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Ermächtigungsgesetz – »Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich« vom 24. März 1933

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Auch diese »Ermächtigung« brauchte einen Anlass und hatte ihn gefunden: Den Reichstagsbrand, der in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 gelegt wurde. Am Tatort wurde Marinus van der Lubbe festgenommen. Ohne jegliche Beweise und Möglichkeiten der Überprüfung von Mutmaßungen wurden »die Kommunisten« für diesen Anschlag verantwortlich gemacht.

Wie dieser Anschlag aufgenommen wurde, beschreibt Sebastian Haffner als konservativer, großbürgerlicher Beobachter so: »Also die Kommunisten hatten den Reichstag angezündet. Soso. Das war schon möglich, das war sogar sehr glaublich. (…) Nun vielleicht hat es wirklich ein ›Fanal‹ für die Revolution sein sollen, und das ›entschlossene Zupacken‹ der Regierung hatte die Revolution dann verhindert. So stand es in der Zeitung, und es ließ sich hören. Komisch allerdings auch, dass die Nazis sich gerade über den Reichstag so aufregten. Bis dahin hatten sie ihn immer ›Quatschbude‹ genannt, und jetzt auf einmal war es wie eine Schändung des Allerheiligsten.« 36

Ob dieser Anschlag der NSDAP gerade recht kam oder ihr eigenes Werk war, spielt hier keine Rolle. Tatsache ist, der Anschlag kam wie gerufen. Denn danach lief alles wie am Schnürchen, Hand in Hand zwischen bürgerlichen und faschistischen Fraktionen. Für das, was im wahrsten Sinn des Wortes passieren konnte, ist also nicht nur die NSDAP verantwortlich, sondern auch alle bürgerlichen Parteien, die der NSDAP die Wünsche von den Lippen ablasen.

Der Brand war noch nicht gelöscht, da nutzte der Reichspräsident zum x-ten Mal den § 48 der Weimarer Verfassung und erließ die »Verordnung zum Schutz von Volk und Staat« (Reichstagsbrandverordnung). Damit wurden die Grundrechte der Weimarer Verfassung de facto außer Kraft gesetzt.

In dieser entscheidenden Phase der Weimarer Republik bildete die NSDAP mit den Deutschnationalen (DNVP) eine Minderheitsregierung. In ihr war alles vertreten, was die NSDAP zu einem faschistischen Ideologiemix zusammenfasste: Monarchistische, völkische, deutschnationale, reaktionäre und militaristische Gruppierungen und Gesinnungen. Gestützt wurde die Minderheitsregierung durch die Präsidialmacht des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, der alles tat, um der NSDAP den Weg zur Diktatur zu ebnen.

Man war bereits geübt. Zuerst schaltete man den gemeinsamen Feind aus, die KPD. Reichspräsident Paul von Hindenburg nutzte den erklärten Notstand und sprach ein Verbot der KPD aus und die NSDAP nutzte diesen staatlichen Flankenschutz für die Eskalation ihres Terrors gegen Linke.

Ein weiteres Puzzle auf dem Weg zur legalen Etablierung der Diktatur der NSDAP waren die Reichstagswahlen vom 5. März 1933: Die Mischung aus Terror und Legalitätsschwüren hatte Erfolg: Die NSDAP kam mit einem Plus von 10,8 Prozent auf 43,9 Prozent und war damit stärkste Partei. Die SPD kam auf 18,3 und die KPD auf 12,3 Prozent der Stimmen.

Zum ersten Mal in der Weimarer Republik war damit eine parlamentarische Mehrheit aus Faschisten und Deutschnationalen gegeben. Die amtierende Minderheitsregierung unter dem Reichskanzler Hitler konnte somit weiterregieren. Dann war die NSDAP wieder am Zuge. In der Tradition bürgerlicher Regierungen reichte sie im Reichstag ein weiteres Ermächtigungsgesetz ein. Das war kein Paukenschlag mehr, sondern die Wiederholung von Hitlers Ansinnen vom Januar 1933, als die NSDAP eine Minderheitsregierung angeführt hatte. Bereits damals war klar, dass es nicht um den Schutz der Republik ging, sondern um die Beseitigung eines gemeinsamen politischen Gegners: »Bereits in der ersten Sitzung seines Kabinetts – am Nachmittag des 30. Januar 1933 – wurden die Aussichten erörtert, wie ein Ermächtigungsgesetz vom Reichstag zu erlangen sei. Dabei äußerte Hugenberg (Vorsitzender der DNVP und in dieser Zeit Minister für Wirtschaft, Landwirtschaft und Ernährung, d. V.) ›nach der Unterdrückung der KPD sei die Annahme eines Ermächtigungsgesetzes durch den Reichstag möglich‹.« 37

