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Namen als Träger von Kraft und Gegenwart

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Mit ihren Namen bringen die Liebenden auf dem Liebesschloss überschriftengleich und je individuell zum Ausdruck, wer mit seiner Biografie im Herzen des anderen wohnt. Insofern die „Namengebung das Suchen einer Überschrift für Geschichten“ ist81, ließe sich das beschriftete Vorhängeschloss mit einer Doppelüberschrift vergleichen, welche in ihren beiden Hälften durch einen Bindestrich getrennt ist.

Für die Liebenden verknüpfen sich die Namenszüge mit persönlichen Hoffnungen auf eine gute gemeinsame Zukunft, für die Passantinnen und Passanten der Vorhängeschloss-Installationen vor allem mit Fantasien. Wer mag sich verbergen hinter „Niko und Karin“, „Ernst & Mara“, „Karmen und Brigitte“, „Jessica und David“, „Sascha und Dennis“, „Pavel und Alexandra“? Vielleicht lassen sich aus den Aufschriften immerhin noch einige Mutmaßungen zur Trägerin bzw. zum Träger des Namens ableiten: Ein „Boris“ könnte nach dem Vorbild des ehedem tennisspielenden Namenspatrons um die dreißig Jahre alt sein; ein „Horst“ gehörte zur Generation „60 plus“; ein „Anselm“ oder ein „Veith“ käme höchstwahrscheinlich aus Bayern; ausländische Namen ließen sich als vorsichtige Hinweise auf eine fremde Herkunft oder auf innerdeutsches „Multi-Kulti“ lesen; zwei gleichgeschlechtliche Namen riefen in Erinnerung, dass Liebesgeschichten kein Privileg heterosexuell Liebender sind.

Obwohl die Namen an den Liebesschlössern eigentlich kaum Informationen über ihre Träger preisgeben, finden sie erstaunlicherweise dennoch Beachtung – sowohl durch die flüchtigen und gehetzten als auch durch die genauen und ruhigen Blicke der Vorübergehenden, nicht zuletzt auch durch das medienwirksame Echo. Wenn die Namen auf den Schlössern schon kein eigentliches Wissen freigeben, so vermögen sie umso mehr zu inspirieren: Sie sind Ausdruck der Einmaligkeit derer, die sich hier miteinander „verewigt“ haben.

Für diesen menschlichen Grundvorgang des individuellen inneren „Angeregt-Werdens“, der durch das Lesen, das Hören oder die Nennung eines Namens in Gang gesetzt wird, gibt es auch in der christlichen Tradition beeindruckende Beispiele. Bernhard von Clairvaux († 1153), der bekannte Zisterziensermönch und einer der bedeutendsten „Bild-Redner“ des Mittelalters, setzt bei der ihm am Herzen liegenden Person Jesus an, wenn er sich von diesem Namen anregen lässt, um ihn in bildlicher Rede mit Öl, Licht, Speise oder Arznei zu vergleichen. Mit Blick auf den Namen Jesus stellt der Theologe vor allem eine kräftigende Wirkung heraus: „Predigt man den Namen Jesus, so leuchtet er. Betrachtet man ihn, so nährt er. Ruft man ihn an, so salbt und lindert er.“82 In der Folge zündet Bernhard von Clairvaux geradezu ein Metaphern-Feuerwerk, wenn er ins Wort bringt, was der Name Jesus bei ihm auslöst: „Doch nicht bloß Licht ist der Name Jesus; er ist auch Speise. Oder fühlst du nicht jede Erinnerung daran wie eine Stärkung? Was kräftigt die Seele gleich wie ihr Seingedenken? Was erquickt so die müden Sinne, stärkt die Tugenden, fördert die guten Sitten, nährt die keusche Liebe so? Saftlos ist jede Seelenspeise, ist sie nicht in dieses Öl getunkt. Geschmacklos ist sie, wenn sie nicht mit diesem Salz gewürzt ist. Schreibst du etwas, es gefällt mir nicht, wenn ich darin nicht den Namen Jesus lese. Sprichst du als Streitredner oder Berater, es behagt mir nicht, wenn dabei nicht der Name Jesus erklingt. Jesus ist Honig im Munde, im Ohre Musik und Jubel im Herzen.“83

