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Marlene Streeruwitz: Herrschaft ist Patriarchat ist alles und vor allem Angst

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»Don’t tell me.

I tell you.« 75

Das war 1964. Nina Simone sang alle Enttäuschung und Wut über die damalige Rassentrennungspolitik in den USA. Damals. Über die Bürgerrechtsbewegung waren im Fernsehen manchmal Bilder von Aufmärschen zu sehen. Die Kameras waren auf die marschierenden oder angesammelten black people wie Waffen gerichtet. Der Konflikt wurde mit diesen Bildern und den kargen Kommentaren unverständlich gemacht. Die Unzufriedenheit der Demonstrierenden aus einer Elternperspektive berichtet. Aber. Die Eltern hatten damals ausgespielt. Ihre Herrschaft war nicht mehr in den institutionellen Machtverhältnissen gespiegelt. Das hatte mehr mit der Wirtschaftssituation zu tun als mit politischer Freiheit. Aber. Die Angst, alles zu verlieren, wenn dem Vater nicht mehr zugestimmt wurde. Die sich entwickelnde Wirtschaft ließ die Zukunft rosig erscheinen. Die Zukunft machte keine Angst. Ich konnte nach der Matura aus dem Schulgebäude hinausgehen und denken, die Welt stünde mir offen. Ich forderte meine Gleichwertigkeit ein.

»Don’t tell me.

I tell you.«

Diese 2 Sätze im Imperativ. Sie wären das gesamte Programm gegen alle Herrschaft. Und Herrschaft. Nach Max Weber wäre Herrschaft gegenseitige Bezogenheit der Herrschenden und der Beherrschten. Herrschaft fügte sich aus kompliziert verschlungenen Stillhalteabkommen und Fürsorgevereinbarungen und Übernahmeregelungen zwischen diesen beiden Gruppen zusammen. Immer würde den Interessenslagen entlang verhandelt. Aber. Das Erkennen der Interessenslagen wäre dann die Voraussetzung für ausgeglichene Strukturen. Sollte die Voraussetzung sein. Denn. Systemischerweise. Die Eliten sind sich ihrer Interessenslagen voll bewusst. Oder vielleicht ist es die Kenntnis der eigenen Interessenslage, die die Eliten herstellt. Systemischerweise sind die Eliten, also die Herrschenden, an der Verschleierung der Verhältnisse der Beherrschten interessiert. Eine Politik der Affekte wird zu diesem Zweck entwickelt. Die Erklärung der Umstände wird in Glaubensfragen umgemünzt. Die Glaubensfragen sind in Zirkelschlüssen angeordnet, in denen die Beherrschten sich fangen müssen. Herrschaft macht sich ausweglos.

»The name of the tune is Mississippi Goddam

And I mean every word of it.«

Wenn Donald Trump am 28. Februar 2021 bei seiner Rede vor dem CPAC 76 wieder sagt, die Wahl wäre ihm gestohlen worden, dann stellt das genauso einen Zirkelschluss dar. Herrschaft ist zwar immer hergestellt. Aber. Dieser Prozess wird in der Praxis des Herrschens so zum Vergessen gebracht, dass sich die Aufteilung in Herrschende und Beherrschte als natürlicher Zustand präsentiert. Donald Trump bedient sich dafür des Opfermythos der white supremacy. Seine Gefolgschaft bekommt Affektbestätigung. Er bekommt Millionen auf sein Konto. Nina Simone könnte das Lied »Mississippi Goddam« mit derselben Wut und demselben Ekel heute weiter singen. Ihre Angst vor der Lynchjustiz 1964 ist heute nur in die Angst vor der Polizei umgebaut.

»Can’t you see it.

Can’t you feel it.

It’s all in the air.

I can’t stand the pressure much longer.

