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3. Affektives Regieren der COVID-Pandemie
ОглавлениеIn diese affektive Situation, in Österreich beispielhaft vorfindbar, brach gleichsam die COVID-Pandemie ein. Neoliberales affektives Regieren und die rechtspopulistische Verschärfung bilden daher die Basis für Herrschaft in der COVID-Pandemie, für die Beherrschung der Pandemie – oder besser: für das Pandemie-Management. Dies ist nicht als abstrakter Mechanismus zu verstehen, sondern Staatlichkeit und Regieren sind ein Ergebnis der Auseinandersetzung bzw. ein Kompromiss zwischen sozialen Kräften. In der Pandemie konnten sich jene neoliberalen Kräfte – auch in Österreich – durchsetzen, die vor allem die autoritäre Dimension stark machen. Dazu gehören nicht nur die FPÖ, sondern auch Kräfte innerhalb der ÖVP, die sich seit Langem für z. B. Grenzschließungen und eine »Message«-kontrollierte Öffentlichkeit einsetzen. Die klassisch marktliberalen Kräfte haben das Nachsehen.
Zwei Aspekte des Regierens sind daher bemerkenswert: Zum einen die Abkehr von einer neoliberal-minimierten Rolle des Staates und die »Rückkehr« zu einem Interventionsstaat, der drastisch in Marktverhältnisse eingreift, und – wenn auch nur minimalistisch – umverteilt, der also seine neoliberal verkümmerte »linke Hand« 68 wieder aktiviert, der aber vor allem seine neoliberal-autoritäre Seite, seine »rechte Hand« der Kontrolle, Disziplinierung und Versicherheitlichung massiv zur Pandemie-Bekämpfung einsetzt.
Zum Zweiten braucht staatliches Regieren (nicht nur) in Pandemiezeiten die Mitarbeit der Bürger_innen, in den Worten Foucaults,69 deren Selbstregierung, Selbstkontrolle und Selbstdisziplinierung. Das Regieren über Gefühle, in der neoliberalen Ära eingeübt und somatisiert, ist der Ankerpunkt dieser anti-pandemischen Steuerung. Auf diese zweite Dimension will ich im Folgenden eingehen, sind damit doch Einschränkungen von Bürger_innen-, von Freiheits- und Gleichheitsrechten verbunden. Die Maßnahmen nicht nur der österreichischen Regierung, sondern der meisten europäischen Regierungen zur Bekämpfung der COVID-Pandemie gründen in einem Regieren über Zahlen.70 Die ritualisierte tägliche Veröffentlichung der Neu-Infizierten, der Hospitalisierten und der mit COVID Verstorbenen und die (wenn auch wechselnde) Markierung der Inzidenzzahl provozieren Angst vor Ansteckung und sind gleichsam Appelle an die Disziplinierung der Subjekte. Die Zahlen sollen vor Augen führen, dass eine Dringlichkeit der Selbstkontrolle existiert. Denn nur dieses Selbstregieren könne die Ausbreitung des Virus zum Wohle der Allgemeinheit wirksam bekämpfen. Dieses Regieren mit Zahlen verweist auch auf den hegemonialen medizinwissenschaftlichen Diskurs, der die affektive Herrschaft legitimiert und daher medizinische Gegenstimmen marginalisiert. Auch die sozial ungleiche Dimension von Ansteckung und Erkrankung bleibt im Diskursschatten. Weder Gesundheitsministerien, noch Gesundheitsämter haben im Laufe des Jahres 2020 Wissen darüber generiert, wie das Virus und die Erkrankung sozial schwächer gestellte Menschen stärker treffen.
Das zentrale Steuerungsinstrument ist Distanzierung – im Sinne einer Vermeidung von Kontakten mit anderen Menschen. Das gegenseitige Sorgen soll also – paradoxerweise – im Akt der Distanzierung, des Fernhaltens und Fernbleibens von anderen Menschen, durch Maskentragen und Gesichtsverhüllung realisiert werden. Doch auch die eingeschränkte Nutzung des öffentlichen Raums wie auch der ungleiche Zugang zu staatlichen Ressourcen wie Bildung sind Teil dieser Regierungsweise. Die Responsibilisierung der Menschen, also Anrufungen, dass jede_r selbst für die Überwindung der COVID-Krise verantwortlich sei, ist verbunden mit Schuldzuweisungen an diejenigen, die sich vermeintlich nicht an die Regeln halten, aber auch an ganze Gruppen von Menschen, wie Jugendliche oder Migrant_innen, die als besondere Gefährder_innen gebrandmarkt werden. Eine Wertschätzung von Sorgearbeit ist allerdings öffentlich nicht erfolgt – außer in symbolischen Gesten des anerkennenden Klatschens für Sorgearbeiter_innen.
Die Einschränkung von Bürger_innenrechten funktioniert nur durch die Selbstdisziplin der Bürger_innen. Das neoliberal vorbereitete affektive Feld des Regierens ermöglicht freilich zum einen diese Selbst-Disziplinierung auf der Basis von Emotionen und Affekten der Ausgrenzung und des Ausschließens – z. B. der Angst vor Ansteckung oder der Wut auf Gefährder_innen – wie auch der Mobilisierung traditioneller und geschlechtstypisierender Emotionen der Sorge, Zuneigung, Intimität und Liebe im heterosexuellen Partnerschaftsverband. Die Verhinderung von Affizierung – von Ansteckung mit dem Virus, aber auch von »Berührung« der Menschen im weiteren und engeren Sinne – legitimiert nämlich zugleich ganz bestimmte Formen des Zusammenlebens – nämlich jene im Rahmen der heterosexuellen Paarbeziehung oder Kleinfamilie. Sie legitimiert auch weiterhin die kapitalistische »Sorglosigkeit«, die durch diese Paar- und Familienkonstellationen institutionalisiert und damit aus dem kapitalistischen Verwertungskreislauf vermeintlich ausgeschlossen ist. Kurzum: Die Anti-COVID-Maßnahmen führen die geschlechtsspezifische – und emotionale – Arbeitsteilung zulasten von Sorgearbeiter_innen fort.
Populistische Anti-Corona-Aktivitäten gegen »die da oben« im Rahmen der »Querdenker«-Initiativen kritisieren diese Form der COVID-Governance als sei sie eine Neuerfindung im Kontext der Pandemie. Dies ist eine Form des selbst ernannten »Widerstands«, dem sich österreichische Rechtspopulisten rasch anschlossen. Im Kern geht es diesem populistischen Anti-Elitismus freilich nicht um die »Befreiung vom Regieren«, also von jeglichem herrschaftlichen Regieren, wie dies Foucault 71 als emanzipatorische Perspektive in Aussicht stellte. Die Querdenker_innen thematisieren nicht den kapitalistischen »Systemfehler« der Nicht-Sorge 72 und wollen ihn (vermutlich) auch nicht beheben, ebenso wenig wie ihnen die Verschärfung sozialer Ungleichheit und Armut durch die Anti-Corona-Maßnahmen ein Anliegen sind. Der Ruf nach »Freiheit« erscheint da als Fortführung des neoliberalen Egoismus oder Laissez-faire.