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ZUM GLÜCK GEZWUNGEN

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Profi werden ist ein Prozess. Mir war nach dem Erfolg in Rogla schon klar, dass ich im Sommer noch einen guten Schulabschluss machen muss. Im Skirennsport kann die Karriere von einem Moment auf den anderen vorbei sein. Du kannst Pläne haben, aber dann kommt alles doch ganz anders. Wie heftig das sein kann, sollte ich zum Glück erst viel später lernen.

Die Mittlere Reife 1992 war auch für meine Skikarriere wichtig. Ich hatte nun etwas Greifbares in der Hand, auf das ich hätte bauen können, wenn der Traum vom Profileben platzen sollte. Dementsprechend frei im Kopf bin ich in die Saison 1992/93 gestartet, in der ich nun fest für den Europacup gesetzt war. Das ist eine Serie von Rennen, in der man einen Gesamteuropacup oder aber einzelne Disziplinwertungen gewinnen kann. Mit diesen Wertungen kann man sich dann einen Fixplatz im Weltcup erfahren: Ist man in einer Europacup-gesamtwertung einer Disziplin unter den Top 3, hat man in der folgenden Saison das persönliche Startrecht in jedem Weltcuprennen dieser Disziplin.

Solange ich noch keinen dieser Fixplätze ergattert hatte, war der Plan, dass ich mich über gute Ergebnisse im Europacup für einen der variablen, nationenbezogenen Startplätze im Weltcup empfehle. Diese werden in erster Linie von den Kolleginnen der Weltcupmannschaft belegt. In jenen elitären Kreis der Starterinnen eines Weltcuprennens wollte ich natürlich möglichst bald aufgenommen werden.

Als dieser Tag dann endlich da war, wäre ich allerdings fast nicht angetreten. Meine Trainer mussten mich zu meinem Glück zwingen.

Ich war zu der Zeit total platt und froh, nach Wochen auf Achse wieder mal daheim zu sein. Seit Anfang des Jahres war ich nur unterwegs. Training, Europacuprennen, Training, Rennen. Ich habe diese Auszeiten bei uns auf der Hütte gebraucht. Zu meinem Papa habe ich dann immer gesagt, er soll niemandem verraten, dass ich da bin. Wenn ich da bin, bin ich daheim, und da will ich meine Ruhe. Auf der Hütte war ich geborgen und auch wieder ein Stück weit Kind. Wenn die Mama ihren Kaiserschmarrn gemacht hat, war alles andere ganz weit weg.

Es ist dann auch schon ganz spät abends, als am 14. Januar 1993 das Telefon läutet. Weder der Papa noch die Mama gehen ran, weil die vom Tagesgeschäft komplett am Ende sind und schon tief schlafen. Ich höre das Telefon in meinem Zimmer, aber lasse es einfach weiter klingeln, weil es mir total egal ist. Als es dann aufhört und gleich drauf wieder beginnt, geh ich halt doch ran. Damals gab es weder SMS noch WhatsApp oder E-Mails, sondern nur das Festnetz.

Roland, einer meiner Trainer, fällt sofort ganz aufgeregt mit der Tür ins Haus: »Pack dich zusammen, Hilde, du wirst morgen früh um 7 Uhr abgeholt und fährst in zwei Tagen den Weltcupslalom in Cortina d’Ampezzo.«

»Nein, ich fahre jetzt nicht morgen nach Italien, das mache ich nicht, das ist mir alles zu viel«, wehre ich mich mit Händen und Füßen und klinge wohl ein bisschen wie ein trotziges Kind. »Ich bin so müde, das ist ein Krampf!«

»Ruf den Wolfgang Graßl morgen früh an und besprich dich mit ihm«, so der Vorschlag vom Roland, der weiß, dass der Wofal als mein Heimtrainer besonders gut mit mir kann.

Als ich dann ganz früh am Morgen mit ihm telefoniere, macht er mir klar, was das für eine Chance ist. »Du kriegst einen Weltcupeinsatz. Du bist richtig gut drauf und das ist ein ganz einfacher Hang. Das ist doch Schmarrn, wenn du da nicht fährst«, überredet er mich. Doch weil er mich seit meinem Wechsel nach Berchtesgaden bestens kennt, weiß er auch genau, wie wichtig die Zeit auf der Hütte für mich ist. Schließlich verabreden wir, einfach einen Tag später anzureisen und auf einen Trainingstag zu verzichten, damit ich daheim noch etwas Kraft tanken kann.

Der Papa hat dann wegen mir mal wieder die Arbeit auf der Hütte liegen lassen und mich zwei Stunden lang zum Treffpunkt nach Österreich gekarrt. Eigentlich hatte ich mir wenig ausgerechnet. Meine Startnummer 61 oder 62 machte, wie schon ein Jahr zuvor in Rogla, wenig Hoffnung auf eine ordentliche Platzierung. Doch trotz der umgepflügten Piste fuhr ich auf Anhieb in die ersten 30 und qualifizierte mich damit für den zweiten Lauf. Am Ende landete ich dann sogar auf Platz 23 und kassierte meine ersten Weltcuppunkte. Das war dann doch sehr überraschend und wirklich kein schlechtes Debüt in der Weltcupmannschaft. Dafür hatte sich der ganze Stress auf jeden Fall gelohnt.

Doch aus der großen Pause auf der Tölzer Hütte wurde auch danach erst mal nichts. Von Cortina ging die Tour weiter nach Haus im Ennstal in Österreich. Obwohl da auch ein Slalom auf dem Programm stand, wurde ich dort für die Abfahrt gemeldet. Das war nach wie vor nicht meine große Liebe. Klar war ich im Europacup und bei deutschen Meisterschaften bis dahin schon ein paar Abfahrten gefahren, aber so ein Weltcuprennen ist noch mal was anderes. Die Bedingungen waren dazu sehr schwierig, weil das Wetter wirklich schlecht war.

Trotzdem war es dann extrem lehrreich für mich. Denn bei dieser Weltcupabfahrt durfte ich zum ersten Mal mit den besten Abfahrerinnen der Welt zur Hangbesichtigung gehen. Die hatten so viel mehr Erfahrung als ich, und bei der Abfahrt ist es wegen der hohen Geschwindigkeit enorm wichtig, dass du die richtige Linie findest. Da liegen Sturz oder Sieg, Medaille oder Karriereende ganz nah beieinander. Da habe ich sehr viel gelernt und für meine weitere Karriere mitgenommen.

Mit meinem 38. Platz in Haus durfte ich am Ende recht zufrieden sein, denn wichtiger als die Platzierung war zu dem Zeitpunkt die Erfahrung. Von der Hütte aufzubrechen, hatte sich also ausgezahlt, auch wenn ich das nie vermutet hätte.

Der Slalom meines Lebens

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