Somebody say a prayer.«

Die Verfolgten unter den Beherrschten sind eine negative Elite, die ihre Situation sehr genau kennen muss, um das Überleben zu bewerkstelligen. Ein Überleben ist das, das sich für Diskriminierte um ihre Nicht-Aufnahme in die Gesellschaft anordnet. Ganz in der Nachstellung der römischen Familie gibt es eine gesellschaftlich-väterliche Funktion, die Einschluss und Ausschluss reguliert. Die jeweilige Gesellschaft spricht in ihrer Kultur diese Zulassungen oder Ausschließungen aus. Hier. In Österreich. In einem Land, das nach einer demokratischen Verfassung organisiert sein sollte. Hier. In Österreich. Die Kultur als Sprache des Gesellschaftlichen. Die, der Kultur unterliegenden Affekte. Sie sind reaktionär restaurativ. Also patriarchal. Hier. In Österreich. Mittlerweile gibt es keinen Widerstand gegen diese reaktionäre Kultur. Und. Patriarchat beruht auf Angst. Hier. In Österreich. Es sind die basalsten Ängste vor der jeweils eigenen Vernichtung, die der Kultur unterliegen.

»This is a show tune,

But the show hasn’t been written for it, yet.«

Herrschaft ist schon als Bedeutung unverrückbar gefestigt. So gefestigt, dass das Bedeutungsgegenteil von Herrschaft in allen Grammatiken mit »Gesinde, Untertan« angegeben wird. Die Grammatik bleibt so in der Herrschaft. Nun. Es ist ja im Wort Herrschaft schon die ständische Unterscheidung in der Hierarchie der Bezeichnungen männlicher Erscheinungsweisen enthalten. Der Herr. Die Herrschaft als Erweiterung des »Herrn« in Recht und Besitz. Der Herr. Das Wort führt sich auf das althochdeutsche herro zurück und bedeutet älter. Seniorität und Hausvaternschaft wird ausgedrückt. Das Althochdeutsche leitet sich aus der Entsprechung dem lateinischen senior entlang ab. Die althochdeutsche Anrede für die seniore Frau dagegen ist verloren gegangen. Frau. Das leitet sich aus dem Gotischen her und war einmal die hohe Ansprache der Frau. Aber wie schon ausgeführt. Die Praxis von Herrschaft verwischt die Spuren des Gemacht Seins. So ist der Herr übrig geblieben und überlagert die älteren Sprachschichten. Die Dame des 17. Jahrhunderts führt überhaupt weg von einer weiblichen Entsprechung zum Herrn. Der Herrschaft kann keine weibliche Form entgegengestellt werden.

Herrschaft ist als männlich festgelegt. Die Herrin als Ableitung beschreibt dann ganz genau wie die Herrschaftsverhältnisse Geschlechterverhältnisse sind. Wie diese Verhältnisse geworden sind. Wie sie gemacht worden sind. Herrschen ist männlich. Es gibt keine »Damenschaft«. Und. »Frauenschaft«. Das löst Assoziationen faschistischer und nationalsozialistischer Geschlechterorganisation aus. Die explizite Trennung in die heteronormative Geschlechterdichotomie dient dann dazu, überhaupt keinen weiblichen Führungsanspruch aufkommen zu lassen.

»Hound dogs on my trail.

School children sitting in jail.

Black cat cross my path.

I think every day’s gonna be my last.«

Wie genau Herrschaft in die Sprache eingelassen ist, lässt sich an der Verwendung des Verbs »dienen« im vorangegangenen Satz schön nachweisen. Das Verb ist vollkommen selbstverständlich Beschreibung der herrschaftlichen Mechanik. Die beschriebene Unterordnung erscheint uns abstrakt entfernt selbstverständlich. Es wird die Wahrheit gesagt. Die wörtliche Wahrheit. Der kulturelle Lesevorgang entfremdet von dieser Wahrheit, die auf keine Person mehr bezogen werden muß. Ein vages Allgemeines schiebt sich zwischen die lesende Person und das Gelesene. Das »Dienen« wird zu einer akzeptierten Bewegungsform. »You lied …«, singt Nina Simone.

»Lord have mercy on this land of mine.

