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Gesetz zum Schutz der Republik 1922
ОглавлениеAnlass des »Republikschutzgesetzes« war die Ermordung von Reichsaußenminister Walther Rathenau. Zu dieser Zeit war eine Minderheitsregierung unter Josef Wirth an der Macht. Unterstützt wurde sie u. a. von der SPD.
Das Republikschutzgesetz ist in mehrerlei Hinsicht etwas Besonderes. Es sollte nicht per Notverordnung, also nicht mithilfe des § 48 der Weimarer Verfassung (ein Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten im Ausnahmezustand) vorübergehend Grundrechte suspendieren, sondern in die Verfassung eingreifen, sie in ihrem Wesensgehalt verändern. Dazu brauchte man in der Weimarer Republik eine Zweidrittel-Mehrheit im Reichstag. Das bedeutet, dass dieses »Gesetz zum Schutz der Republik« substanziell viel eingreifender war, als die zahlreichen Notverordnungen, die nur in ihrer Befristung gelten sollten.
Was ermöglichte dieses Gesetz? § 1 des Republikschutzgesetzes führt aus: »Versammlungen, Aufzüge und Kundgebungen können verboten werden, wenn die Besorgnis begründet ist, daß in ihnen Erörterungen stattfinden, die zur gesetzwidrigen Beseitigung der republikanischen Staatsform oder zu Gewalttaten gegen Mitglieder der im Amte befindlichen oder einer früheren republikanischen Regierung des Reichs oder eines Landes aufreizen, solche Handlungen billigen oder verherrlichen oder republikanische Einrichtungen verächtlich machen. Vereine und Vereinigungen, die Bestrebungen dieser Art verfolgen, können verboten und aufgelöst werden.« 27
Schwammiger und unbestimmter konnten die Formulierungen nicht gewählt werden, um Demonstrationen, Vereine und Organisationen mit Verweis auf § 1 zu verbieten.
Unter § 4 wird strafrechtlich verfolgt, wer zu Gewalttaten gegen Regierungsmitglieder aufruft, diese »verherrlicht oder billigt, oder wer solche Gewalttaten belohnt oder begünstigt«. Mit diesem Paragrafen werden also explizit keine Straftaten verfolgt, sondern Willensbekundungen, wobei der Vorwurf reicht, sie »begünstigt« zu haben.
Es ist sehr aufschlussreich, ein paar Stimmen zu Wort kommen zu lassen, die die Debatte im Reichstag zu diesem Gesetz skizzieren. Das rechte, deutschnationale Lager wollte etwas zur Beruhigung beitragen, denn der Mord an Walther Rathenau hatte tatsächlich Millionen auf die Straße getrieben, die viel mehr forderten als die Bestrafung der Täter. Um zu verhindern, dass die Arbeitermassen die Republik selbst retten bzw. beschützen, musste man Handlungsfähigkeit demonstrieren und die Wut der Menschen kanalisieren. Man müsse »taktisch« vorgehen, so der Reichskanzler Joseph Wirth. Das ist nichts besonders Neues. Umso bemerkenswerter sind die Gründe, die die Linke (SPD/USPD) für ihre Zustimmung anführten.
Im Reichstagsprotokoll wird die Eröffnungsrede des Reichskanzlers Joseph Wirth, Mitglied der Deutschen Zentrumspartei (Vorläufer der CDU), so wiedergegeben:
Der Reichskanzler eröffnet die Sitzung und geht in längeren Ausführungen auf die Wirkungen der Ermordung Rathenaus auf die Arbeitermassen und die daraufhin einzuschlagende Richtung der Politik ein. Ausdrücklich erklärt er, daß er im gegenwärtigen Augenblick keine Möglichkeit sehe, ein Gesetz zu schaffen, das gleichzeitig den Kampf gegen links eröffne. Er warnt, es zu einer Auflösung des Reichstags kommen zu lassen mit der Parole »Mord und Wucher«. Er erwähnt eine Eingabe der Gewerkschaften zu dem Gesetz zum Schutze der Republik. Er weist auf das neuerdings erfolgte gemeinsame Vorgehen der drei Linksparteien hin und erwähnt ferner die Reduzierung des Vertrauens zur Justiz. Er selbst werde die Richtung, die zur Rettung des Reiches notwendig sei, einschlagen. Der unglaublichen Verhetzung der Rechtspresse, insbesondere der »Wulle Blätter«, müsse unbedingt ein Riegel vorgeschoben werden. Scharfes Durchgreifen sei im gegenwärtigen Augenblick unumgänglich notwendig. Die Regierung müsse handeln, wenn sie sich nicht selber aufgeben wolle. Taktisch sei notwendig, für das Gesetz zum Schutze der Republik einschließlich der Linksparteien eine Linie zu finden, die dem verfassungsändernden Gesetze eine Zweidrittel-Mehrheit sichere.28
Später mischt sich Wirth wieder in die Debatte ein:
Reichskanzler (Joseph Wirth) ergreift nochmals das Wort und weist auf die schweren Gefahren hin, die sich ergeben würden, falls das Gesetz etwa auch gegen links gerichtet werde. Ein Gesetz zum Schutze der Verfassung könne die Lage nicht meistern. Außerdem sei es unmöglich, auf Grund des Art. 48 der Reichsverfassung in Deutschland auf die Dauer zu regieren; hierdurch entstehe auch eine zu starke Belastung des Reichspräsidenten gegenüber der öffentlichen Meinung. Teile des Gesetzes seien sowieso gegen alle gerichtet. Er sei der Auffassung, daß die monarchistische Bewegung gerade in Bayern im Wachsen sei. Die Tätigkeit der Monarchisten sei seines Erachtens die folgende: Man wolle durch solche Bluttaten wie die Ermordung Rathenaus die Arbeiterschaft zum Aufruhr reizen, um dann im allgemeinen Wirrwarr die Regierung an sich zu reißen.
