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Der Esel geht voran. Wer ich bin.

Das ist jetzt aber wirklich schwer: mich erklären, beschreiben...


Am besten fang ich wohl damit an, dass ich 1962 in Berlin-Gatow geboren bin. Gatow ist ein kleines Dorf, ein Stadtteil von Spandau, in ehemals West-Berlin. Es liegt idyllisch an der Havel, hat kleine Badestrände, Wald und Wiesen. Und, wie das so auf dem Dorf ist, jeder kannte jeden.


Heute würde ich schätzen, dass ich so bis zu meinem sechsten oder siebten Lebensjahr eine recht normale Kindheit hatte. Der Alkoholkonsum meiner Eltern stand noch nicht so weit im Vordergrund, dass sich die „Eingeborenen“ darüber das Maul hätten zerreißen können.


Schon als Kind hatte ich den Eindruck, dass mein Vater sehr viel Zeit in den örtlichen Kneipen verbrachte. Mein Vater hatte mich, solange ich noch nicht in die Schule gehen musste, immer auf seinem LKW dabei, wenn er Kunden belieferte. Er war selbständiger Kohlenhändler, verkaufte Brikett, Koks (Steinkohle) und Heizöl. Bei vielen seiner Kunden gab es für ihn etwas zu trinken und das war selten Brause. Zu seinen Kunden gehörten auch Gastwirtschaften, und um den Irrsinn noch zu komplettieren, war seine Stammkneipe im Erdgeschoss unseres Wohnhauses. Der Grundstein für unseren Familienalkoholismus war somit sehr solide gelegt.


Schon früh wurde ich auf diese Weise an Alkohol herangeführt. Als ca. 7-jähriger durfte ich Eierlikörgläser auslecken und die Bierschaumkronen wegschlürfen.

Nach wenigen Jahren ging das Geschäft meiner Eltern bankrott, weil sie zu gutmütig waren und Brennstoffe auf Pump herausgaben, sodass sie letztlich ihre eigenen Rechnungen nicht mehr zahlen konnten.


Die Folge war: Wir zogen innerhalb des Dorfes um, auf den sogenannten Säuferhof! Dieser wurde in der Tat später so genannt, weil sich dort Menschen sammelten, die ausgiebig dem Trunke huldigten. Menschen, die das Ziel aus den Augen verloren hatten, die aus dem Gleichgewicht waren. Strandgut eben. Es gab wilde Partys, Saufgelage, Brände, Tote, Schlägereien. Erstaunlicherweise lebten auch ein paar Nichttrinker auf dem Säuferhof. Die waren aber in der Minderheit.


Ab meinem 10. Lebensjahr nahmen die Probleme zu. Der Alkoholkonsum meiner Eltern wirkte sich auf meine schulischen „Leistungen“ aus. Zudem kam es zu sehr unschönen Szenen mit Lehrern und Außenstehenden, die mich - vor Scham - am liebsten hätten im Boden versinken lassen.


Ich schämte mich für den Alkoholkonsum meiner Eltern, für unsere dreckige Wohnung, für die peinlichen öffentlichen Entgleisungen meiner Mutter, wenn sie alkoholisiert war. War sie betrunken, war meine Mutter laut, aggressiv, verletzend, schmutzig, übel riechend, weil die Kleidung und sie selbst schmutzig waren, manchmal war sie auch distanz- und schamlos. Die Menschen vermieden wenn irgendwie möglich den Kontakt mit ihr, wenn sie betrunken war. Sie konnte mit ihren „Auftritten“ gesellige Runden innerhalb von Sekunden sprengen.


Eine besondere Begebenheit trug sich einmal in der Grundschule zu: Nachdem ich ein Diktat wie üblich verkackt hatte, musste ich das Diktatheft zu Hause unterschreiben lassen. Das war kein großes Drama, denn im Grunde interessierte sich niemand für meine Zensuren, es setzte sich auch kaum jemand zum Lernen mit mir hin. Meine Mutter unterschrieb das Diktat im Suff, korrigierte aber den Deutschlehrer und schmierte noch einen Spruch ins Diktatheft. Ich weiß noch, dass es um die Schreibweise des Wortes „Traktor“ ging. Das führte dazu, dass der Lehrer mich vor der versammelten Klasse aufstehen ließ, um dann quer durch den Raum zu brüllen: „Deine Mutter ist wohl eine Säuferin!“ Das war nicht der einzige Satz, aber dieser brannte sich in mein Gedächtnis. Effektiver kann man einen 10-jährigen Jungen nicht erniedrigen. Und das wegen eines einzigen unwichtigen Wortes…


Solche und ähnliche Episoden erlebte ich im Lauf der Jahre sehr oft. Diese alkoholbedingten Aussetzer meiner Mutter führten dazu, dass ich so gut wie nie neue Freunde oder gar ein Mädchen heimbrachte. Meine Geschwister hatten solche Traumata übrigens nicht zu verkraften, weil ich das Nesthäkchen, der Nachzügler war. Sie waren zu der Zeit schon ausgezogen.