Menschen gravieren ihre Namen auf die Vorhängeschlösser ein, weil sie nicht allein mit ihrem eigenen Namen, sondern auch mit dem ihrer Partnerin oder ihres Partners eine erfüllte und inspirierende Begegnungsgeschichte verbinden. Wahrscheinlich könnten sie den Namen des Partners oder der Partnerin als ebenso „heilsam“ preisen, wie es Bernhard von Clairvaux am Beispiel des Namens Jesus feinsinnig ausführt. Freilich bringen die Liebenden auf den Vorhängeschlössern die Inspirationskraft des Namens nicht direkt zum Ausdruck, sondern fassen sich kurz: Durch die öffentliche Nennung der beiden Namen halten die Liebenden fest, dass sie ihre Lebensgeschichte in einer Liebesgeschichte, inspirierend für sich und andere, aufgipfeln sehen. Wenn umgekehrt Menschen die öffentlich installierten Vorhängeschlösser im Vorübergehen bemerken, können die Empfindungen der Passantinnen und Passanten dadurch auf die eigene Lebens- und Liebesgeschichte gelenkt werden. Oder sie verbleiben gedanklich bei den Liebesschlössern – als wahrgenommene Inspiration, womöglich auch als flüchtige Mahnung oder als beiläufige Erinnerung.

Die Namen auf den Vorhängeschlössern bedeuten nicht allein Anregung oder Eröffnung von Fantasieräumen. Nicht weniger stehen sie auch für die Gegenwart der beiden Liebenden: Immer wenn ich die Namen der Liebenden nenne oder die Namen auf den Liebesschlössern lese, werden die Personen präsent. Dieses Ineinander von Name und Person hat eine lange Tradition: „Die Vorstellung einer bis zur Austauschbarkeit reichenden Zusammengehörigkeit von Person und Namen ist Basis einer magischen Instrumentalisierung des Eigennamens“, wie der Religionshistoriker Burkhard Gladigow herausstellt.84 Tatsächlich knüpft die Namensnennung auf den Liebesschlössern an Gepflogenheiten vor-aufgeklärter Kulturen an. Diese kennen nämlich Weisen menschlicher Gegenwart, die uns heute nicht länger selbstverständlich sind: in Bildern, in Bildwerken oder in Namen. Im Mittelalter bezogen beispielsweise die Heiligenbilder oder Heiligenfiguren ihre Kraft aus der Vorstellung der Menschen, dass der Heilige in seinem Bild oder in seiner Skulptur leibhaftig gegenwärtig ist. Religionsgeschichtlich lässt sich die „Realität des weiterlebenden Heiligen“ geradezu als Kern jeder Bilderverehrung hervorheben.85

Entsprechend erstellte ein mittelalterlicher Künstler ein Heiligenbild so, dass er als Erstes die zur Verfügung stehenden kleinen knöchernen Überreste des Heiligen in ein Holzbrett einlegte. Ikonografisch ergänzt um ein mit Pinsel und Farbe aufgetragenes Bild des Heiligen, zeigt sich dem Blick des Betrachters die tatsächliche Gestalt des „ganzen“ Heiligen. Noch heute arbeiten Ikonenmaler kostbare Heiligenreliquien in wertvolle Ikonen ein.86

Eine besondere Präsenz, die mit Hilfe des Namens zustande kommt, geht seit jeher auf die Tradition der „Nachbenennung“ zurück. In diesem Fall macht die Nennung des Eigennamens nicht allein das betreffende Individuum gegenwärtig. Vielmehr bewirkt die Nennung des Eigennamens wegen der generationenübergreifenden Namensgleichheit (Urgroßvater, Großvater, Vater, Sohn etc.) darüber hinaus die Präsenz der gesamten Großfamilie. Zugleich verbanden die Menschen mit der gehäuften Verwendung eines Vornamens innerhalb einer Familie „das uralte Motiv des Zusammenhangs von Nachbenennung und Wesensübertragung“87: „Gleiche Namen tun gleiches Gutes“, lautet einer der Grundgedanken alteuropäischer Nachbenennung. Von der Wiederverwendung des immer gleichen Eigennamens erhoffte man sich also, dass sich das ethisch Wertvolle der mit diesem Namen schon verbundenen Familientradition auf den neuen Namensträger automatisch übertrug: „Die Übereinstimmung in den Taten hat mit der Übereinstimmung im Wesen dem Ursprung nach zu tun.“88 Erst das Zurücktreten von Gemeinschaftsidentitäten (Familie und Verwandtschaft etc.) zugunsten der individuellen Identität hat in den letzten Jahrzehnten innerhalb der Familien zu einem Ende der Nachbenennung geführt.89 So steht der Eigenname heutzutage nicht länger für eine familiäre Tradition. Wer den Namen auf einem Liebesschloss liest, würde dabei kaum noch an eine im Hintergrund des Liebenden stehende Herkunftsfamilie denken. Doch kann der Name auf einem Liebesschloss vielleicht eine moderne Form der Nachbenennung vergegenwärtigen, die freilich vor allem an die elterliche Verehrung von Musik- oder Sportidolen anknüpft (Rosi, Boris etc.). Auch in dieser Hinsicht bleibt der archaische Gedanke der gegenwartschaffenden Kraft des Namens bis hin zu den Beschriftungen der Liebesschlösser untergründig bedeutsam.

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