We all gonna get it in due time.«

Wenn nun Herrschaft kein Geschlechtergegenteil erlaubt. Was wäre das inhaltliche Bedeutungsgegenteil zu Herrschen. Negation reicht nicht. Nicht herrschen. Das drückt nur die Abwesenheit des Vorgangs aus und einen solchen Zustand kennen wir gar nicht. Die Abwesenheit von Herrschen ist uns unvorstellbar. Aber. Das Gegenteil von Herrschen. Wortlos führt diese Suche an den Ursprung des Gesellschaftlichen zurück. In die Familie. Nicht beherrschen, sondern pflegen. Sorgen. Hegen. Verpflegen. Pflicht dem Leben gegenüber. Wachsen und Werden fördern. Lieben und trauern. Die Kinder müssen schließlich erst geboren und versorgt werden, bevor sie beherrscht werden können. Oder herrschen. Selbst in grausamster schwarzer Kadettenpädagogik wie sie in Österreich seit der Aufklärung Tradition ist. Diese Pflege muss erfolgen und das Kind am Leben erhalten bleiben. Vor der Zeit der Herrschaft oder Beherrschtheit muss eine Zeit der Pflege eingeschoben werden. Aber. Auch diese Tatsache ist von all den vielen Herrschaftsformen durch die Zeiten zu Natur erklärt worden, um die Frauen in diese Natur weggesperrt zu halten. Und darin. Patriarchat und Herrschaft üben in Gleichbedeutung der Bezeichnung jene Macht über das Leben selbst aus, die in den Herrschaftsformen organisiert selbst wiederum als natürlich wahrgenommen werden soll. Herrschaft bedeutet die Macht über Leben und Tod.

»I don’t belong here.

I don’t belong there.

I’ve even stopped believing in prayer.«

Das Wort Herrschaft enthält schon das ganze Dilemma. Wenn eine Frau herrschen will, dann muss sie das unter dieser männlichen Bezeichnung tun.

Wie in allen Fragen der geltenden Kanons wird sie alles so erlernen müssen, dass ihre Handlungen die Bedeutung der vorgegebenen Bezeichnung erfüllen. Sie wird alles Männliche nachgelernt haben, um sich in die geltenden Bedeutungen einbringen zu können. Sie wird kanonische Männlichkeit erworben haben, um in der Welt, so wie sie ist, überhaupt sichtbar werden zu können. Die Frau wird in den Fremdsprachen des männlichen Kanons erzogen, keinen Ausdruck für ihre besondere Situation finden können, bevor sie nicht am Ende des Kanonischen angekommen, feststellen muss, dass sie nicht wissen kann, wie sie selbst sprechen wollte. Ja. Dass sie nicht einmal ein solches Wollen in Sprache fassen könnte. Ja. Sie wird feststellen, dass sie in den kanonisch erlaubten Sprachen jene Angst davor mitgelernt hat, diese Sprachen zu verlassen und in einer eigenen Sprache sprechen zu wollen. Die Frau wird die systemische Gefangenschaft des Kanons erlernen müssen. Die Frau wird erkennen müssen, dass die kanonischen Sprachen der Herrschaft ihr Verlassen mit Katatonie rächen. Eine Katatonie ist das, die die Beherrschten im Sprechen der Sprache der Herrschaft erlernt haben und die sie gegen sich selbst ausüben müssen. Mittlerweile. Früher. Die Festungshaft gegen die Revolutionäre, die sich der Sprache der Herrschaft entwinden hatten wollen, ist ja die induzierte Katatonie der Bewegungslosigkeit in der Inhaftierung. Heute. Neoliberalerweise. Es ist jede Person. Es ist jede Frau angewiesen, sich selbst für solche Überschreitungen zu bestrafen. Die Herrschaft ist in die Person eingewandert. Die alten Geschlechterhierarchien sind mitenthalten. Die alten Geschlechterhierarchien werden aus unserer Kultur mitgeliefert. Während die Gesetze demokratisch angeordnet sind, hat sich die Herrschaft in der Kultur erhalten. Weiterhin ist der Kosmos der Pflege im Wort Privatsache zusammengefasst ausgeschlossen. Die Frauen werden gar nicht mehr explizit gemeint. Mittlerweile ist es der Kosmos der Pflege, der von der Herrschaft in Ohnmacht gehalten wird. Ein Vorgang ist das, der die so Beherrschten krank macht und schwächt, während er die Herrschenden mit Bedeutung aufpumpt.