Dass nun die NSDAP an der Reihe war, den zweiten gemeinsamen Feind von bürgerlichen und faschistischen Kreisen auszuschalten, die Weimarer Verfassung, ergab sich von selbst. Alle hatten sich längst daran gewöhnt, dass die Weimarer Verfassung eigentlich kaum noch zählte:

Der Gedanke, die Reichsregierung für eine bestimmte Frist zu ermächtigen, Rechtsvorschriften mit Gesetzeskraft zu erlassen, war daher der neueren deutschen Verfassungsentwicklung nicht fremd. In der Lage des Winters 1932/33 bedeutete die Vergebung solcher Ermächtigungen an die Exekutive auch deswegen nichts Außerordentliches mehr, weil der parlamentarische Gesetzgeber ohnehin durch die Notverordnungspraxis in den Hintergrund getreten war. Im Jahre 1930 waren noch 98 Reichstagsgesetze verabschiedet worden. 1931 wurden bereits 42 Notverordnungen des Reichspräsidenten erlassen gegenüber 34 Reichstagsgesetzen; 1932 ergingen 60 Notverordnungen, aber nur fünf Reichstagsgesetze.38

Dass der Übergang zwischen bürgerlicher Demokratie und Diktatur bereits fließend war, unterstreicht auch der damals gefeierte Staatsrechtler Carl Schmitt. Nicht erst für die Nazis war er in Sachen Rechtfertigung aktiv. Bereits 1932 hatte er Pläne ausgearbeitet, »mit denen eine zeitlich begrenzte legale Diktatur des Reichspräsidenten errichtet werden sollte. Carl Schmitt argumentierte in der unruhigen Endphase der Weimarer Republik mit dem englischen politischen Philosophen Thomas Hobbes. Der hatte im 17. Jahrhundert in seiner Schrift ›Leviathan‹ den Grundsatz formuliert: Auctoritas, non veritas facit legem. (Autorität, nicht Wahrheit macht die Gesetze).« 39

Die NSDAP ging bei der Vorstellung des Ermächtigungsgesetzes geschickt vor, nutzte den Gewöhnungseffekt und lehnte sich in der Wortwahl an das Vorbild aus dem Jahre 1923 an. Dennoch gibt es deutliche Unterschiede: »Die grundlegende Verschiedenheit zeigte sich in folgenden Punkten: Die Reichsregierung wurde ermächtigt, nicht bloß ›Verordnungen‹ zu erlassen, sie sollte sogar ›Gesetze‹ beschließen, und zwar auch solche, die von der Reichsverfassung von 1919 abwichen, das bedeutete: ihnen sollte, verglichen mit den einfachen Reichstagsgesetzen, erhöhte Durchschlagskraft zukommen. Der Reichstag sollte ferner seine Befugnis, völkerrechtlichen Verträgen zuzustimmen, den Reichshaushalt zu verabschieden und Kreditaufnahmen zu genehmigen, preisgeben.« 40

Der Politologe Ernst Fraenkel bezeichnete das Ermächtigungsgesetz als »eigentliche Verfassungsurkunde« für die Errichtung einer Diktatur. Mit ihr wurden Grundrechte außer Kraft gesetzt, so etwa die Freiheit der Person, die Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Vereins- und Versammlungsfreiheit. Der Staat schränkte auch das Postgeheimnis sowie das Eigentumsrecht ein und verbot regimekritische Zeitungen.

Was damit Gesetz werden sollte, entsprach einem Flächenbrand. Dagegen war der Reichstagsbrand ein Lagerfeuer. Aber auch das war kein Problem für die bürgerlichen Parteien. Die Absprachen waren getroffen, die Zustimmungen eingeholt.

Herrschaft der Angst

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