Für die SPD begründete Gustaf Adolf Bauer das Gesetz folgendermaßen:
Vizekanzler Bauer: Die Reichsregierung habe bisher immer nur gegen links gekämpft. Der Erfolg sei, daß die kommunistische Bewegung nunmehr im Schwinden sei. Sie könne jedoch jederzeit bei großen Volkserregungen wie den augenblicklichen wieder aufflackern und gewinnen. Die Regierung sei im Kampf gegen links und gegen rechts in einer durchaus verschiedenen Lage. Im Kampf gegen links werde sie von weiten Kreisen und von dem gesamten Staatsapparat unterstützt, die ihr im Kampf gegen rechts nicht ohne weiteres die volle Unterstützung gewährten. Daher müßten der Regierung zum Kampf gegen rechts größere Machtmittel an die Hand gegeben werden. Eine Verordnung genüge keinesfalls. 29
Das Gesetz wurde mit den Stimmen der USPD, SPD, DDP und Zentrum und mehrheitlich von der DVP 30 am 18. Juli 1922 beschlossen.
Es gibt kaum ein besseres Beispiel für politischen Irrsinn: USPD und SPD wollten allen Ernstes die Polizei, die Staatsanwaltschaft und die Richter damit beauftragen, die Republik vor »monarchistischen Bestrebungen« und »Republikfeinden« zu schützen? Es gehörte sehr viel Geschichtsvergessenheit dazu, um auf diese Weise die »monarchistischen Gefahren« bekämpfen zu wollen. Als die SPD 1919 unverdienterweise an die Macht kam und mit Friedrich Ebert den Reichspräsidenten stellte, hätte sie die Forderungen erfüllen können, einen radikalen Bruch mit dem alten monarchistischen, autoritären Beamtenapparat zu vollziehen. Doch die SPD fühlte sich vielmehr denen verpflichtet, die den Ersten Weltkrieg politisch und militärisch zu verantworten hatten. Dieser Beamtenapparat sollte nun, drei Jahre später, die »Republik« im Kampf gegen rechts retten?
Was mit dem Republikschutzgesetz tatsächlich geschaffen wurde, ist etwas ganz Anderes und etwas sehr Vorhersehbares: Genau jene politischen Kreise im Apparat, die man völlig unbehelligt gelassen hatte, nahmen das »Geschenk« gerne entgegen und wendeten es in aller Gründlichkeit an: gegen links, gegen alle, die sie für links hielten. Dies ist ein bedrückendes und eindringliches Beispiel dafür, wie man mit einer »legalen Diktatur« nicht die »illegale Diktatur« verhindert, sondern ihr den Weg dorthin bereitet.
Bleibt noch die Frage zu klären, ob sich dieses Gesetz zumindest auf das Gerichtsverfahren gegen die Attentäter von Walther Rathenau ausgewirkt hat?
Vom 3. bis zum 14. Oktober 1922 wurde vor dem neugebildeten Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik gegen dreizehn Personen verhandelt. Das Verfahren endete mit vergleichsweise harten Urteilen. Diese Urteile täuschen jedoch nicht darüber hinweg, dass man aus den Angeklagten mehr oder weniger Einzeltäter gemacht hatte, mit durchaus ehrbaren Überzeugungen. Obgleich bereits genug Beweise vorlagen, dass die Angeklagten Mitglieder in der »Organisation Consul« waren, die einen bewaffneten Kampf gegen die Weimarer Republik proklamierten, machte man sie zu Opfern antisemitischer Hetzparolen und stellte den Mord als isolierte Tat junger unreifer Fanatiker dar. Die Urteile wurden in deutschnationalen, sogenannten »patriotischen« Kreisen gefeiert: Zwei Jahre später fand doch noch ein Prozess gegen die »Organisation Consul« statt. Von den ursprünglich 40 Verdächtigen blieben nur noch 26 Angeklagte übrig, darunter fehlte der »Consul« selbst, Kapitän Hermann Erhardt: »Der gesamte Ablauf des ganzen Verfahrens war eine Farce und endete schließlich mit sieben Freisprüchen und Haftstrafen von bis zu acht Monaten. Das war also die ›Unerbittlichkeit‹ der Republik! Die rechte Kreuzzeitung schrieb, dass der Staatsgerichtshof der OC bescheinigen musste, nur aus vaterländischen Motiven gehandelt zu haben, was ihr zu höheren Ehre gereichen würde. Das Strafverfahren war eine Niederlage des republikanischen Lagers, das diesen Prozess gefordert hatte. Und die milden Urteile waren Ansporn für das antirepublikanische Lager, den nächsten Staatsstreich besser zu machen. Das ist ihnen 1933 gelungen.« 31