»Yes you lied to me all these years.

You told me to wash and clean my ears.

And talk real fine like a lady.

And you’d stop calling me Sister Sadie.«

Nun gibt es diesen Kosmos der Pflege, in dem das stattfindet, was nicht Herrschaft ist. Das ist der Kosmos, in dem das Leben beginnt. In dem das Leben erhalten wird. Gefördert. Verpflegt. Dieser Kosmos unterliegt als abgeschlossener Bereich insgesamt aber auch in Teilen der Herrschaft. Ein Abhängigkeitsverhältnis wurde begründet. Es ginge dieser Kosmos und seine Einpassung in die Gesellschaft auch anders zu organisieren. Es könnte die Gesellschaft insgesamt in unentfremdeterer Form den Kosmos der Pflege zum Ort des Gesellschaftlichen machen und alle Ungerechtigkeit des Ausschlusses dieses Kosmos aus dem gesellschaftlich Bedeutungsvollen so beenden. Aber. Historisch vererbt liegt ein Abhängigkeitsverhältnis vor und tritt uns als die vielen kulturellen Formen des Gesellschaftlichen entgegen. In keiner Weise ausgeglichen, sind die Grundformen des Natürlichen vollkommen beseitigt und die Körper in die Biopolitiken der verschiedenen kulturellen Formen eingegliedert. Imgrund wird in diesen kulturellen Formen darüber entschieden, wie der jeweilige Kosmos der Pflege in die Politiken eingeordnet wird.

»Oh but this whole country is full of lies.

You’re all gonna die and die like flies.«

Die Abhängigkeit des Kosmos der Pflege von der jeweiligen Herrschaft lässt sich in der Valenz der Angst messen. Angst ist das Medium der Herrschaft. Angst ist das Medium des Herrschens. Die Valenz der Angst beschreibt dann die jeweilige Entfernung der Herrschaft vom Ausgleich in den ursprünglichen Vereinbarungen gesellschaftlicher Zusammenschlüsse. Übernimmt die Herrschaft die Aufgaben, die die Beherrschten in dem Vertrag über die Herrschaft den Herrschenden übertragen haben oder müssen die Herrschenden Angst einsetzen, um ihre Verstöße gegen diese Vereinbarungen durchsetzen zu können.

»I don’t trust you any more.«

Der Kosmos der Pflege. In Österreich wurde 1811 im Bürgerlichen Gesetzbuch dieser Kosmos unter die Herrschaft des einzelnen Mannes gestellt. Das geschah als Gegengeschäft für den Erhalt der Herrschaft von Kirche und Monarchie über den Mann. Dieses Gegengeschäft war schon in Frankreich zur Ruhigstellung des postrevolutionären Bürgers abgeschlossen worden. Der postrevolutionäre Bürger erhielt in der Hausvaterschaft die Herrschaft über Familie und Gesinde. Dafür sollte er im Staat stillhalten und seine Emanzipation vergessen. So wurde jeder verheiratete Mann zum Herrscher und jede verheiratete Frau zur Beherrschten. Und. Selbst der friedlichste und freundlichste Mann. Bis heute bleibt er Kriegsgewinnler aus dieser brutalen Konstellation. Denn. Die Hausvaterschaft mag aus Recht und Repräsentation des Öffentlichen verschwunden sein. Kulturell hat die zweite Frauenbewegung nur zu einer Geschlechterpolitik der Verstellung geführt. Die Hausvaterschaft ist weiterhin die Grundlage männlicher Selbstermächtigung und Berechtigtheit. Die Grundlage eines Privaten. Wenn aber nun Faschismus jener Vorgang ist, bei dem männlich private Ansichten zu politischem Programm aufsteigen, dann ist die Hausvaterschaft in die Politik zurück eingeführt. Donald Trump ist da nur die flamboyantere Erscheinung. Sebastian Kurz schaut nur nicht so unappetitlich aus.

