starken Zauber, um aus den Resten Luigis noch etwas zu erfahren.

Nach fast einer Stunde kehrte er wieder zurück.

„Luigi verfolgte ein Opfer. Es sieht so aus.“ Er nahm einen Bogen Papier und zeichnete das Gesicht des Mädchens auf. Es glich fotografisch exakt Philippa Carnor. Und dann wob der Alte einen Zauber darüber, der der Zeichnung ein Abbild der Seele des Mädchens aufprägte.

„Findet sie. Wie ihr das macht, ist eure Sache. Luigi hatte sie ausgesucht, und er wird seine Gründe dafür gehabt haben. Wahrscheinlich befindet sie sich nicht mehr in Venedig. Sie dürfte nach Mestre geflohen sein. Sucht dort und im weiteren Umkreis.“

„Und die Semjeka?“

„Luigi wusste nicht, weshalb sie hinter ihm her war. Sie fragte ihn allerdings nach den Opfern. Sie muss also etwas ahnen. Ich frage mich, woher. Selbst die Polizei tappt restlos im Dunkeln.“

„Auch wenn sie nur etwas ahnt, muss sie sterben.“

„Ich kümmere mich darum“, sagte Ezio. „Ich werde sie finden.“

Raffael hob die Hand. „Hast du auch daran gedacht, dass wir in dieser Nacht nur zu sechst sein werden?“

„Ja“, knurrte der Alte.

„Und?“

„Nichts und. Verschwindet. Seht zu, dass ihr das Mädchen findet. Alles andere ist meine Sache.“

„Er ist leichtsinnig“, sagte Raffael später. „Ich verstehe ihn nicht. Es wird schiefgehen. Ob die Trauer ihm die Sinne verwirrt?“

Daniela hob die Schultern. „Bis jetzt habe ich immer noch das Gefühl, dass er genau weiß, was er tut. Er ist doch selbst am stärksten daran interessiert, dass es klappt. Und es wird klappen. In dieser Nacht wird Nevio erwachen.“

„Nevio ...“, wiederholte Raffael, und es klang wie ein Fluch.


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