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IV. Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO)

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Fall 15:

A und B sind Kollegen. Sie erwerben – jeder für sich – zwei gleich große Eigentumswohnungen in derselben Wohnanlage. A vermietet seine Wohnung an B und B seine Wohnung an A zu einem Mietzins von jeweils 800 € monatlich. A macht in seiner Einkommensteuererklärung für die an B vermietete Wohnung einen Werbungskostenüberschuss iHv 12 000 € (Schuldzinsen und sonstigen Aufwand) geltend. Das FA verweigert die Anerkennung wegen Rechtsmissbrauchs. Zu Recht[123]? Rn 338

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Ein StPfl ist grds berechtigt, sich wirtschaftlich so zu verhalten, dass keine oder eine möglichst geringe Steuer anfällt[124]. Er kann über seine Einkunftsquelle, sein Einkommen und Vermögen grds frei verfügen und sein Verhalten so einrichten, dass die steuerbegründenden Tatbestände vermieden werden. Das Motiv, Steuern zu sparen, macht also eine Gestaltung noch nicht missbräuchlich[125].

Wer, um Steuern zu sparen, seinen Partner heiratet (Splitting-Vorteil, Rn 634), eine Katze statt eines Hundes hält (Vermeidung der Hundesteuer, Rn 78) oder ein Hausgrundstück erst nach mehr als zehn Jahren und nicht schon nach neun Jahren und 11 Monaten verkauft (vgl § 22 Nr 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr 1 EStG), vermeidet die Steuerbelastung, indem er rechtlich und wirtschaftlich die Tatbestandsvoraussetzungen des Steuergesetzes nicht erfüllt.

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Wer allerdings einen wirtschaftlichen Sachverhalt, der eigentlich unter das Steuergesetz fällt, nur rechtlich so verformt, dass der steuerbegründende Tatbestand dem Wortlaut nach nicht vorliegt, wohl aber der Sache nach erfüllt ist, der ist ebenso zur Steuer heranzuziehen wie derjenige, der nicht nur wirtschaftlich, sondern auch rechtlich den steuerlichen Belastungstatbestand erfüllt. Diesen Fall des sog. Gestaltungsmissbrauchs regelt § 42 AO[126]. Danach kann durch Missbrauch der rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten das Steuergesetz nicht umgangen werden. Aus Gründen der steuerlichen Belastungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) ist die formale Gestaltung unbeachtlich. Ein Missbrauch liegt vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim StPfl oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt (§ 42 Abs. 2 Satz 1 AO). Eine besondere Fallgruppe ist die vom BFH entwickelte Rspr zum „Gesamtplan“. Ein in steuerlich „unbedenkliche“ Teilschritte zerlegtes Geschehen kann demnach aufgrund eines dahinterstehenden Gesamtplans gleichwohl missbräuchlich sein, so dass die Teilschritte als ein Vorgang zusammengefasst werden[127]. Grds kann sich also der StPfl schon durch eine außergewöhnliche und für ihn steuerlich vorteilhafte Gestaltung dem Vorwurf des Missbrauchs aussetzen. Deshalb gewährt § 42 Abs. 2 Satz 2 AO dem StPfl die Möglichkeit, durch Verweis auf beachtliche außersteuerliche Gründe diesen Vorwurf zu entkräften. Liegt ein Missbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht (§ 42 Abs. 1 Satz 3 AO).

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Die rechtstheoretische Einordnung des § 42 AO ist umstritten. Teilweise wird angenommen, § 42 AO sei überflüssig, die Anwendbarkeit bzw Nichtanwendbarkeit steuerlicher Regelungen bei missbräuchlicher Gestaltung ergebe sich bereits durch Anwendung der anerkannten Auslegungsregeln (sog. Innentheorie). Die Rspr und ein anderer Teil des Schrifttums gehen jedoch davon aus, dass § 42 AO einen eigenständigen Regelungsgehalt hat, unter den subsumiert werden muss (sog. Außentheorie)[128].

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§ 42 AO ist nicht zu prüfen, wenn die Voraussetzungen einer einzelsteuergesetzlichen Umgehungsvorschrift vorliegen, § 42 Abs. 1 Satz 2 AO („Abschirmwirkung“)[129]. Solche Vorschriften sind zB § 15b EStG (Rn 1181), § 9 Abs. 2 UStG (Rn 1709), § 1 Abs. 2a, 2b GrEStG (Rn 1761). Ist dies der Fall, so ergeben sich die Rechtsfolgen allein aus dem Einzelsteuergesetz. Andernfalls ist zu prüfen, ob ein Gestaltungsmissbrauch iSd § 42 Abs. 2 AO vorliegt[130].