Das Regierungsprogramm der ÖVP/FPÖ Koalition 2017 fasste Frauen ausschließlich als zu Rettende auf, die vor »fremden Männern« geschützt werden müssten. Die Regierung trat so als der beschützende Hausvater auf, der seiner Verpflichtung zum Schutz seines Besitzes nachkommt. Wenn Schutz notwendig ist, dann wird Gefahr vorausgesetzt. Gefahr löst Angst aus. Das Auftreten des Staats als Hausvater braucht diese Gefahr und stellt sie selber her, um Angst auslösen zu können. Die zu Schützenden müssen dazu gebracht werden, an die Gefahr zu glauben und den Schutz davor zu verlangen. Die sorgfältig Geängstigten werden dann dem Schutz unterstellt. Der Schutz ermöglicht dann Sonderregelungen. Dafür müssen Grundrechte ausgesetzt werden. Der Schutz vor der deklarierten Gefahr verlangt die vollkommene Übergabe der Person an die Herrschaft. An den Staat. Dass Frauen nicht gleichberechtigt gesehen werden ist daran zu erkennen, dass es diese Sonderpolitik für Frauen geben muss. Wie in Österreich die Versorgung der Frau und des Kinds für die allererste Zeit aufgrund rechter Politik vom Staat übernommen wird. Der Staat wird so selbst zum Kindsvater. Wir könnten verschiedene historische Erklärungen dafür anwenden. Aber. Dass die demokratischen Grundrechte für keine Person mitgedacht sind, das lässt sich an der Selbstverständlichkeit ablesen, wie die österreichische Regierung in der COVID-19-Krise gegen die Verfassung regiert. Denn. Diese Grundrechte sind nicht kulturell durchgesetzt. Es gibt kein Bewusstsein für die je eigene Berechtigtheit. Das kann historisch abgeleitet werden. In einer Krise führt das zum Rückfall in die transgenerationell vererbte Untertanenschaft.

»You don’t have to live next to me.

Just give me equality.«

Nun. Der Kosmos der Pflege. Da, wo gelebt wird. Machiavelli führt diesen Kosmos unter der Bezeichnung »Bürger« als das, was der Macht zur Disposition steht und wie die Macht in verschiedenen Herrschaftsformen über das gesamte Leben der Bürger ausgeübt werden kann. Machiavelli spricht dann auch schon über mich oder uns als Mitglieder einer Stadtgesellschaft, derer sich der Fürst allerdings damals jederzeit vergewissern musste. Die Ethik der Verstellung, wie Machiavelli sie aufstellt. Diese Ethik ist dann schon der Bericht von der Propaganda, wie sie der Riss zwischen Kirche als spirituelle Herrschaft und der jeweiligen staatlichen Herrschaft in der Moderne ermöglichte. Die Ethik der Verstellung kommt in jeder Einseitigkeit der Politiker zur Anwendung. Die Ethik der Verstellung leugnet den Kosmos der Pflege in der Einseitigkeit der propagierten Gefühle. Machiavelli meinte, die Ethik der Verstellung könne jederzeit angewandt werden, und seit wir nicht mehr die Gefühle irgendeines Fürsten beobachten müssen, um auf die Politik schließen zu können. Seit es eine in Medien ausgedrückte öffentliche Meinung gibt. Die Verstellung ist zur Grundform der Kommunikation zwischen Herrschaft und Beherrschten geworden. Die Lüge ist permanente Grundlage der Kommunikation. Die Verstellung ist dem System notwendig in der vermittelten Selbstdarstellung der Herrscher in der autoritären Demokratie. Deshalb sehen wir den Bundeskanzler immer gleich angezogen mit den immer gleichen Bewegungen immer gleiche vage Zukunftsprognosen bezüglich der Pandemie abgeben. Die Wahrheit wäre ja, dass nichts zur Zukunft gesagt werden kann. Aber. In der zwänglichen Vorstellung, es müsse Führung vorgeführt werden, darf die Herrschaft nicht in die Sprache des Kosmos der Pflege verfallen. Denn. Wie in den USA durch Trump. Es geht darum, nicht in die Nähe der Pandemie zu kommen, die ja zuallererst den Kosmos der Pflege betrifft. Leben und sterben. Lieben und trauern. Die Sprache des Kosmos der Pflege ist empathisch und notwendig vieldeutig. Herrschaft in der Moderne. In der pervertierten Erinnerung an ein liberales gemeinsames Richtiges. In der Dissoziation der Herrschaft von der Sprache des Kosmos der Pflege wird der hausväterlichen Männlichkeit nachgekommen. Hausväterliche Männlichkeit in Führung umgegossen wird als Schutz gegen die Vernichtungsängste eingesetzt. Gegen jene Vernichtungsängste, die schon die Abhängigkeit des Kosmos der Pflege von der Herrschaft hergestellt haben. Herrschaft bleibt das Zirkelargument natürlich gemachten Glaubens davon, was die Wirklichkeit ist.

