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Infektionsschutzgesetz 2020
Оглавление»Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite«: Am 18. November 2020 ist im Bundestag in Windeseile das, was seit Monaten »außerparlamentarisch« per Erlass beschlossen wurde, in das Gesetz miteingeflossen und damit normalisiert worden. Untersagt werden darf damit alles, was den Privatbereich betrifft: Sport- und Kulturveranstaltungen, Übernachtungen, Alkoholkonsum, Gastronomiebetrieb oder Gottesdienste. Außerdem können Ausgangsbeschränkungen für den öffentlichen wie den privaten Raum angeordnet werden. Für den Fall, dass man etwas vergessen hatte, kann man auf die alte Generalklausel zurückgreifen: § 28 IfSG gilt weiterhin fort und kann also im Zweifel auch für weitere, nicht ausdrücklich aufgezählte Corona-Maßnahmen herhalten.
Im Bundestag stimmte eine Mehrheit aus SPD und CSU/CDU zu. Die FDP, die AfD, die Grünen und die Partei DIE LINKE stimmten dagegen.
Dass dieses Nein der Partei DIE LINKE ganz praktisch auch ein Ja sein kann, ist daran abzulesen, dass die Länderregierungen mit linker Beteiligung im Bundesrat zugestimmt haben.
Für viele Linke ist der Ausnahmezustand in Ordnung. Sie begrüßen ihn. Sie sind Musterschüler bei der Einhaltung der Beschränkungen und halten es für eine Form der »Solidarität«, wenn sie mitmachen. Ein Teil dieser Linken geht in diesem Zusammenhang auf die Straße und macht noch mehr: Er schlägt sich demonstrativ auf die Seite von Regierung und Mainstreammedien und benutzt ein gemeinsames Vokabular: Da ist fast ausschließlich von »Covidioten« oder »Verschwörungstheoretikern« und »Aluhutvertretern« die Rede, wenn sie sich den Querdenker*innen-Demos in den Weg stellen. Und sie unterstellen den Querdenker*innen eine Nähe zum Faschismus. Diese Nähe beweist man in der Regel nicht durch inhaltliche Übereinstimmungen mit faschistischen Ideologien. Meist reicht es diesem Verdacht, wenn man Reichsflaggen und Nazis in den Demonstrationen ausmacht.
Wenn also das Urteil über die Menschen, die den Querdenker*innen-Demos folgen, so glasklar ist, wenn man sie zu halben Nazis macht oder zu solchen, die mit ihnen »Hand in Hand« gehen, dann bleibt doch immer noch die Frage unbeantwortet, ob dieser Teil der Linken nur noch Regierungspolitik betreibt und wenn nein: Warum bringt sie nicht ihre eigene Kritik auf die Straße?
Obgleich zum Beispiel die sich als marxistisch verstehende Tageszeitung junge Welt wenig bis gar nichts für die Querdenk*innen übrig hat, stellt sie mit Blick auf die Demonstrationen vor dem Bundestag am 18. November 2020 gegen die Annahme des »Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite« fest:
Einmal mehr bemerkenswert an der teils äußerst aggressiv vorgetragenen Ablehnung des Gesetzes ist, dass ausgerechnet rechte und faschistische Kritiker des Entwurfs sich zu Verteidigern des Grundgesetzes aufschwingen. Dagegen thematisiert die politische Linke hauptsächlich die Folgen des Kampfes gegen die Pandemie etwa für sozial Benachteiligte und Kulturschaffende und moniert gleichzeitig die Folgen für die Grundrechte. Auf die durchaus vorhandene Möglichkeit, eigene Protestaktionen durchzuführen, um Kritik am bisherigen Vorgehen der Bundesregierung zu üben, verzichteten linke Parteien und Organisationen bislang jedoch vollständig. 51
Denn es geht in der Tat nicht allein darum, eine gerechte Verteilung der Krisenkosten zu fordern – was Teile der Linken tatsächlich auch tun. Während man andere für Idioten hält, fragen sich dieselben Linken aber nicht, warum diese Forderung so lieb wie folgenlos bleiben wird.
»Wir zahlen nicht für eure Krise« war eine gute und beliebte Parole als Antwort auf die Milliarden-Hilfe an Unternehmen, die systemrelevant waren, als diese 2007 ff. vor dem Bankrott standen. Was war das Ergebnis recht großer Demonstrationen? Woran lag es, dass diese Forderung dermaßen von den Ereignissen überfahren wurde?
Ist es – um in diesem Ton zu bleiben – nicht idiotisch, dasselbe noch einmal zu tun, ohne sich zu fragen, warum das Ergebnis jetzt ein anderes sein soll?
Hat die Linke nicht aus diesem Scheitern gelernt, dass es auch in einer Krise, welche auch immer, nicht gerecht zugeht, sondern die Ungerechtigkeiten eskalieren? Wäre nicht die – sehr bescheidene – Erkenntnis von Nutzen, dass es weder 2007 ff. noch 2020 ff. um »uns« geht, dass das Mantra von »Gemeinsam meistern wir die Krise« blanker Hohn ist?
Es kommt einem Offenbarungseid der Linken gleich, wenn man sich für einen begründeten Widerspruch gegen diese Corona-Maßnahmen bei liberalen Journalisten und Staatsrechtlern umschauen muss – obwohl das eigentlich vonseiten der Linken kommen müsste.
Im November 2020 schrieb u. a. Heribert Prantl einen Kommentar für die Süddeutsche Zeitung, in der er die »Verzwergung« und Selbstentmächtigung des Parlaments als »eine untergesetzliche Parallelrechtsordnung« kritisierte. Daran habe auch die am 18. November 2020 verabschiedete dritte Fassung nichts geändert: »Das dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung: verfassungswidrig – wie schon das erste und zweite.«
Und das ist Heribert Prantl hoch anzurechnen: Er nimmt eine Einordnung vor, die eigentlich die mehr oder weniger schweigsame Linke erröten lassen müsste: »Die coronale Verzwergung des Parlaments wird nicht beendet. Es ist makaber: Im Verteidigungsfall, dann also, wenn Deutschland militärisch angegriffen wird, hat das Parlament nach den berüchtigten Notstandsgesetzen mehr Rechte als heute nach den Pandemie-Regeln.« 52
Man muss daran erinnern: Der Kampf gegen die Notstandsgesetze gehört zur Gründungsgeschichte der Linken in Deutschland. Er hat nicht nur die APO auf den Plan gerufen, also die Notwendigkeit einer außerparlamentarischen Opposition, sondern die Linke hat auch die Erinnerung an die faschistische Machtergreifung 1933 hochgehalten, der mit den Ermächtigungsgesetzen ein »legaler« Weg zur Diktatur geebnet wurde.