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EINE NEUE HEIMAT

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Die Christophorusschule in Berchtesgaden ist eine Eliteschule des Sports. Da ist alles komplett aufs Skifahren ausgerichtet. In meiner Klasse waren vier Mädels, die in derselben Mannschaft gefahren sind. Wenn wir unter der Woche Gletschertraining in Österreich hatten, haben wir einen Lehrer mitbekommen, der uns vor Ort nach dem Training unterrichtet hat. Das war auch extrem wichtig, denn jetzt in der 10. Klasse sollte für uns im kommenden Sommer die Mittlere Reife anstehen. Ein ganz schön schweres Paket war das, das viele Training und den Schulstoff für das Abschlussjahr miteinander zu verbinden.

Der Wechsel nach Berchtesgaden hatte allerdings noch mehr Nebenwirkungen. Für meinen Papa bedeutete er viel mehr Aufwand als bis dahin. Die Fahrten, um mich übers Wochenende oder in den Ferien zu holen oder zu bringen, wurden nun deutlich länger. Statt 40 Minuten nach Garmisch war er nun bis zu zwei Stunden nach Berchtesgaden unterwegs. Aber das war nie ein Thema. Meine Eltern haben mich immer unterstützt und auch angetrieben, soweit es ihre Zeit erlaubte.

Als ich in Garmisch Heimweh hatte und zurück nach Hause wollte, hat der Papa klar gesagt: »Nein, das haben wir jetzt angefangen, ich zahle das und du ziehst das Jahr durch. Das machen wir nicht, dass wir wieder alles über den Haufen schmeißen, gerade so, wie die Prinzessin das möchte.« Und dann war das ausgeredet. Für solche Ansagen bin ich meinen Eltern heute sehr dankbar, auch wenn ich das damals nicht immer verstehen wollte. Es war gar nicht so schlecht, nicht alles zu bekommen, was man sich da in manchen Momenten einbildete.

Damit mein Papa sich nicht immer freischaufeln musste, haben wir dann schon immer geschaut, dass ich irgendwo mitfahren kann. Manchmal bin ich übers Wochenende auch einfach im Internat geblieben. Da waren viele Trainer, die in Berchtesgaden gewohnt haben. Selbst wenn keine anderen Schülerinnen und Schüler übers Wochenende da waren, hatte ich immer Menschen, die ich ansprechen konnte, und war nie ganz allein. Einer, der sich damals besonders um mich gekümmert hat, war Wolfgang Graßl, der von allen nur »Wofal« genannt wurde. Der war mir schon aufgefallen, noch bevor ich überhaupt in Berchtesgaden angefangen hatte.

Kurz vor meinem Wechsel auf die Christophorusschule hatten wir dort im Sommer 1991 einen Konditionslehrgang gehabt. Ungefähr zu der Zeit hat der Wofal an der Schule als Trainer begonnen, weil er seine eigene Karriere als Rennläufer aus Verletzungsgründen schon mit 21 hatte beenden müssen. Das war für ihn tragisch gewesen, denn der war super talentiert und hatte sogar die Silbermedaille bei den Juniorenweltmeisterschaften gewonnen.

Als ich damals zum Lehrgang in Berchtesgaden war, lagen da überall Ausgaben der DSV-Zeitung herum, in der groß über seinen Sieg berichtet worden war. Da waren auch ein paar Bilder drin, die mir gleich gefielen. Das war ein richtig fesches Mannsbild, wie wir in Bayern sagen. Als ich kurz darauf das erste Mal vor ihm stand, war ich mir sofort sicher: »Hilde, den heiratest du mal.«

Der Wofal war in Berchtesgaden dann tatsächlich ganz wichtig für mich. Der hat uns jeden Nachmittag um 4 Uhr an der Schule abgeholt und ist mit uns zwei Stunden zum Konditionstraining in die Halle gegangen. Danach hat er uns wieder zurückgebracht und war immer für unsere Gruppe da.

Als die Schule in den Faschingsferien mal geschlossen war und ich nicht heimfahren konnte, weil das Auto vom Papa kaputt war, da habe ich bei Wofals Familie übernachten dürfen. Die hatten eine Pension mit Blick hinüber zum alles überragenden Watzmann, und die Mama war von Anfang an wahnsinnig lieb zu mir. Ich habe dann da ein Zimmer gekriegt und bin zwei Nächte bei denen geblieben. Das war so ein bisschen meine Anlauffamilie, in der Zeit, in der ich in Berchtesgaden in der Schule war.

Mit echtem Verliebtsein hatten meine Gefühle da überhaupt nichts zu tun. Das war halt eine Schwärmerei, wie das oft so ist, wenn sich eine Jüngere in einen etwas Älteren verknallt. Erstens war er 21 und ich noch nicht mal 16. Zweitens hatte er damals immer irgendeine Freundin. Drittens hatte ich hie und da auch mal einen Freund und viertens ist der Trainer sowieso tabu. Viel wichtiger war das ganz besondere Vertrauensverhältnis zwischen mir und Wofal, das langsam entstanden ist und das mir für meine sportliche Entwicklung sehr geholfen hat. Für alles andere, da war ich mir ganz sicher, war viel später sowieso noch genug Zeit.

Der Slalom meines Lebens

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