»Why don’t you see it.

Why don’t you feel it.

I don’t know.

I don’t know.«

Herrschaft ist eine traurige Angelegenheit. Herrschaft ist zwänglich darin, dass sie sich einmal eingeführt, selbst erzwingt und nur besiegt zu Ende gehen kann. Herrschaft bedeutet steten Kampf des eigenen Erhalts. Herrschaft, wie wir sie aus unserer Geschichte der Habsburger Monarchie kennen, führt sich auf römisches Recht zurück, das sich durch die katholische Kirche die Macht als gottgewollt bestätigen lässt. Das ist nur unser Beispiel der Vereinbarung, die die Eliten miteinander schließen, sich die Herrschaft zu teilen.

Machiavelli leitet seine Lehrsätze von der Herrschaft am Beispiel des römischen Reichs her. Aus der Geschichte der Sklaverei wissen wir sehr genau, wie diese Herrschaft beschaffen war. Und. Wie diese Herrschaft sich wiederum in die Christlichkeit einträgt, in der die Sklaverei nie explizit abgeschafft wurde. Die Herrschaftsformen wurden »milder«. So steht es auf Wikipedia. Hörigkeit und Leibeigentum sind dann die sprachliche Anpassung von Sklaverei an die jeweiligen Umstände. Hörigkeit und Leibeigenschaft versetzen die Herrschaft wie die Sklaverei in den Besitz der Körper der Beherrschten. Wie Angst sich in einer solchen Situation anordnet, ist schwierig nachzuvollziehen. Wir können nur aus der Lyrik des Barocks ein wenig darauf schließen, wie sich Personen fühlen, die nicht über den Besitz ihres Körpers verfügen. Aus der Geschichte der Sklaverei erfahren wir, dass es sich bei diesen Herrschaftsbeziehungen um Nachstellungen familialer Beziehungsmuster handelte. Ganz sicher aber können wir annehmen, dass es Gefühle der Ausgeliefertheit geben muss. Das wird sich ähnlich der Auslieferung an die ewige Verdammnis fühlen, mit der die katholische Kirche das kleine Kind immer noch, bzw. in Bewegungen wie dem Loretto-Kreis neuerdings wieder, durch die Erbsünde belastet sieht. Diese spirituelle Herrschaft verbirgt sich ja in den Rettungsangeboten vor der ewigen Verdammnis. Gehorsam erzwingt sich durch erpresserische Versprechungen einer Rettung. Die Angst vor ewigen Höllenqualen blieb in Österreich die angststilbildende Formel. Aller Anspruch auf eine Selbstbestimmung in spirituellen Fragen wurde in der Gegenreformation unterbunden. Die katholische Kirche in Österreich verlangte vollkommene Selbstübergabe an die Anleitung durch den Priester. Das priesterliche Monopol, mit Gott sprechen zu dürfen oder zu können. Daraus leitete sich die Herrschaft über das Leben selbst ab. Mit der Taufe begann diese Herrschaft und blieb bis zum Tod bestehen. Eine Person war über die Herrschaft der katholischen Kirche im Kosmos der Pflege insgesamt und in allen einzelnen Lebensschritten als Objekt der beider Herrschaften definiert. Monarchie und Kirche. Ein eigenes Selbst. In Österreich.

