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PROLOG

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Es gibt Momente, die ein Leben in ein Davor und ein Danach teilen. Im Sport ist das meist ein außergewöhnlicher Erfolg. Etwas, auf das du dein ganzes Sportlerleben hingearbeitet hast.

Für mich ist dieser Moment der, der aus der Skirennläuferin Hilde Gerg die Olympiasiegerin Hilde Gerg machte: dieser eine Augenblick am 19. Februar 1998.

Die Sonne scheint aus einem tiefblauen Himmel auf den riesigen Zielraum des olympischen Slalomhangs im japanischen Nagano. Zigtausend Zuschauerinnen und Zuschauer machen einen Höllenlärm. Es ist ungewöhnlich warm und der Schnee deshalb sehr schwer und tief. Ich bin einen letzten Schritt von der Vollendung meines sportlichen Traums entfernt. Einer Sache, die ich mir zehn Jahre zuvor selbst versprochen hatte. Damals, als ich im Februar 1988 als zwölfjährige Nachwuchsrennläuferin vor dem Fernseher gesessen und zugesehen habe, wie die deutsche Abfahrerin Marina Kiehl die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen im kanadischen Calgary gewann. Als sie kurz darauf ihr Karriereende verkündete, beindruckte mich das sehr. Gold gewinnen und aufhören. Genauso wollte ich das eines Tages auch machen. In diesem Moment damals, vor dem Fernseher, war ich mir absolut sicher gewesen, dass ich das auch schaffen werde. Zumindest das mit der Goldmedaille.

Eine Bronzemedaille habe ich an diesem 19. Februar 1998 bereits: Zwei Tage zuvor bin ich, hinter meinen Teamkameradinnen Katja Seizinger und Martina Ertl, Dritte in der Kombination geworden. Doch Olympiagold ist noch mal eine andere Dimension.

Nach dem ersten Durchgang im Slalom bin ich nun Zweite. So wie 1994 in Lillehammer. Damals hatte es am Ende nicht zu einer Medaille gereicht – aber das ist eine andere Geschichte.

Jetzt hier in Nagano ist die führende Italienerin Deborah Compagnoni mit mehr als einer halben Sekunde Vorsprung relativ weit weg. Außerdem ist sie die amtierende Slalomweltmeisterin und die beste Technikerin zu dieser Zeit. Die hinter mir platzierte Australierin Zali Steggall ist nach dem ersten Lauf nur einen Wimpernschlag entfernt und fährt im zweiten Durchgang erwartungsgemäß in Führung.

Mein zweiter Lauf ist ein Drahtseilakt. In so einer Situation riskierst du als Athletin alles. Du willst, dass im Ziel die Eins oder mindestens die Zwei aufleuchtet, denn dann hast du eine Medaille sicher.

Im ersten Teil läuft es perfekt und ich baue meinen Vorsprung schnell aus. Doch dann rutsche ich bei einem Rechtsschwung leicht weg und verliere für einen kurzen Moment die Linie. Das kostet Zeit, aber immerhin bleibe ich im Rennen. Jetzt hilft in den letzten 20 Toren nur noch volle Attacke: raus oder rauf aufs Podest. Ich erwische die letzten Tore perfekt und schmeiße mich förmlich ins Ziel.

Auf der gewaltigen Anzeigetafel leuchtet es hinter meinem Namen groß und deutlich: 1!

Ich bin Erste.

Silber ist mir nun absolut sicher! In meinem Kopf explodiert ein Feuerwerk, während ich ausgelaugt in den Schnee falle und um Luft ringe. Silber bei Olympia, das ist der Oberhammer.

Bis ich meine Ski ausgezogen habe, ist Deborah Compagnoni schon unterwegs. Irgendwie ist das total an mir vorbeigegangen. Ich bin einfach nur happy und mit mir selbst beschäftigt. Als ich dann endlich wieder stehe und hochschaue, ist die Zwischenzeit schon durch, doch ich verstehe überhaupt noch nicht, was gerade passiert.

»Du musst hinschauen!«, ruft mir die drittplatzierte Martina Ertl zu, die selbst gerade um ihre Bronzemedaille bangt. »Die Compagnoni ist nur noch 35 Hundertstel vor dir, die hat schon fast die Hälfte ihres Vorsprungs verloren!«

Im ersten Moment denke ich: 35 Hundertstel – ja – mir ist das jetzt wurscht, ich habe ja eine Medaille. Nach Bronze diesmal sogar Silber.

Als ich bewusster hinschaue und die letzten 15 Tore genau verfolge, immer mit einem Blick auf meine eigene Zeit, realisiere ich, dass die Compagnoni langsam ist. Außerdem weiß ich, dass ich den unteren Teil nach meinem Patzer extrem gut erwischt und bis zur Ziellinie gefightet habe.

Dann bleibt die Uhr stehen: +0,06.

Leck mich am Arsch. Ich glaube, ich spinne. Gold. Ich habe die Goldmedaille!

Meine Knie werden wieder weich. Diesmal vor Schreck.

Jeder umarmt mich. Deborah Compagnoni als Erste, dann Martina. Während das Rennen mit den schlechter Platzierten aus dem ersten Lauf weitergeht, schaue ich immer wieder ungläubig auf die riesige Anzeigetafel.

Da steht es: Hilde Gerg. GER!!! 1. Olympiasiegerin.

Der Slalom meines Lebens

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