Ein Gestaltungsmissbrauch liegt also unter folgenden Voraussetzungen vor:

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(1) Unangemessenheit der rechtlichen Gestaltung. Voraussetzung ist, dass verständige Parteien in Anbetracht des Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zielsetzung nicht in der gewählten Weise verfahren würden. Dies ist erst dann der Fall, wenn der StPfl einen ungewöhnlichen, gekünstelten Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll[131]. Maßstäbe, wann dies der Fall sein soll, liefert § 42 AO nicht. Die Rspr zieht Indizien heran, wonach eine angemessene Gestaltung tendenziell eher einfach, zweckmäßig, notwendig, übersichtlich, effektiv und ökonomisch, eine unangemessene Gestaltung eher das Gegenteil davon ist[132]. Hat der Gesetzgeber seine Wertungen, was missbräuchlich sein soll, in einer Spezialvorschrift (zB § 50d Abs. 3 EStG) kodifiziert, so soll (so das Verständnis der Finanzverwaltung) nach § 42 Abs. 1 Satz 3 AO dennoch § 42 Abs. 2 AO (als Grundnorm) zur Anwendung kommen, auch wenn nicht alle Voraussetzungen der Spezialvorschrift vorliegen[133]. Damit würden aber allgemeine Auslegungsgrundsätze nicht hinreichend berücksichtigt[134]. Zwar bleibt § 42 AO grds anwendbar (vgl zB § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG). Allerdings kann § 42 AO nicht neue (andere) Maßstäbe liefern, nach denen Unangemessenheit angenommen werden kann, wenn die Spezialnorm die Unangemessenheit konkretisiert hat. Wer die spezialgesetzlich normierten Grenzen einer die Gestaltung regelnden Norm nicht überschreitet, orientiert sich an den gesetzlichen Vorgaben und verhält sich damit nicht missbräuchlich[135].

Beispiel:

Regelt das UmwStG die Voraussetzungen, unter denen die übernehmende Körperschaft in die steuerliche Rechtsstellung der übertragenden Körperschaft eintritt (§ 12 UmwStG), und legt es die Auswirkungen für den Gewinn im Einzelnen fest, dann kann nicht über den Rückgriff auf § 42 AO von einer missbräuchlichen Nutzung von Verlusten ausgegangen werden[136].

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(2) Die unangemessene Gestaltung muss beim StPfl oder einem Dritten zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führen. Was das bedeutet, ist unklar. Es ist durch Auslegung der Norm festzustellen, ob der Gesetzgeber für diese Gestaltung den Steuervorteil vorgesehen hatte[137]. Im Grunde sagt diese Formulierung etwas Selbstverständliches: Fällt die Gestaltung unter die Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm, deren Rechtsfolge ein steuerlicher Vorteil ist, so kann dies keinen Missbrauchsvorwurf begründen.

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(3) Gibt es Hinweise, die für die Unangemessenheit der Gestaltung sprechen, so kann der StPfl den Gegenbeweis führen: Er kann außersteuerliche Gründe für die gewählte Gestaltung vorbringen, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind (§ 42 Abs. 2 Satz 2 AO)[138]. Wenn der StPfl also nachvollziehbare[139] wirtschaftliche Gründe für die gekünstelt erscheinende Gestaltung benennen kann, so schließt das den Missbrauch aus[140].

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Lösung Fall 15 (Rn 330):

Das FA hat die Anerkennung der Aufwendungen als Betriebsausgaben möglicherweise zu Recht nach § 42 AO wegen Gestaltungsmissbrauchs verweigert. Dies setzt voraus, dass eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird (1), die zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt (2) und für die der StPfl keine beachtlichen außersteuerlichen Gründe nachweisen kann (3).

Unangemessen ist die Gestaltung, wenn ein ungewöhnlicher, gekünstelter Weg eingeschlagen wird. Ein verständiger Vermieter hätte nicht seine eigene Wohnung vermietet, um dann im gleichen Moment eine gleichartige Wohnung von seinem Mieter anzumieten. Wirtschaftlich sind die wechselseitigen Vermietungen „Korrekturgeschäfte“, um die Kosten der eigenen Wohnung steuerlich geltend machen zu können. Die Gestaltung ist damit „dem wirtschaftlichen Vorgang nicht angemessen“[141]. Sie führen zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil, da die von A als Werbungskosten qualifizierten Kosten ohne diese Gestaltung im außersteuerlichen Bereich anfielen. Eine Begründung, die diese Gestaltung ausnahmsweise sinnhaltig machte, ist nicht ersichtlich. Daher liegt ein Missbrauch iSd § 42 AO vor, A kann die Ausgaben nicht als Werbungskosten abziehen.

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