Читать книгу Letzte Erfahrungen - Hermann Pius Siller - Страница 13
2. Die Rede von der Providenz und im Kontext unserer Zeit Naturgesetze und die Providenz
ОглавлениеDie Frage, ob das, was ein Leben im 19. Jahrhundert umgetrieben hat, im 21. Jahrhundert noch jemanden tangiert, ist bis jetzt offen geblieben. Sie soll nun explizit gestellt werden: Hat die Rede von der Providenz heute irgendeine Chance, verstanden zu werden? In welchem Kontext hat sie eine solche Chance? Und was bringt sie in diesen Kontext ein? Ich nehme an, dass die wesentlichen Fragen, die damals Newman umgetrieben haben, uns immer noch nicht losgelassen haben, sondern sich auch heute noch stellen.
Der Widerspruch zwischen den ausnahmslos gültigen, unverletzlichen Naturgesetzen und den biblischen und kirchlichen Wundern war eines der Argumente, mit denen die neuzeitliche Religionskritik der französischen und englischen Aufklärung und dann in der deutschen Aufklärung mit Reimarus angetreten ist. Dahinter stand von den Erfahrungen der Naturkatastrophen herkommend das Interesse, die Natur beherrschbar zu machen. Newman sieht wohl, dass für die Naturwissenschaften mit der Möglichkeit von Gottes Interventionen, mit seinen Wundern, die Zuverlässigkeit der Naturgesetze aufgehoben zu sein scheint (Mir 4). Ist also die ausnahmslose Geltung der Naturgesetze mit der Providenz zu vereinbaren? Drei typisch analytische Argumente trägt Newman vor. Erstens: Die Ausnahmslosigkeit der Naturgesetze ist eine apriorische Präsumption, die erst noch einer empirischen Verifizierung bedarf. Zweitens: Eine solche Präsumption unterwirft die Natur der Herrschaft menschlicher Vernunft. Deshalb muss einem solchen Gebrauch der Vernunft der Totalitätsanspruch entzogen werden (PhNb 139–149). Drittens: Was in der Sicht der naturwissenschaftlichen Systeme unverträglich erscheint, braucht in einer anderen Sicht, etwa in der Sicht des alltäglichen praktischen Lebens oder der göttlichen Gnadenordnung nicht so unverträglich erscheinen (Mir 4). Das heißt: Die Naturgesetze und die Interventionen Gottes, also seine Vorsehung, brauchen sich so gesehen nicht auszuschließen (Z 82). Sie gehören verschiedenen Aspekten an. Von aktueller Bedeutung scheint mir besonders Newmans Kritik des Totalitätsanspruchs der verfügenden, also „technischen“ oder „instrumentellen“ Vernunft zu sein. Auf sie darf die Wirklichkeit nicht reduziert werden.