Der Bürger braucht das ganze 19. Jahrhundert, sich in die Nähe einer Subjekt-Konstruktion hinzumühen. In protestantischen Kulturen ist dieser Weg viel früher offen und beschert uns die kulturelle Hegemonie des deutschen Sturm und Drangs, dessen Werke wiederum in den österreichischen Schulen heute als selbstverständlich Eigenes ein kulturelles Deutschtum herstellen. Das deutsche Kaiserreich wird uns als eigene Kultur vorgeführt. Vorspiegelung falscher Tatsachen in aller Selbstverständlichkeit war das. Und. Das könnte Vielfältigkeit bedeuten. Aber. Im Vergessen der österreichischen Geistesgeschichte bleibt die geistige Mühsal des 19. Jahrhunderts unberichtet. Immer wieder wird Österreich als Kulturnation ausgerufen, während es doch bis heute keine klare Sicht auf die weiterhin kulturell wirksame katholische Restauration der Vorstellung von Herrschaft gibt. Die chauvinistische österreichische Alltagskultur bleibt sich so selbst gewiß. Den Kampf gegen Feudalität und Kirchen übernimmt man weiterhin als eigene deutschsprachige Kultur und kann sich so das Männlich-Elitäre nie überwundener Herrschaftsformen im Österreichischen privat erhalten, während öffentlich und rechtlich Demokratie behauptet wird. Zu einer emanzipierten Form österreichischer Männlichkeit ist es nie gekommen. Der Hausvater ist zum freundlicheren Herrscher umgebaut weiterhin absoluter Herrscher geblieben, der über Ein- und Ausschluss in sein Reich entscheidet. Die politische Rechte formuliert das ganz offen. Die politische Mitte bemüht sich noch um christliche Argumentationen einer gottgegebenen Geschlechterdichotomie.

Es sind nur diskretere Formen der Herrschaft des römisch-rechtlichen Hausvaters, die heute die Gleichberechtigung verhindern. Aber immer bleibt es die Angst vor der Vernichtung, die in die vorgeschriebene Anpassung zwingt. Eine Anpassung ist das, die in der Ethik der Verstellung funktioniert. Wenn alle Anforderungen erfüllt werden, so wird da versprochen, dann wird es auch den entsprechenden Erfolg geben. Die alle Anforderungen erfüllende Frau wird die Aufnahme als Gleichberechtigte schaffen, wird da verheißen. Die Aufnahme in Bildung, Beruf und in den Kosmos der Pflege wird versprochen. Mit etwa 43 Jahren muss dann jede Frau feststellen, dass sie belogen worden ist. Aber. Weil der Herrschaft ja immer wieder gelingt, sich als Natürlichkeit zu maskieren. Die Frau wird ihre Nicht-Aufnahme auf sich selbst zurückführen müssen. Sie hat die Lügen nicht rechtzeitig durchschaut. Aber. Wie Machiavelli vorschlägt. Der Sieger muß die Besiegten vor die Stadttore treiben und verstreuen. So können sie nicht mehr gehört werden und Unruhe stiften. Die durch viele politische Maßnahmen sorgfältig geplante Altersarmut von Frauen in Österreich ist genauso ein Vorgang. Wie Armut ja immer dazu führt, unerhört zu werden. Und Armut. Das bedeutet, dass die Angst vor der Vernichtung lebensbeherrschend gemacht wird. Die Formulierungen der Antragsformulare für staatliche Unterstützung benutzen ebenso sorgfältig die Sprache der Herrschaft, die Hilfesuchenden zu demüten und herabzuwürdigen. Der Anspruch auf Hilfe, der sich aus einem demokratischen herleitete. Der bräuchte das demokratische Selbst, das sich der Grundrechte bewusst ist. Einem solchen Anspruch wird in dem Vorgang des Ansuchens um Unterstützung schon sprachlich entgegengearbeitet. Es müssten alle diese Formulare und Vorgänge beim Verfassungsgerichtshof angezeigt werden, die weiter herrschende Vernichtungsangst aus dem öffentlichen Sprechen zu bannen.