Ziemlich sicher bin ich mir darin, dass diese beschämenden Vorfälle bis heute dafür sorgen, dass ich mit Kritik nicht umgehen kann. Erst recht nicht, wenn ich denke, dass es ungerechtfertigte Kritik ist. Sofort empfinde ich die früheren Demütigungen. Demütigungen für etwas, was ein Kind von 10 Jahren mit Sicherheit nicht zu verantworten hat.


Aber es ging weiter. Als ich an der Oberschule war und es kam zu den ersten „Partys“ mit Billigwein, war ich der Erste, der sich von Anfang an randvoll laufen ließ, obwohl ich Wein widerlich fand. Das ist bis heute so. Von Beginn an hatte ich das Bestreben mich zuzuschütten, sodass ich schon mit 14 oder 15 Jahren das erste Mal volltrunken heimkam.


Das elterliche Umfeld und das fehlende Einschreiten von Verwandten, Bekannten, Nachbarn oder Lehrern bedingten immer schlechter werdende Leistungen in der Schule. Nicht, dass ich jemals eine Leuchte gewesen wäre, aber es pendelte sich nach und nach ein Notenschnitt von 4 oder schlechter ein. Nicht mal Hauptschulniveau.


Für mich war die Schule nichts weiter als ein Ort, wo man hin musste, allerdings mit dem Vorteil, dass man dort auch Spaß haben konnte, vorwiegend nach Schulschluss mit ausufernden Saufgelagen. Und ich war immer ganz vorne dabei.


Die Oberschuljahre vergingen, zeitweise spielte ich noch in einer Band, dann war ich kurz im Fußballverein, mal im Judoverein, aber nichts hatte Bestand. Zwar war ich immer sehr schnell Feuer und Flamme für neue Geschichten, brachte es in kurzer Zeit sogar zu recht ansehnlichen Leistungen, aber durchhalten konnte ich nichts. Das wurde mir dann auch von einigen, für mich wichtigen Menschen, immer wieder aufs Brot geschmiert: „Nichts hältst Du durch, Versager!“


So ging es weiter bei Ausbildungsplätzen, Arbeitsstellen und sonstigen Aktivitäten. Später kam noch Fahren ohne Führerschein und Fahren unter Alkoholeinfluss dazu. Meine Freundin warf mich aus der gemeinsamen Wohnung. Ich wanderte sogar kurzzeitig in den Knast. Ich ließ also nichts aus, um meiner Rolle als schwarzes Schaf gerecht zu werden. So lieferte ich, was erwartet wurde.

Irgendwann war es dann soweit, dass ich nur noch von Gelegenheitsjobs lebte. Dieses Geld jedoch verballerte ich für Alkohol. Noch hatte ich meine Eltern. Sie hielten mich mit Essen und Unterkunft über Wasser.


Ich lebte also in den Tag hinein und nächtens zog ich mit Kumpels um die Häuser, vorausgesetzt einer von uns hatte Kohle, die wir für Suff und Spielautomaten einsetzen konnten. Das ging einige Jahre so. Die Geschichten, die sich in dieser Zeit ereigneten, würden schon alleine ein Buch füllen, aber ich denke, davon muss ich hier nicht viel schreiben. Jeder Alki kennt die Partys, den Spaß, die positiven Gefühle, die mit Rausch verbunden sind, genau wie die negativen Erlebnisse.


Als mein Vater 1988 an Krebs verstarb, war ich geschockt. Er war trotz allem meine geliebte Bezugsperson. Nun war er weg. Ein halbes Jahr später kam mein Zusammenbruch. Mit 25 Jahren wanderte ich mit Panikattacken und massivem Alkoholmissbrauch in die Klinik.


Zu dieser Zeit trank ich an drei bis vier Abenden der Woche exzessiv. Zwischen 18 und 24 Flaschen Bier (0,33 Ltr.) überfluteten meinen Körper. Heute ist es für mich unfassbar, wie ich an einem Abend so viel Flüssigkeit in mich rein schütten konnte.


Entgiftung, Entwöhnungstherapie, dann therapeutische WG, ein langer Weg lag vor mir. Es folgten teils harte Jahre: Einzelne Rückfälle, schlimme Panikattacken und zu allem Überfluss verstarb auch meine Mutter recht bald.


Dennoch, es gibt auch außerordentlich Positives zu berichten. Es lohnt sich aufzuhören, egal wann, ob mit 25 oder 65 - nur aufhören, mehr musst Du erst mal nicht tun!


Auf den folgenden Seiten werde ich berichten, was machbar ist. Vielleicht bekommst Du oder Dein Angehöriger sogar noch mehr auf die Reihe als ich. Man kann ja nie wissen…

PhiloSUFFie

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