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4. Perspektiven von Emanzipation und Demokratisierung?

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Dieser affekttheoretische Zugang zum pandemischen Regieren soll deutlich machen, dass gesundheitspolitische Überlegungen und Initiativen alleine keinen nachhaltigen Weg aus der COVID-Krise – die ja Teil multipler Krisen ist – weisen können. Die Evidenzbasierung dieser Gesundheitsmaßnahmen wird zum Fetisch, wenn nicht die Evidenz einer neoliberalen Autoritarisierung und Ent-Demokratisierung der vergangenen Jahre in die Pandemiediskussionen einbezogen und die Notwendigkeit eines Umbaus kapitalistisch-patriarchalen Produzierens, Arbeitens und Lebens sowie einer umfassenden Demokratisierung im Sinne von Selbstbestimmung angestrebt wird.

Gibt es einen affektiven Ausweg aus dieser Regierungsform? Michael Hardt und Antonio Negri 73 sehen in der steigenden Bedeutung von Affekten die Chance einer »Biopolitik von unten«, also der Herausbildung neuer Solidaritäten und gemeinsamer widerständischer Praxen gegen den Kapitalismus bzw. das »Empire«. Dies kann nur gelingen, wenn die Pandemie als multiple Krise erkannt, wenn sie als Krise des Regierens gesehen wird und wenn das affektpolitische Potenzial erkannt und im Kontext einer umfassenden Demokratisierung von Gesellschaft mobilisiert wird. Die Idee der Care-Revolution 74 könnte einen Weg weisen: Ausgehend von einer Revolutionierung des Sorge-Bereichs könnte die Herrschaftsförmigkeit kapitalistischer Vergesellschaftung und des Regierens infrage gestellt werden. Dies würde bedeuten, die Systemrelevanz des Sorgesektors ernst zu nehmen – und die affektive geschlechtsspezifische Ökonomie aufzubrechen.

57 Thomas Brussig: Mehr Diktatur wagen. Einem Ausnahmezustand muss man mit Ausnahme-Regeln beikommen, in: Süddeutsche Zeitung vom 9. Februar 2021

58 https://www.bmkoes.gv.at/Themen/Kampagnen/Schau-auf-dich---schau-auf-mich.html

59 Alex Demirović, Multiple Krise, autoritäre Demokratie und radikaldemokratische Erneuerung, in: Prokla 43/2 (2013), S. 193−215.

60 Siehe Brigitte Aulenbacher, COVID-19 – Warnzeichen oder Weckruf? Über die Sorglosigkeit des Kapitalismus und die »Systemrelevanz« des Sorgens, in: Thomas Schmidinger/Josef Weidenholzer (Hg.): Virenregime, Wie die Coronakrise unsere Welt verändert, Befunde, Analyse, Anregungen, Wien 2020; Brigitte Aulenbacher, Brigitte/Almut Bachinger/Fabienne Décieux, Gelebte Sorglosigkeit? Kapitalismus, Sozialstaatlichkeit und soziale Reproduktion am Beispiel des österreichischen »Migrant-in-a-family-care«-Modells. Kurswechsel 1/2015, 6−14.

61 Achille Mbembe, Necropolitics. Durham 2019

62 Wilhelm Heitmeyer, Autoritäre Versuchungen, Berlin 2018, S. 16 f.

63 Otto Penz/ Birgit Sauer, Affektives Kapital. Die Ökonomisierung der Gefühle im Arbeitsleben, Frankfurt/M./New York 2016

64 Ni una menos (Nicht eine weniger) ist eine in Lateinamerika entstandene, mittlerweile globale Bewegung, die den Kampf gegen Femizide mit einer Umgestaltung patriarchaler und kolonialer Gesellschaften verbindet. Ni una menos Österreich: https://osterreichnum.wordpress.com/

65 Wendy Brown, In the Ruins of Neoliberalism. The Rise of Antidemocratic Politics in the West, New York 2019

66 Ruth Wodak, The Politics of Fear, London 2015

67 Heitmeyer 2018, S. 87

68 Pierre Bourdieu, The Abdication of the State, in: Pierre Bourdieu et al. (Hg.): The Weight of the World: Social Suffering in Contemporary Society, Stanford 2020, S. 181−205

69 Michel Foucault: Die Gouvernementalität, in: Ulrich Bröckling/Susanne Krasmann/Thomas Lemke (Hg.), Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Frankfurt/M. 2000, S. 41–67

70 Michel Foucault, Subjekt und Macht 1982, in: Daniel Defert/Francois Ewald/Jacques Lagrange (Hg.): Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, Bd. IV, Frankfurt/M. 1982, S. 269−294; Nikolas Rose, Governing by Numbers: Figuring out Democracy, in: Accounting, Organizations and Society, 16/7 (1991), S. 673−692.

71 Michel Foucault, Was ist Kritik? Berlin 1990 [1978]

72 Cornelia Klinger, Lebenssorge und geschlechtliche Arbeitsteilungen in sozialphilosophischer und kapitalismuskritischer Perspektive, in: Erna Appelt/Brigitte Aulenbacher/Angelika Wetterer (Hg.): Gesellschaft. Feministische Krisendiagnosen. Münster 2013, S. 82−104

73 Michael Hardt/Antonio Negri: Empire. Die neue Weltordnung, Frankfurt/M./New York 2002

74 Gabriele Winker, Care Revolution: Schritte in eine solidarische Gesellschaft, Bielefeld 2015

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