»Don’t tell me.

I tell you.«

Unsere Freiheit von Leibeigenschaft hier in Österreich liegt geschichtlich sehr kurz zurück. Erst 1848 wird die Bindung durch Geburt an die geltenden Herrschaftsformen vollständig aufgelöst. Der römisch-rechtliche Hausvater des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist seit 1811 gültig. Geheiratet kann allerdings nur werden, wenn der jeweilige Pfarrer der Heirat zustimmt. Herrschaft dringt auf vielen Ebenen auf die Beherrschten ein. In Österreich muss der katholischen Kirche und ihrer Herrschaft über den Kosmos der Pflege Aufmerksamkeit eingeräumt werden. Die Herrschaft der Habsburger verzahnt sich darin mit der römisch-katholischen Kirche und breitet die Herrschaft über die Leben so insgesamt aus. Mit Josef II. will sich das Staatskirchentum emanzipieren. Die restaurativen Politiken mit Franz II./I. verbinden sich wieder mit dem Papst in Rom. Der österreichische Bürger ist in eine Vielfalt von Herrschaften gespannt, die sich durch die Romantik um die Frage der Nationalismen erweitert. Nun ist der österreichische Bürger durch die Schulpflicht mittels der katholischen Kirche dem Staat einverleibt. Die erkämpfte Freiheit 1848 wird schon 1864 durch die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeschränkt. Nun unterliegt der Körper des Manns direkt der staatlichen Herrschaft. Bis zum allgemeinen Wahlrecht des Manns 1907 werden 41 Jahre vergehen, in denen der Staatsbürger keine legitime Sprache hat, sich zur Herrschaft über sich zu äußern. Wenn gerade wie schon im Jahr 1794 die Universitätsrektoren wieder von der Regierung eingesetzt und nicht aus dem Kreis der Professoren gewählt werden sollen. Wenn die Kinder in den ersten Schulklassen wieder Noten bekommen müssen, damit der Staat weiß, wie er diese Kinder in die Dokumentation ihres Bildungswegs aufnehmen soll. Wenn wir erfahren, dass diese Dokumentation des Bildungswegs durch den Staat 60 Jahre gespeichert werden soll. Wenn wir uns erinnern, dass alle Bürgerinnen und Bürger in den Arbeitszeitdurchrechnungszeitraum gefasst über ihre dem Staat einsehbaren Bankkonten vollkommen durchschaut sind. Wenn wir überlegen, dass die Verfügung über die Körperdaten der Bürgerinnen und Bürger über ELGA 77 vorliegt. Dann ist die Frage, wie die Angst vor der Überwältigung durch den allwissenden Hausvater Staat die Herrschaft dieses Staats beschreibt. Herrschaft stellt sich in der Angst vor ihr dar.

75 Nina Simone, Mississippi Goddam. 1964. Alle folgenden Zitate stammen aus diesem Lied.

76 Conservative Political Action Conference, jährlich stattfindende Konferenz konservativer AktivistInnen in den USA.

77 Elektronische Gesundheitsakte, in der in Österreich PatientInnendaten gespeichert werden können.

Herrschaft der Angst

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