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2. Aktuelle Trends: Individualität, Ganzheitlichkeit, Institutionenferne

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Der Religionssoziologe Gert Pickel weist darauf hin, wie wichtig die „Behandlung religiöser Gegenwartsereignisse in der Öffentlichkeit“ ist.7 Diese Anregung greift das vorliegende Buch auf. Die hier untersuchten Erscheinungsformen des religiösen Lebens zeigen, dass gesellschaftlich relevante Trends und Vorlieben auch den Lebensbereich der populären Religion beeinflussen.

Erstens – die Zunahme der Individualisierung: Erst seit den 1960er Jahren bezeichnet die Privatisierung im Bereich der Religion die Tendenz, dass sich Religion mit ihren Themen immer mehr auf die Wünsche und Bedürfnisse des Individuums bezieht. Mit dieser neuartigen Entwicklung sind zwei Tendenzen verbunden: Zum einen verlagern sich die traditionellen Themen des religiösen Kosmos – Himmel, Hölle, Fegefeuer – auf die Anliegen und Fragen des privaten Lebens: das persönliche Glück, die individuelle Erfüllung, die subjektive Erfahrung, der gesunde Körper. Zum anderen unterliegt die Religion damit zunehmend der Tendenz, dass sie ihre soziale Gestalt verliert und zu einem individualistischen Kult wird. Also geht mit der strukturellen Individualisierung eine Auskoppelung des einzelnen Menschen aus den traditionellen sozialen Verbänden einher.

Zweitens – das Streben nach Ganzheitlichkeit: Je mehr das moderne Leben in immer kleinere Funktionseinheiten zerfällt, umso mehr regt sich ein Bedürfnis nach Ganzheitlichkeit. Wer aus finanziellen Gründen gleichzeitig mehrere Jobs erledigen muss, wer sich von einer Praktikumsstelle zur nächsten hangelt oder sein Berufsleben mit aufeinander folgenden Zeitverträgen bestreitet, hat ein hohes Bedürfnis nach allem, was einen übergreifenden Lebenszusammenhang erleichtert. Diese Menschen sehnen sich danach, ihr modernes Leben in ein verbindendes Ganzes einzubetten. Die Eröffnung eines solch konzentrierenden Horizonts, in den religiöse Lebens- und Deutungsmuster integriert sein können, erleben viele Menschen als hilfreich. Mit einer derart übergeordneten Perspektive halten sie die Einzelsegmente ihrer Alltagsbiografie zusammen und ordnen sich in einen größeren sozialen, ökologischen oder religiösen Zusammenhang ein.

Drittens – die Abkehr von den Institutionen: Tatsächlich fällt seit einigen Jahrzehnten auf, dass die Religion ihre Form verändert. Als Folge davon, dass sich die Religion zunehmend in den privaten Bereich verlagert, treten die Kirchen in Deutschland vermehrt als Anbieter von Dienstleistungen auf. Während den Kirchen und ihren Repräsentanten also die Möglichkeit verloren geht, auf die Werte, Einstellungen und Lebensformen ihrer Mitglieder Einfluss zu nehmen, treten sie umso mehr mit Serviceleistungen öffentlich in Erscheinung: mit Riten für die einschneidenden Situationen des Lebens bis hin zu Beratungs- und Therapieangeboten. Freilich darf auch die angesprochene Angebotspalette nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Menschen die von den Kirchen inserierten Leistungen lieber bei anderen Sinnanbietern abrufen.

Vom Jakobsweg zum Tierfriedhof

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