Читать книгу Herrschaft der Angst - Imad Mustafa - Страница 17
Kanzler-Diktatur/Krisenstab/Deutscher Herbst 1977
ОглавлениеAnlass für weitreichende Einschränkungen der Grundrechte im Herbst 1977 waren die Anschläge der RAF (Rote Armee Fraktion), die mit ihrem bewaffneten Kampf auch auf führende Köpfe in Regierung und Wirtschaft zielte. Die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und seine Ermordung am 18. Oktober 1977, nachdem die Forderungen nicht erfüllt wurden, waren der Anlass für das, was man später als »Deutschen Herbst« bezeichnete.
Unter dem Sozialdemokraten und Bundeskanzler Helmut Schmidt wurde ein Krisenstab eingerichtet, der überparteilich fast alles vereinte: Exekutive, Legislative und Judikative. Nicht ganz unbegründet bekam diese Art der Krisenbewältigung den Namen »Krisenstab-Diktatur«.
Damit wurde das Grundgesetz gebrochen, das man eigentlich zu verteidigen vorgab: »Um Schmidts Handeln abzusichern, schuf die damalige Bundesregierung zwei Exekutivorgane, die von der Verfassung nicht vorgesehen und insofern weder legal noch legitim waren: Den kleinen und den großen Krisenstab, in denen während der Schleyer-Entführung alle Entscheidungen getroffen wurden.« 44
Ziel war es nicht nur, mit allen Mitteln die RAF zu schlagen. Es ging sehr augenscheinlich auch und gerade darum, jede Form der Fundamentalopposition zu schwächen und gezielt zu kriminalisieren.
Die Grenze war klar gezogen: Wer den Kapitalismus besser/gerechter/schöner machen will, ist willkommen. Wer hingegen den Kapitalismus als Gesellschaftssystem grundsätzlich ablehnt, weil jeder hierzulande »gezähmte« Kapitalismus mörderische Bedingungen woanders einschließt, sollte zum Schweigen gebracht werden.
Im Kampf gegen die RAF wären die vorhandenen Gesetze völlig ausreichend gewesen. Mit den neuen Gesetzen und Befugnissen wollte man den »Sympathisantensumpf austrocknen«, die »Helfershelfer«, die »geistigen Brandstifter« mundtot machen, zu denen man zählte, wenn eine »geistige Nähe« zur RAF diagnostiziert wurde. Auf diese Weise gerieten auch Menschen wie der Schriftsteller Heinrich Böll oder der Psychologieprofessor Peter Brückner ins Visier, weil sie sich weder eine Kritik an staatlichen Maßnahmen verbieten lassen wollten, noch eine Debatte über Ziele jenseits des Kapitalismus.
Wie wenig es um die RAF selbst ging, wie sehr jedoch um die Staatsraison, machen die erlassenen Gesetze(sverschärfungen) deutlich: So wurde unter anderem das »Kontaktsperregesetz« verabschiedet, das den rechtlosen Zustand der RAF-Gefangenen legalisieren sollte.
Parallel dazu verhängte man eine Nachrichtensperre, während man mit Rückendeckung der Minister illegale Lauschangriffe, also Überwachungsmaßnahmen, praktizierte, wie zum Beispiel gegen den Atomwissenschaftler Klaus Traube 1977, oder das Abhören von Gesprächen von Anwaltskanzleien.
Bereits ein Jahr zuvor wurden »Anti-Terror-Gesetze« verabschiedet, die noch deutlicher die Kriminalisierung einer politischen Debatte zum Ziel hatten. Dazu gehörten:
die Einführung des § 129a (Bildung einer terroristischen Vereinigung), wobei auch »Werbung« und »Unterstützung« unter Strafe gestellt wurden.
der § 88a (verfassungsfeindliche Befürwortung von Straftaten)
der § 140 (Belohnung und Billigung von Straftaten).
Eine parlamentarische Opposition gab es damals nicht. Ich kann mich aber auch an keine außerparlamentarische Opposition erinnern. Man war von der Repressionswelle so erschlagen, von der Angst bestimmt, irgendwie dazuzugehören. Da reichte es bereits, lange Haare zu tragen bzw. wie jemand auszusehen, dem man »so etwas« zutrauen würde.
Was ist mit all den Grundrechtseinschränkungen und Kriminalisierungsmaßnahmen passiert? »Die Anti-Terror-Maßnahmen von vor Jahrzehnten sind heute fast ausnahmslos noch in Kraft – wohl auch vorsorglich, weil der Terror leider eine menschliche Konstante ist und er zwischen 1977 und 2017 bloß seine Methoden und seine Fratze geändert hat.« 45